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Ausgabe:

1982

Spalte:

854-855

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Plank, Peter

Titel/Untertitel:

Die Eucharistieversammlung als Kirche 1982

Rezensent:

Döpmann, Hans-Dieter

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 1 1

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sem Sinne müsse man schon die Erwählungslehre als eine „Theologie
der Hoffnung" interpretieren, die die „Bewegung von der Schöpfung
zum Bund" hin bedenkt (vgl. S. 57f). Inwiefern jedoch der Bund die
Schöpfung inhaltlich konstituiere, bleibe ganz unklar. Inhaltliche
Aussagen über das Menschsein seien vielmehr in einer „unentfaltetcn
theologischen Anthropologie" (S. 92) begründet, die sich gerade nicht
von derChristologie herleiten lasse.

Solche „unentfaltete theologische Anthropologie" steckt nach.Meinung
des Vf. z. B. in dem „Schema von Transzendenz und Existenz"
(S. 62), das Barth, um die Angewiesenheit des Menschen auf Gott denken
zu können, der neuzeitlichen Metaphysik entlehnt. Sie macht sich
in der „Nähe zur Philosophie des Dialogs" (S. 138) beim Verständnis
der Mitmenschlichkeit des Menschen bemerkbar. Sie zeigt sich bei der
Rezeption von „Grundlinien einer alttestamentlichen, . . . prophe-
tischen Anthropologie" (S. 188) in Barths Lehre vom leibseelischen
und zeitlichen Sein des Menschen (vgl. auch S.219). Als „wortloses
Wort der Hoffnung" ist das mit Hilfe dieser Denkformen begriffene
Menschsein nicht mehr als ein „verheißungsvoller Hinweis auf das
Ereignis" der „Begegnung" mit Gott in Christus (vgl. S. 189, 152).
Wollte Barth dagegen das Menschsein tatsächlich mit dem „Existenzakt
Jesu" begründen, dann müßte er die Unterscheidung des Wesens
des Menschen von seiner Sünde, die diesen Existenzakt ausmacht,
„zur Substanz der Beziehung Gottes und des Menschen" erklären (vgl.
S. 1520- Das jedoch ist ausgeschlossen, weil dann der Mensch schon
für sich und als solcher sozusagen das Ereignis der Versöhnung wäre.
Um diese Konsequenz zu vermeiden, muß Barth inkonsequent
werden. Statt das Menschsein mit dem „Existenzakt" Jesu zu begründen
, versteht er es in der Struktur „radikaler Hoffnung" auf diese
Begründung.

Der Vf. knüpft mit seinen Analysen zweifellos an einen bei Barth
verifizierbaren Sachverhalt an. Menschsein heißt: Geschaffensein auf
das Ereignis der Versöhnung in Christus hin. Menschsein ist aber als
solches nicht mit diesem Ereignis identisch. Es steht vielmehr im
Lichte der Verheißung, die dieses Ereignis für das Sein und Leben
eines jeden Menschen bedeutet. Insofern wird der Titel „Anthropologie
der Verheißung" dem Anliegen Barths durchaus gerecht.

Das Problem der Analysen des Vf. ist jedoch, daß er der Rede
Barths von der „ontologischen Bestimmung des Menschen" durch
den Menschen Jesus einen anderen Sinn unterlegt als Barth. Der Vf.
versteht nämlich die christologische Begründung der Anthropologie
durch Barth offenkundig so. als solle der „Seinsakt" des Menschen
(vgl.S. 21 Anm. 33) unmittelbar aus dem „Existenzakt" Jesu gefolgert
werden. Zu diesem Zwecke behauptet er, daß sowohl Barths Lehre
von der Schöpfung als „äußerem Grund des Bundes" (vgl. S. 59 ff) wie
die Lehre von deranalogia proportionalitatis (vgl. S. 148ff) undurchführbar
seien. Beide Denkformen sind für Barth ja entscheidend wichtig
. Sie ermöglichen es, das Menschsein in einer strukturellen, ontologischen
Entsprechung zu Gott selbst zu denken, die auch durch die
Sünde nicht zerstört wird. Sie zielen in keiner Weise auf eine Identifizierung
des ..Existenzaktes" Jesu, d. h. des Lebens des wahren Menschen
, der zugleich wahrer Gott ist. mit dem Sein des Menschen. Sie
begreifen gerade auch das Mcnschscin Jesu als von Gott ermöglichtes
Menschscin, in dem zugleich alles andere Menschsein von Ewigkeit
zu Ewigkeit ermöglicht ist. Es wird in der Tat zu fragen sein, ob man
Barth in der Weise folgen kann, wie er die Einzelheiten jener ontologischen
Struktur vom Menschsein Jesu her erhebt. Schwer verständlich
bleibt jedoch, wie der Vf. zu der Ansicht kommt, das theologische
Verständnis des Menschen als eines Verhältniswesens könne sich in
keiner Weise begründend auf das Ereignis der Gnade Gottes beziehen
(vgl. die dem Rez. dunkel gebliebene Diskussion der Interpretationsthese
H. U. v. Balthasars, daß nach Barth die Gnade sich die Natur
voraussetze, S. 61!). In seiner Weise muß der Vf. ja selbst von einem
christologischen Grundbezug der Anthropologie reden, wenn er das
Menschsein im trinitarischen Wirken Gottes begründet sehen will
(vgl. S. 241). Der trinitarischc Gottesgedanke der Liebe aber ist nur
möglich auf Grund der Chrislologic. Sic präzisiert, daß der Vater der

liebende Vater und so der Schöpfer ist. Ob man dieser Präzision ausweichen
kann, indem man statt von der eindeutig guten Bestimmung
des Menschseins durch diesen Gott von einem „schöpferischen
Wirken Gottes" redet, das „sich in der offenen, unabgeschlossenen
Vielfalt der Möglichkeiten, Mensch zu sein" vollzieht (S. 240), ist darum
letztlich die Frage, um die es geht. Im Rahmen dieser Frage wäre
dann auch das hermeneutische Problem der Verwendung biblischer
und nichtbiblischer Denkformen bei Barth zu klären. Denn die These
von der „faktisch sekundären Anthropologie" Barths, die sein
Denken heimlich regiere, ist nur möglich, wenn man den Horizont
dieser Frage verläßt.

Berlin Woll'Krötke

Plank, Peter: Die Eucharistieversammlung als Kirche. Zur Entstehung
und Entfaltung der eucharistischen Ekklesiologie Nikolaj
Afanas'evs (1893-1966). Würzburg: Augustinus-Verlag 1980.
268 S. 8° = Das östliche Christentum, N. F., Bd. 31. Kart. DM 45.-.

Die im Wintersemester 1979/80 an der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Universität Würzburg als Inauguraldissertation angenommene
Arbeit widmet sich einem wichtigen, wenn auch nicht unumstrittenen
Ansatz heutiger orthodoxer Ekklesiologie. Uhter Berücksichtigung
von Afanas'evs Russisch und Serbisch verfaßter und
deshalb weithin unbekannter Frühschriften will Vf. die Grundgedanken
seines Gesamtwerkes herausarbeiten, nach deren Wurzeln
und Quellen fragen, ihrer Wirkungsgeschichte nachgehen und eine
kritische Würdigung wagen.

Abschnitt A (S. 19-47) bietet unter Berücksichtigung der zeitgeschichtlichen
Umstände einen Überblick über A.s Leben sowie seine
gedruckten und die wichtigsten der ungedruckten Werke. Wie Vf. hervorhebt
, trug vermutlich das Erleben der in Zusammenhang mit den
politischen Verhältnissen nach der Oktoberrevolution sich ergebenden
jurisdiktioneilen Spaltungen in der russischen Orthodoxie
dazu bei, daß in A.s Ekklesiologie die Begriffe „Recht" und „Jurisdiktion
" keinen Platz finden. Kirche stellt sich Tür ihn nicht als jurisdik-
tioneller Verbund unter einem fernen Oberhaupt dar, sondern als die
konkrete, von der Eucharistie auferbaute Gemeinde am Ort.

Abschnitt B: Afanas'evs eucharistische Ekklesiologie (S. 49-149),
analysiert den kleinen, aber bereits A.s Hauptgedanken enthaltenden
Aufsatz „Zwei Vorstellungen von der katholike ekklesia", der 1934 in
russischer Sprache in der Zeitschrift „Put"' erschien. Noch ohne Verwendung
des Begriffes „eucharistische Ekklesiologie" werden darin
zwei Grundlinien gezogen: ein qualitatives und ein quantitatives Verständnis
von ..katholike ekklcsie". Die qualitative Ekklesiologie sieht
A. bei Ignatios von Antiochien in Gestalt der eucharistiefeiernden
Gemeinde als der katholike ekklesia schlechthin. Dagegen vertrete
Cyprian eine quantitative Sicht: die Einzelgemeinden besitzen als solche
keine Katholizität, sondern werden erst durch ihre Vereinigung
zur Katholizität gerührt. Durch Cyprians Fchlinterpretation pauli-
nischer Ekklesiologie entwickelte sich im Westen der päpstliche Universalismus
und im Osten ein von Rechtsbezügen gekennzeichneter
kirchlicher Imperialismus bzw. Separatismus. Während das qualitative
Verständnis im Westen fast gänzlich verschwand, blieb es im
Osten besonders in der Lehre von der sohornosl' lebendig. Eine Analyse
denkbarer Anknüpfungsmomente zeigt, daß A. keineswegs isoliert
in der orthodoxen Theologie dasteht, obwohl kein bestimmtes
Werk als direkte Quelle angegeben werden kann. Ähnliche Gedanken
Rudolph Sohms sind auf dem Boden russisch-orthodoxer Tradition
umgedeutet worden.

A.s spätere Arbeiten entfalten die bereits 1934 geäußerten Grundgedanken
. Für ökumenisches Denken ergibt sich: da jede Ortskirche
die Kirche Gottes in der Fülle ist und vor 1054 Kirchengemeinschaft
trotz dogmatischer Unterschiede möglich war. kann eine volle dogmatische
Übereinstimmung nicht notwendig Bedingung für eine erneute
Kommuniongemeinschaft sein.