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Ausgabe:

1982

Spalte:

875-880

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Bibel - Böhmen und Mähren 1982

Rezensent:

Amberg, Ernst-Heinz

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875

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 12

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Wahrnehmungsdifferenzierung in Gebrauch genommen werden. Das
geschieht nur dann legitim, wenn die andauernden Auseinandersetzungen
im erkenntnistheoretischen Bereich nicht suspendiert sind
bzw. die verschiedenen Grundannahmen hinter den einzelnen Deutungsmodellen
menschlicher Wirklichkeit nicht spannungslos in eins
fallen. -

Kompensatorisch insofern, als „Religion" als nach wie vor drohende
Kollektivneurose mit Suchtcharakter nicht von außen bekämpft
, sondern von innen bearbeitet werden sollte. - Zielvorstellung
ist dabei, daß anstelle immer neu drohender Entdifferenzierungen und
Übertragungsfixierungen ein Verhalten tritt, das - wie Manfred Haustein
beschreibt - gekennzeichnet ist „durch ein hohes Maß an Einstellungsvariabilität
auf dem Hintergrund reifer Identität".18

Die Ermöglichung eines persönlichkeitsspezifischen Credos muß
dabei gerade nicht - wie naheliegenderweise befürchtet werden kann -
alternativ zum allgemeingültig formulierten Glaubensbekenntnis der
Kirche zu stehen kommen. Sie legitimiert vielmehr dessen sonst verdeckt
wirksame psychische Bearbeitung durch das einzelne Individuum
. Allerdings kommt es gerade in diesem Kontext entscheidend
darauf an, die individuellen Erlebensformeln eines tragfähigen Glaubensbekenntnisses
je länger desto mehr kommunikahel zu machen.
Indem der eine ausdrückt und zur Sprache bringt, wie ihn Glaubenserleben
emotional betrifft, stößt er den anderen zu analogen Mit-Tei-
lungen an. Bekenntnisse können so jenseits der allgemein gültigen
Formulierungen ausgesprochen und in Beziehung gebracht werden.
Sie wirken ergänzend aufeinander ein. - Die „Gemeinschaft der Gläubigen
" bezieht sich dann freilich nicht vorwiegend auf eine Gleichheit
des Erlebens! Sie besteht eher im zunehmenden Verstehen der verschiedenen
möglichen Vorfindlichkeiten im selben christlichen Glauben
. Der Paulustext von den verschiedenen Gaben, die doch in einem
Geiste wirksam werden (1 Kor 12,4ff), regt in diesem Zusammenhang
zu einer besonderen Überlegung an. Es ist dies die Überlegung, ob
nicht nur die verschiedenen Handlungsfunktionen der einzelnen
Christen, sondern schon die verschiedenen Erlebensmuster und strukturell
bedingten Lebenseinstellungen als jeweils besondere Gabe Gottes
zu defi n ieren wären.

C. Schlußbemerkung: Nochmals zur Funktion der Pastoralpsychologie
Es ging uns darum, unter den Stich worten Wahrnehmung - Zuordnung
-Folgerung pastoralpsychologisches Vorgehen zu erläutern, auf
seelsorgerliches Handeln zu beziehen und als ein wesentliches Element
praktisch-theologischer Handlungswissenschaft zu bestimmen.
Die Praktische Theologie sollte sich dieser besonderen Wahrnehmungseinstellung
zur immer weitergehenden Erschließung der empirischen
Wirklichkeit bedienen. „Denn (so Jürgen Henkys1'') unter
allen theologischen Disziplinen ist sie offenbar am ersten dazu berufen
, die um der Praxis willen erforderliche Zusammenarbeit mit
anderen Wissenschaften zu vermitteln und fruchtbar zu machen." -

Dabei gilt: Weiterführende Erkenntnisse bzw. Entdeckungen im
anthropologischen Bereich müssen theologischerseits nicht als solche

anerkannt und rezipiert werden! Sie können abgelehnt sein und bleiben
, weil sie den eigenen Grundannahmen zu widersprechen scheinen
. Sie können allerdings auch als die besondere Herausforderung
verstanden werden, den eigenen Standort dynamisch zu halten und
situationsentsprechend neu zu definieren. - Für den Praktischen
Theologen und speziell für den Seelsorger geht es dabei gleichzeitig
darum, seine konkrete Aufgabe wirklichkeitsnah und d. h. zeitgemäß
zu formulieren und durchzuführen. Sein Handeln hat unter einer
Prämisse zu geschehen, die Ernst-Rüdiger Kiesow so formuliert hat:
„Alles, was wir theologisch und seelsorgerlich in bezug auf den Menschen
denken und tun, setzt die erforschbare Wahrheit über ihn voraus
. Berücksichtigen wir sie nicht, so verstießen wir gegen unseren
eigenen Auftrag... .

' Henning Schröer: Inventur der Praktischen Theologie. In. Praktische
Theologie. Hrsg. von G. Krause. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgcsell-
schaft 1972,S.445f;hierS. 445.

2 Karl-Fritz Daiber: Grundriß der Praktischen Theologie als Handlungswissenschaft
. München: Kaiser 1977, S. I7f.

' A. a. O..S. 23.

4 A.a. O..S. 144.

i Hans-Georg Fritzsche: Das Besondere christlicher Ethik und ethische
Verantwortung des Theologen heute. In: Bericht von der Theologie, hrsg. von
G. Kulickeu.a. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1971 S. 159fT,hierS. 160.

Trutz RendtorlT: Gott-ein Wort unserer Sprache?(Thcol. Existenz heute
Nr. 171)München: Kaiser 1972.

' A.a.O.,S.38f.

* Sigmund Freud: Totem und Tabu. Ges. Werke. Bd. IX, Frankfurt:
S. Fischer, S. 175.

' Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion. A. a. O., Bd. XIV, S. 323IT,
hierS. 467.
10 Ebd.

" Tilmann Moser: Gottesvergiftung. Frankfurt: Suhrkamp 1976.
12 Horst E. Richter: Der Gotteskomplex. Reinbeck b. Hamburg: Rowohlt
1979. 1

" Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, a. a. Ö. Bd. XIV, S. 4I9IT,
hier S. 421 fl".

Joachim Scharfenberg: Religion zwischen Wahn und Wirklichkeit. Hamburg
: Furche 1972, S. 23f.

' Dietrich Stollberg: Seelsorge durch die Gruppe. Göttingen: Vandcnhocck
& Ruprecht'1975, S. 15.

Heinz Kohut: Narzißmus. Frankfurt: Suhrkamp 1973.
' Fritz Meerwein: Neuere Überlegungen zur psychoanalytischen Religionspsychologie
(1971). In: E. Nase, J. Scharfenberg (Hrsg.): Psychotheraphic und
Seelsorge. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977, S. 343fT.

Manfred Haustein: Übertragung und Gegenübertragung im Dienst des
Pfarrers. In: Wiss. Zeitschrift Karl-Marx-Universität Leipzig, Ges.- u. Sprach-
wiss. R., 30(1981)6,S. 570-575; hierS. 574.

Jürgen Henkys: Die Praktische Theologie (Einführung). In: Handbuch der
Praktischen Theologie, bearb. von Heinrich Ammer u. a., Berlin: Evang. Verlagsanstalt
1975 (Band l)S. 11 fT, hier S. 20.

Ernst-Rüdiger Kiesow: Die Seelsorgc. In: Handbuch der Praktischen
Theologie,a. a. O.; 1978(Bd. III)S. 181.

Allgemeines, Festschriften

Theologische Realenzyklopädie, hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard
Müller. Berlin-New York: de Gruyter. Bd. VI: Bibel - Böhmen
und Mähren. 1980. 786 S. gr. 8 Bd. VII: Böhmische Brüder-
Chinesische Religionen. 1981.802 S.gr. 8

Der 6. Band der TRE umfaßt 786 Seiten (einschließlich Register).
Davon sind mehr als die Hälfte, nämlich 468 Seiten, einem Komplex
gewidmet: der Bibel (aufgeteilt in die Artikel: Bibel, Bibelhandschriften
, Bibelillustrationen, Bibelübersetzungen, Bibclwcrkc, Bibelwissenschaft
, Biblische Theologie, Biblizismus). Wieder zeigt sich, daß
die TRE infolge ihrer Gründlichkeit und Ausführlichkeit Für besonders
wichtige Themenkreisc faktisch Monographien bietet. Der Artikel
„Bibel" (1-109) ist ähnlich gegliedert wie in anderen Lexika: L Die
Entstehung des Alten Testaments als Kanon. II. Die Heiligen Schriften
des Judentums im Urchristentum. III. Die Entstehung des Kanons
des Neuen Testaments und der christlichen Bibel. IV. Die Funktion
der Bibel in der Kirche. V. Praktisch-theologisch. Es fällt auf, daß die
systematisch-theologische Problematik nicht eigenständig behandelt
wird; einiges kommt allerdings in Teil IV zur Sprache, wobei freilich
die historische Perspektive (unter der angegebenen Überschrift völlig
sachgemäß) dominiert. Dieser Teil schließt mit Bemerkungen zur