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Ausgabe:

1982

Spalte:

861-862

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Fischer, Johannes

Titel/Untertitel:

"Anrede und Handlung": Skizze einer handlungstheoretischen Rekonstruktion der logischen Struktur christlicher Ethik 1982

Rezensent:

Fischer, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 11

862

sehen Gott und Mensch, sondern zugleich auch mit seiner Hermeneutik
und seiner Christologie aufs engste verknüpft. Sie stellen keinen
isolierbaren und notfalls auch verzichtbaren Punkt seiner Theologie
dar, sondern haben innerhalb eines festgeknüpften Argumentationsgewebes
eine unaufgebbare Funktion.

Zu den Nebenergebnissen der Studien gehört u. a. die Beobachtung,
daß Luther in ,De servo arbitrio' wahrscheinlich nicht nur die ,Dia-
tribe' des Erasmus, sondern auch dessen gegen ihn gerichteten Ausführungen
in dem Widmungsschreiben der Hilariusedition von 1523
vor Augen hat, sowie die Behauptung, daß eine in der Hauspostille
von 1544 überlieferte Predigt mit einer Interpretation von lTim 2,4
nicht von Luther stammt, sondern wahrscheinlich das Werk des Veit
Dietrich ist.

Fischer, Johannes: Anrede und Handlung. Skizze zu einer handlungstheoretischen
Rekonstruktion der logischen Struktur christlicher
Ethik. Tübingen 1982. 171 S.

Die Fragestellung der Arbeit ist: Worauf legt sich die christliche
Ethik fest dadurch, daß sie den Begriff der Handlung zu einem ihrer
Grundbegriffe macht? Im Hinblick auf die Alternative zwischen einer
an den Postulaten der Universalisierbarkeit und Kommunikabilität
orientierten Konzeption christlicher Ethik einerseits und einer dezi-
dierten Glaubens-Ethik andererseits soll gezeigt werden, daß der beiden
Konzeptionen gemeinsame Begriff der Handlung eine bestimmte
Struktur ethischer Reflexion immer schon impliziert und somit eine
Entscheidung dieser Alternative ermöglicht. Die Untersuchung orientiert
sich dabei an der Umgangssprache als der Basis einer jeden Verständigung
über Handlungen.

Die Untersuchung des Gebrauchs des Wortes .Handlung' in der
Umgangssprache ergibt die Tür die Untersuchung grundlegende Bestimmung
des Handlungsbegriffs (Kap. I). Konstitutiv für den Begriff
der Handlung ist dieser Bestimmung zufolge die Differenz zwischen
Handelndem und Umständen der Handlung.

Die Feststellung, daß es allein das Wissen ist. welches den Handelnden
zum Handelnden macht, ermöglicht es. diese Differenz als ganz
und gar wissensbezogene zu fassen (Kap. 2): Während die Umstände
des Handelns für das Wissen des Handelnden gegeben sind, ist seine
Identität ganz und gar mit seinem Wissen gegeben. Als Glaube an die
Rechtfertigung aus Glauben hat der christliche Glaube eine ähnliche
Struktur wie das Selbst- bzw. Identitäts-Wissen.

Die im Begriff der Handlung gedachte Freiheit kann damit als die
I reiheil bestimmt werden, aus Gründen der eigenen Identität handeln
zu können (Kap. 3). Die f rage nach den Bedingungen der Möglichkeit
des Handelns ist folglich die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit
von Identität.

Aus dem Begriff des Selbst-Wissens bzw. der Identität wird das Phänomen
der Anrede als des Aktes rekonstruiert, durch den Selbst-
Wissen zustandekommt (Kap. 4). Anrede erweist ihre Wahrheit durch
den Sinn ihres Vollzugs als Unterhandlung. Aus den Begriffen des
Selbst-Wissens und der Anrede ist weiter ableitbar daß die im Begriff
der Handlung gedachte Freiheit, als Freiheit von Willkür, bedingungslose
Liebe zur Bedingung hat (Kap. 5), und zwar Liebe in universalem
Horizont.

Geht es im ersten Teil der Arbeit um den Begrilf der Handlung bzw.
der Person, so kommt im zweiten, eigentlich ethischen Teil der Begriff
des Menschen, als eines Wesens hinzu, das zu der „unmöglichen
Möglichkeit", den Bedingungen der eigenen Freiheit zuwiderzuhandeln
, fähig ist. Erst mit dem Begrilf des handelnden Menschen ist die
ethische Thematik gegeben.

Als unmittelbare Folgerungaus dem ersten Teil ergibt sich (Kap. 6).
daß die ethische Reflexion keinem Universalisicrbarkeitspostulat unterliegen
kann. Personale Identität, als Bedingung der Möglichkeit
freien Handelns, ist nicht universahsierbar. Aus der Eigenart personaler
Identität, zugleich W issen. Wollen und Verslehen ZU sein, läßt

sich weiter folgern, daß ethische Argumentation paränetische Strukturbesitzen
muß.

Der Begriff einer intentionalen Handlung, welche in kontradiktorischem
Widerspruch zur eigenen Identität steht, führt zum Begriff des
Gewissens (Kap. 7). Die Gewissensproblematik erweist sich dabei als
reine Wissensproblematik.

Aus dem bis dahin entwickelten Begriff des handelnden Menschen
ergeben sich die beiden Grundfragen der Ethik (Kap. 8): „Wie kann
ich (können wir) leben?" und „Was soll ich (sollen wir) tun?". Die
Präzisierung der ersten Frage führt zu dem für das Folgende wichtigen
Begriff der Institution. Institutionen sind die mit einer Sprache gegebenen
Möglichkeiten zu Anredebeziehungen, d. h. zu Identität. Die
Präzisierung der zweiten Frage führt zur Unterscheidung von gut und
böse, welche in Abhebung von der Unterscheidung gut und schlecht
entwickelt wird. Es folgt eine Abgrenzung von Ethik und Moral
(Kap. 9).

Die beiden Grundfragen der Ethik legen die Struktur ethischer Reflexion
fest (Kap. 10). Das ethische Begründungsproblem erweist sich
als ein rein hermeneulisch.es, nämlich als das Problem der Aneignung
der Sprache, in der sich Selbst-Wissen gebildet hat. Im Blick auf die
erste Frage geschieht das mit dem Ziel, Institutionen auf die Möglichkeiten
hin zu erhellen, welche sie der eigenen Identität bieten, bei der
zweiten in der Absicht, Handlungen daraufhin zu unterscheiden, ob
sie der eigenen Identität entsprechen oder zuwider sind.

Es folgen Thesen zur Abgrenzung von Ethik und Sozialethik
(Kap. 11). Die Nötigung hier zu differenzieren, ergibt sich aus der Unterscheidung
von Institution und Ordnung. Den Schluß des zweiten
Teils bildet ein Kapitel (Kap. 12) zur „Evidenz des Ethischen".

Der dritte Teil faßt die Überlegungen gezielt im Blick auf die christliche
Ethik zusammen.

Neudorfer. Heinz-Werner: Der Stephanuskreis in der Forschungsgeschichte
seit F. C. Baur. Tübingen 1982.400 S.

Dem Bericht über Stephanus und seinen Kreis kommt im Rahmen
der Apostelgeschichte des Lukas und auch im Zusammenhang der
ncutestamcntlichcn Wissenschaft große Bedeutung zu. Entsprechend
wurde Apg. 6.1-8.3 in der Forschungsgcschichte vielfach bearbeitet
und gewürdigt. Ziel der vorgelegten Arbeit ist es. die Ergebnisse der
Forschung der letzten 150 Jahre darzustellen, zu sichten und darüber
hinaus der Forschung für die Zukunft mögliche Wege zu weisen.

Dabei wird im ersten, darstellenden Kapitel systematisch nach Pro-
blcmkreisen vorgegangen. Zur Sprache kommen die Fragen nach dem
richtigen Verständnis der „Hellenisten", nach dem ..Witwenstreit",
nach der Bedeutung der Sieben, nach Stephanus und seinen Gegnern,
nach der Anklage gegen ihn und nach seinem Prozeß und Martyrium.
Spc/ialproblcme werden in mehreren Exkursen untersucht. Auch die
Forschungsergebnisse der Jahrhunderte vor F. C. Baur werden in
ihren wichtigsten Vertretern gehört. Schließlich wird versucht.
Grundtypen der Auslegung zu den einzelnen Themen herauszuarbeiten
.

Im zweiten, auswertenden Kapitel werden die Positionen anhand
der Quellen kritisch geprüft. Tendenzen und Erträge der Forschung
werden erhoben, um schließlich eine eigene, begründete Stellungnahme
skizzieren zu können. Die Untersuchung schließt mit einem
Ausblick auf mögliche Wege der zukünftigen Forschung am Stephanuskreis
und mit Hinweisen auf besonders dringend zu leistende
Arbeit an einzelnen Fragen.