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Ausgabe:

1982

Spalte:

880-882

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Niederdeutsch als Kirchensprache 1982

Rezensent:

Bunners, Christian

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879

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 12

880

Dies gilt auch wieder für den nächsten, den VII. Band (1981). In
ihm finden sich Beiträge über mehrere christliche Gemeinschaften
(Gemeinschaft im weitesten Sinne verstanden, sowohl für kirchlich
verfaßte wie für ordens- oder kommunitätsartig geprägte verwendet).
Auf Artikel solchen Inhalts sind wir in den bisherigen Rezensionen
nicht näher eingegangen; daher sollen einige von ihnen bei der Besprechung
von Bd. VII im Vordergrund stehen. Der Band beginnt mit dem
Artikel „Böhmische Brüder" (1-8). Über Entstehung, Geschichte und
Traditionen bis in die Gegenwart wird übersichtlich informiert. Der
Schlußabschnitt „Brüderische Traditionen nach 1670" fällt recht
summarisch aus. Allerdings wird auf andere Artikel verwiesen (Brü-
derunität, Tschechoslowakei). - „Bruderschaften/Schwesternschaften
/Kommunitäten" (195-212): Es wird festgestellt, daß sich „ein
Bruderschaftswesen im eigentlichen Sinne... erst seit den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters" findet, nicht ohne Übergänge zum
Bereich der „Dritten Orden" (197). Dies gilt auch für die Orthodoxen
Kirchen (199). Die Stellung Luthers ist u. a. durch die Unterscheidung
von rechter und verkehrter Bruderschaft gekennzeichnet (201), was
jedoch nicht verhindern konnte, daß der Bruder- und Bruderschaftstitel
„ in den 20er Jahren des 16. Jh. in eine babylonische Sprachverwirrung
" geriet (202). Über die Wandlungen des Bruderschaftsverständnisses
im 17.-19. Jh. wird ausführlich referiert. Für das 20. Jh.
begegnet folgende Einteilung: „1. Pfarrbruderschaften, 2. Gemeinschaften
mehr kontemplativer, 3. mehr diakonisch-sozialer, 4. mehr
missionarisch-evangelistischer, und 5. anderer Aufgabenstellung"
(207). Für alle Gemeinschaften werden die nachstehenden „Kennzeichen
" herausgearbeitet: 1. einzeln entstanden, Regeln und Ordnung
fast immer eigenständig; 2. personale Leitung; 3. besondere Bedeutung
von Stundengebet und Eucharistie; 4. Ablehnung jeder Art von
Verdienstlichkeit; 5. Probezeit, Helferverhältnis; 6. Ökumenische
Ausrichtung; 7. Dienst an Erneuerung und Einigung der Kirche, keine
separatistischen Tendenzen; 8. Vorrang der praxis pietatis vor theologischer
Arbeit, die aber „wie in Taize oder in der Michaelsbruderschaft
" nicht ausgeschlossen ist (211). Die letzte Bemerkung zeigt
allerdings, daß der Anspruch, es handle sich in den Punkten 1-8 um
Kennzeichen, die für alle Gemeinschaften gelten, wohl nicht absolut
gemeint ist; im übrigen ist das Schema hilfreich. - „Brüder (Church of
the Brethren)" (216-218): Diese Brüderbewegung wird als Ableger
eines radikalen Pietismus charakterisiert, gegründet 1708 in
Süddeutschland. Zahlreiche Mitglieder emigrierten in der ersten
Hälfte des 18. Jh. nach Nordamerika. Aus verschiedenen Spaltungen
im 19. Jh. ging als größte Gemeinschaft die Church of the Brethren
hervor, eine der drei historischen Friedenskirchen, die 1975 in 1041
Gemeinden in den USA ca. 180 000 Mitglieder zählt (217). Dogmatisch
-liturgische Spezifika sind u.a.: „Taufe der Gläubigen durch
Untertauchen, Liebesmahl mit Fußwaschung, Gemeinschaftsmahl,
Gedächtniseucharistie, Krankensalbung und Ablehnung des Eides"
(217). - „Brüder des freien Geistes" (218-220): Die Existenz dieser
„Ketzergruppen" fällt in die Zeit vom 13.-15. Jh.; ihr Ausbreitungsgebiet
ist nahezu das „gesamte lateinische Abendland" (218).
Ursprung und z. T. auch Verlauf und Ende dieser Bewegung sind noch
nicht hinreichend erforscht. - „Brüder vom gemeinsamen Leben"
(220-225). Hier können gesicherte Ergebnisse vermittelt werden u. a.
zu Organisation, Ausbreitung, Schrifttum und über gleichgerichtete
Schwesternschaften (nicht ganz deutlich wird allerdings die Entwicklung
nach der Reformation). - „Brüderunität/Brüdergemeine"
(225-233): In diesem Beitrag ist mehrfach das Bemühen erkennbar
um eine kritisch-differenzierende Darstellung. Das gilt sowohl für die
Bedeutung Zinzendorfs (es wird auf den wichtigen Einfluß der mährischen
Exulanten und Mitarbeiter Zinzendorfs hingewiesen, 226) wie
für den allgemeinen Hintergrund der Entstehung der Brüdergemeine
(die Verflechtung mit der englischen Erweckungsbewegung wird betont
). Auch wirtschaftliche Gesichtspunkte kommen zur Sprache. -
„Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR" (410-412): Der nicht
sehr umfangreiche Beitrag orientiert über Entstehung, Ordnung und
Struktur, Probleme und Herausforderungen. Eine kritische Grundhaltung
gegenüber den Landeskirchen und den kirchlichen Zusammenschlüssen
(EKU und VELK) ist unverkennbar, ebenso die Hoffnung
auf „mehr Gemeinsamkeit". Ein Artikel wie dieser, der engagiert
auf Entwicklungen und wünschenswerte Veränderungen hinweist
, von daher also in gutem Sinne (auch) aktuell ist, stellt über seinen
speziellen Inhalt hinaus vor die Frage, wie die TRE solche Beiträge
im Verlauf ihres Erscheinens eventuell ergänzen bzw. auf einen
neuen Stand bringen kann.

Der letztgenannte Beitrag nennt als für den DDR-Kirchenbund
wesentliches Dokument die Barmer Theologische Erklärung, verzichtet
aber auf den Nachweis weiterer Traditionslinien. Man darf sicher
in diesem Zusammenhang z. B. Dietrich Bonhoeffer nennen, der
selbstverständlich in der TRE einen Artikel bekommen hat
(VII,55-66), gegliedert in: Leben, Theologisches Werk, Nachwirkung
. Zwar findet sich auch hier kein besonderer Hinweis auf die
Bedeutung Bonhoeffers für Theologie und Kirche in der DDR, aber
die Darstellung des Werkes macht erkennbar, wie hilfreich und
weiterführend Bonhoeffer für Theologie und Ökumene heute ist.
Charakteristisch ist vor allem die Tendenz, den „Bonhoeffer der
Briefe und Fragmente" (63) nicht zu verabsolutieren sowie der mehrfache
kritische Verweis auf Barths Bonhoeffer-Verständnis. Weitere
Artikel über zeitgenössische Theologen betreffen u. a. Bultmann,
E. Brunner und Brunstäd. Aus der Fülle der insgesamt 110 Artikel des
Bandes VII seien noch folgende genannt: religionsgeschichtlich: Bon-
Religion, Buchstabensymbolik, Buddhismus, Chinesische Religionen
; Orte und Länder: Bonn, Braunschweig, Brandenburg, Bremen,
Bulgarien, Byzanz, Cambridge, Canterbury, Chicago; reformationsgeschichtlich
: Brenz, Bres, Briconnet, Brück, Bude, Bugenhagen, Bullinger
, Cajetan de Vio, Calvin, Campanus, Capito, Chemnitz. Auch aus
anderen Zeitabschnitten finden sich zahlreiche Artikel zu Personen;
insgesamt sind es in diesem Band 70 (also fast 2/3 aller Beiträge).
Abschließend noch einige Sachartikel: Bürgertum, Bund, Buße, Cate-
chismus Romanus, Charisma/Charismen, Chiliasmus. Inzwischen
liegt.auch Band VIII (Chlodwig - Dionysius Areopagita) vor; ebenso
Band IX (Dionysius Exiguus - Epiphaniasfest). Die Besprechung
beider Bände folgt in einem der nächsten Hefte der ThLZ.

Leipzig Ernst-Heinz Amberg

[Holtz, Gottfried:] Niederdeutsch als Kirchensprache. Festgabe für
Gottfried Holtz, hrsg. v. D. Andresen, E. Arfken, J. D. Bellmann,
H. Kröger, D. Römmer. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1980. 113 S. m. 27 Abb. 8 Kart. DM 14,80.

Die Suche nach vielfältiger Vermittlung der christlichen Botschaft,
sprachtheoretische Erkenntnisse, Einsichten in falschen Herrschaftsgebrauch
von Hochsprache sowie Beachtung von seelsorgerlichen
Bedürfnislagen in niederdeutsch geprägten Gemeinden führten seil
den sechziger Jahren in nördlichen Landeskirchen der Bundesrepublik
Deutschland (z. T. auch im Norden der DDR1) zu einem verstärkten
Umgang mit Niederdeutsch in der kirchlichen Arbeit. Begleitend
dazu wird darüber auch zunehmend wissenschaftlich reflektiert.
Die Ergebnisse der neuen kirchlichen Praxis und Wissenschaft des
Niederdeutschen zeigen inzwischen, daß beide Bemühungen Bedeutung
und Verheißung haben und etwas anderes sind, als regressive
oder nostalgische Liebhaberei.

Schon Jahre vor diesen Neuansätzen hatte Gottfried Holtz an wenig
beachteter Stelle (Wiss. Zs. d. Univ. Rostock 4, 1954/55) einen umfangreichen
Aufsatz veröffentlicht, in dem er dem Niederdeutschen
als Kirchensprache vom Mittelalter bis in die neueste Zeit hinein
nachging. Mit dem als Festgabe herausgegebenen Neudruck dieses
Aufsatzes wird G. Holtz als der „erste Universitätslehrer der plattdeutschen
Pastoren" und als „Begründer der wissenschaftlichen Arbeit
zur niederdeutschen Kirchen- und Theologiegeschichte" (S. 9)
geehrt. Der Aufsatz von Holtz wurde den niederdeutschen Theologen
in der Bundesrepublik erst 1971 bekannt; er bedeutete für sie nicht