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Ausgabe:

1982

Spalte:

860-861

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Müller, Klaus W.

Titel/Untertitel:

Altiora te ne quaesieris 1982

Rezensent:

Müller, Klaus W.

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859

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 1 I

860

Ordensritter Wilhelm von Isenburg (t nach 1532). der sich in seinen
Schriften nicht als Lutheraner erweist, sondern zwischen denen, die
das solaflde, und denen, die die Werke predigen, eine Mittelstellung
einnehmen will. Seine These ist. daß der Glaube nicht ohne Werke
sein kann; die Werke des Glaubens sind, wie der Glaube selbst, eine
Bedingung der Gerechtigkeit. - Die beiden restlichen Bücher sind
gegen zwei sonst unbekannte Brüder vom gemeinsamen Leben aus
Amersfoort gerichtet. Der erste Bruder, Theodricus, hat Luthers
These von der Rechtfertigung sola flde vertreten, dabei die Liebe zwar
als Wesensbestandteil des Glaubens aufgefaßt, im Unterschied zu
Isenburg aber jede soteriologische Bedeutung der Werke abgelehnt. -
Der zweite, nicht namentlich genannte Bruder ist der radikalste der
drei Gegner. Er vertritt Luthers Ansicht vom „fröhlichen Wechsel"
und erklärt im Unterschied zu den beiden anderen die bleibende
Sünde als konstitutiv für den Glauben des Gerechtfertigten. - Die
Kombination dieser drei Gegner in einem Werk ist ein Meisterstück
kontroverstheologischer Polemik. Sie will gemäßigte reformatorische
Positionen als Durchgangsstadien zu radikalen Abweichungen von
der katholischen Wahrheit entlarven.

Gegen Isenburg hält Hochstraten am formlosen Glauben fest und
destruiert so den Begriff eines Glaubens, der ohne Werke nicht sein
kann. Damit trennt er den Glauben von der Liebe und weist beide verschiedenen
Seelenpotenzen (dem Intellekt bzw. dem Willen) zu.
Durch den Gedanken der applicatio entkräftet er Isenburgs Argument
, die Notwendigkeit der Werke untergrabe die Wirksamkeit der
Passion Christi, und führt die satisfactio Christi und die Notwendigkeit
ihrer Applikation durch Werke auf eine göttliche ordinalio zurück
, ebenso auch die Verheißung der ewigen Seligkeit, um deret-
willen die satisfactio Christi geschehen ist und die Notwendigkeit der
Werke gelehrt wird. Die Verwirklichung dieser ordinalio ist uns nur
insofern geschuldet, als Gott sich selbst Schuldner der Verwirklichung
seiner eigenen Ordnung ist. Die Krönung dieser Gnadenordnung ist,
daß der Mensch als cooperator Gottes zu ihrer Verwirklichung beitragen
darf. Somit hat die operativ des Menschen einen unmittelbaren
Bezug zur ewigen Seligkeit. Isenburgs Werke des Glaubens sind dagegen
in Wahrheit keine Werke, da sie nicht die Würde des auf die Seligkeit
hinstrebenden Menschen begründen. Deshalb ist Isenburgs Position
als gleichwertig mit derjenigen anzusehen, die den Glauben ohne
Werke lehrt.

Die These des Bruders Theodricus von der Rechtfertigung sola flde
weist Hochstraten dadurch zurück, daß er ein differenziertes Bild vom
Prozeß der Rechtfertigung (ordo iuslificalionis) entfaltet. Darin
erweist sich der Glaube als via ad nistitiam und die Liebe als ihre Ursache
und ihr Wesen. Daß der Glaube in seiner Vollform als eingegossener
, aber noch formloserGlaube die Gerechtigkeit erlangt, dürfte
Hochstratens genuine Antwort auf die sota-flde-Lehre der Lutheraner
darstellen. Hochstratens Abwehr der sola-lidc-Lehre führt zur
psychologischen Auffächerung des Rechtfertigungsprozesses und zur
anthropologischen Partikularisierung von Glaube und Liebe.

Gegen den Anonymus von Amersfoort führt Hochstraten Au-
gustins Gedanken ins Feld, daß die fldes, die die Grundlage sowohl des
admirahile commercium als auch der bürgerlichen Ehe ist, zwei Seiten
hat: das Vertrauen darauf, daß der Partner sein Versprechen hält,
und die Treue, mit der der Versprechende selbst sein Versprechen verwirklicht
. Hochstraten wirft sowohl dem Anonymus als auch Luther
vor, daß sie das Element der Treue aus dem Glaubensbegriff eliminiert
haben. Grundlage des commercium ist nur das Vertrauen darauf,
daß der eine Partner, Christus, sein Versprechen hält, während die
Seele zur Liebe nicht verpflichtet ist. Dies nennt Hochstraten das Verhältnis
eines Kupplers zu einer Dirne, das dieser erlaubt, ihre Schändlichkeiten
weiter zu treiben. Dies ist für Hochstraten kein malrimo-
mum spirituale. sondern die Vermischung von Gerechtigkeit und
Ungerechtigkeit, die Ersetzung Christi durch den Teufel (parlicipatio
iustitiae cum iniquitale, Christi ad Belial [cf. 2 Kor 6,15]). Damit
signalisiert Hochstraten, daß sich hinter Luthers Begriff der tustilia
Dei der Angriff des Teufels auf das Reich Gottes verbirgt.

So gipfelt Hochstratens Kritik der reformatorischen Theologie darin
, sie verführe die Menschen zum (ewigen) Tode. Dagegen sucht er
die compendiosa via zum Heil freizulegen, die in der Ertüllung des
Gesetzes durch gute Werke besteht.

Hochstraten gehört zu denjenigen Kräften in der vortridentinischen
katholischen Theologie, die jede vermittelnde Position zurückgewiesen
und die katholische Kirche auf die kompromißlose Gegnerschalt
gegen die reformatorische Bewegung festgelegt haben.

Müller, Klaus W.: „Altiora te ne quaesieris . ..". Studien zu Luthers
Ausführungen über Gottes verborgenen Willen und ihrem theologischen
Ort. Diss. Tübingen 1981. 244 S.

These dieser Arbeit ist es, daß Luthers Ausführungen über die Verborgenheit
göttlichen Willens zu den theologisch zentralen Aussagen
der Theologie des Reformators gehören und daher in engem Kontext
seiner Unterscheidung zwischen Gott und Mensch zu verstehen sind.
Dabei gilt die Untersuchung den Ausführungen über die absolute Verborgenheit
Gottes; Ausführungen über die präzise Verborgenheit
Gottes suh contrario (am Kreuz) und in humanilale (im Krippenkind),
die in einem anderen Argumentatioiszusammenhang ihren ,Sitz im
Leben' haben, geraten nur am Rande ins Blickfeld der Untersuchung.

Luther wehrt bei seinen Ausführungen über Gottes verborgenen
Willen sowohl praktischer als auch intellektueller Werkgerechtigkeit.
Nachweisbar seit den .Operationes in Psalmos' 1519-1521 hilft ihm
das Wissen um Gottes Verborgenheit zur Abkehr von der ihn auch
persönlich höchst bedrängenden Frage nach der Prädestination, die
sich ihm aufgrund seiner radikalen Rechtfertigungslehre stellt. Mit
dem Hinweis auf Sir 3,22 und Prov 25,27 vg. wehrt er von da an diese
Frage, die teuflischste aller Versuchungen, ab und lenkt den Blick auf
den in seinem Sohn, in seinem Wort und Sakrament begegnenden
Gott. In der Auseinandersetzung mit Schwärmern und Sakramentariern
wird mit dem Hinweis auf die Verborgenheit göttlichen Willens
die Hintcrfragung von Wort und Sakrament untersagt und die
Inkarnation, Gottes Wort und Sakrament als wahre Offenbarung
Gottes behauptet. Der Ratio des Menschen werden die Grenzen gewiesen
. Er hat das, was ihm zu hoch ist, nicht zu erforschen und sich
an der Offenbarung genügen zu lassen.

Das Neue an Luthers Lehre vom verborgenen Gott ist seine Lehre
über den offenbaren Gott. Dies ergibt sich sowohl aus einem Überblick
über die Diskussion zwischen Pelagianismus und Augustinismus
im Blick auf die Lehre vom göttlichen Willen als auch aus der Betrachtung
der Berufung auf Sir 3,22 und Prov 25,27 vg. im Räume
christlicher Theologie. Die Diskussion zwischen Augustinismus und
Pelagianismus über Allmacht und Gerechtigkeit göttlichen Willens
wird am Leitfaden einer Interpretationsgeschichte von ITim 2,4 kurz
dargestellt. Dabei wird gezeigt, daß dem Augustinismus um seiner
Rechtfertigungslehre willen von jeher daran gelegen sein mußte, die
Verborgenheit göttlichen Willens zu behaupten. An die scholastische
Unterscheidung zwischen der (unergründlichen) volunlas Dei hene-
placiti und der (dem Menschen zugänglichen) volunlas Dei signi
knüpft Luther an und gestaltet sie doch auf bezeichnende Weise um.
indem er statt vom Signum voluntatis Dei von der revelatio volunlatis
üf; spricht. Die Berufung auf Sir 3,22 und später auch Prov 25,27 hat
im Raum der Kirche der Curiositas gewehrt und kirchliche Lehre
gegen die Spekulation der Häretiker abgeschirmt. Auch Luther wehrt
mit der Berufung auf Sir 3,22 und Prov 25,27 der Spekulation. Bei
ihm jedoch liegt das Gewicht der Aussage von Sir 3,22 bei der Schlußzeile
dieses Verses: sed quae praecepil tibi Deus. illa co%ila Semper,
also auch hier wieder auf der in mancherlei Gestalt des Wortes Gottes
begegnenden Offenbarung.

Luthers Ausführungen über Gottes offenbaren und Gottes verborgenen
Willen sind so nicht nur ein Aspekt seiner praktische und intellektuelle
Werkgerechtigkeit abwehrenden Unterscheidung zwi-