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Ausgabe:

1982

Spalte:

849-851

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Den Glauben neu verstehen 1982

Rezensent:

Ritschl, Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 11

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den römischen Katholizismus als Reformtheologe zurückgewonnene
BonhoefFer immer noch insgesamt um vieles reformatorischer und
evangelischer als der Bonhoeffer, der in den sich reformatorisch und
evangelisch nennenden Kirchen oft genug als Heiliger verehrt und
dabei domestiziert wird.

Dennoch: das Facit des Buches lautet: „Darum besteht kein hinreichender
Grund, die kritischen Bemerkungen zur Kirche ... als
eigentlich dogmatische einzustufen ... Die Kirche soll die Kritik Bonhoefters
verstehen als Aufruf, angesichts der Realitäten der modernen
Welt die längst überfällige Reform ihrer Gestalt, Sprache und Struktur
in AngrifTzu nehmen, um ihrer Sendung evangeliumsgemäß und zeitgerecht
zugleich zu entsprechen" (S. 167).

Ob es in Aufnahme des Erbes Bonhoefters um (qualitative) Umkehr
der Kirche von einem falschen Wege oder um eine (quantitative) Verbesserung
der Kirche auf ihrem rechten Wege (Reform ihrer überholten
, aber eben nicht verfälschten Gestalt, Sprache und Struktur)
geht, wird zwischen evangelischer und ekklcsialer Theologie strittig
bleiben; es ist ein Verdienst des vorliegenden Werkes von G. L.
Müller, daß es diesen Streitpunkt in der Konzentration auf Wesentliches
in Bonhoefters Theologie verdeutlicht.

Berlin Hanfried Müller

Den Glauben neu verstehen. Beiträge zu einer asiatischen Theologie.
Mit einer Einführung v. L. Wiedenmann. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1981. 149 S. 8" = Theologie der Dritten Welt, I.Kart.

DM 27,50.

Sollten die Beiträge in diesem Band, die von fünf Theologie-
; ' >ien und einer gelehrten Nonne geschrieben wurden, wirklich
als authentische Selbstdarstellung neuer asiatischer Theologie zu verstehen
sein, „Den Glauben neu verstehen", so wäre von nun an alle
Kritik aus den Kirchen Asiens an unserer professoralen, europäischamerikanischen
Theologie grundlos und unberechtigt. Denn hier liegt
ein mit mehr als 200 Anmerkungen, vielen bibliographischen Hinweisen
, lateinischen Ausdrücken, historischen Vergleichen und dogmatischen
Reflexionen ausgestattetes Buch vor, das in formaler Hinsicht
auch den konventionellsten Akademiker der Alten Welt befriedigen
muß (leider fehlt ein Register). Es handelt sich um den I. Band
einer neuen Reihe, „Theologie der Dritten Welt", die das Missionswissenschaftliche
Institut Missio in Aachen herausgibt. Der Band ist
durch L. Wiedenmann mit einer hilfreichen Einleitung versehen
worden. Die heute gängigen Termini werden erklärt und verschiedene
Typen von „Inkulturationstheologie" werden aufgezählt. Schon hier
wird deutlich, daß der Band vollständig auf die römisch-katholische
Kirche (und Literatur) konzentriert und darum inhaltlich natürlich
enorm begrenzt ist. Ferner wird schon in der Einleitung angedeutet,
daß die vielerorts gepriesene und romantisierte kontextuelle und
..Inkulturationsthcologie" („indigenous theology") der Dritten Welt
mit den verschiedenen Formen von Bcfrciungsthcologien - „Theologie
der Veränderung" nennt sie Wiedenmann - in starker Spannung
steht. In den Beiträgen selbst kommt das nicht mehr genügend zur
Sprache, weil für katholische Theologie, sieht man von Lateinamerika
ab, die Würfel bereits zugunsten der kontcxtuellen Theologie
gefallen sind. Daß diese aber von manchen Befreiungstheologen als
Ausverkauf an lokale Folklore und damit als Anpassungs-Theologie
abgelehnt wird, hätte in diesem Band außer in der Einleitung (durch
einen Europäer) schon erwähnt werden müssen. Warder Leser durch
Wiedenmanns Zitierung eines Theologen aus Sri Lanka neugierig
geworden, den Satz zu verstehen „Für uns Asiaten ist daher die Befreiungstheologie
eine durch und durch westliche Theologie" (S. 16),
so wird er im folgenden nicht belohnt.

Die Aufsätze selbst - alle sorgfaltig erstellt und dokumentiert -
beginnen mit einer grundsätzlichen Erörterung durch den philippinischen
Jesuiten Arevalo. Er führt sinnvolle Unterscheidungen ein
und verbindet theologisch „Inkulturation" mit Inkarnation, ein nicht

neuer, aber durchaus wichtiger Gedanke. Arevalos dominikanischer
Landsmann Rivera treibt die Frage nach Inkulturation noch konkreter
in die Richtung einer möglichen „Filipino-Theologie". Etwas
enttäuschend ist hier, daß dem Autor Übersetzungsfragen, auch die
Probleme der Verwendung von traditionellen Ausdrücken für gewisse
Riten und Handlungen am wichtigsten zu sein scheinen. Bezeichnend
ist denn auch die Formulierung einer Zwischenüberschrift, nämlich
„Wie weit dürfen wir gehen?".

Anregend und inhaltsreich ist der längste Beitrag in diesem Band,
die Gesamtbeurteilung der Situation in Indonesien durch den Jesuiten
R. H. Hardowiryono. Hier ist ein Fachmann am Werk, der historische
, ethnologische, systematisch-theologische Analysen mit konkreten
Vorschlägen zu verbinden weiß. Er will eine Preisgabe des
Evangeliums ebenso vermeiden wie eine Preisgabe Indonesiens; theologische
, pastorale und politische Aufgaben halten sich an Wichtigkeit
die Waage. Umso erstaunlicher ist es, daß dieser umsichtige
Berichterstatter dem Leser den Eindruck gibt, in Indonesien gäbe es
nur katholische und keine anderen Christen, wobei doch die röm.-
kath. Kirche mit knapp 2 Millionen Mitgliedern unter etwa 8 Millionen
Christen - mit deren Nationalem Kirchenrat die kath.
Bischofskonferenz sehr gut zusammenarbeitet - nur eine Minderheit
darstellt.

Stark auf eine Rechtfertigung Taiwans und eine Ablehnung des
politischen Systems in China konzentriert ist der Beitrag des chinesischen
Jesuiten A. B. Chang. Sieht man von den etwas unbeholfenen
politischen Analysen ab, so bietet der Aufsatz besonders anregende
theologische Hypothesen. Für Chang muß die christliche Theologie
tief in die chinesische Wesensart eindringen: sie findet dort eine
ganz andere Religiosität als in anderen Kulturen Asiens, Gott wird
anders (und anderswo) erwartet als im westlichen Christentum,
Himmel und Erde, Leben und Tod, der Einzelne und die Gemeinschaft
- sie alle bedeuten etwas anderes, als wir es von der christlichen
Tradition her gewohnt sind. Chang, der Konfuzius viel positiver beurteilt
als der folgende Beitrag aus Japan - riskiert den Gedanken
.....das Genie Konfuzius ... ob er nicht wie ein Prophet des lebendigen
Gottes ist, der dem chinesischen Volk gesandt wurde, um dem
Licht Christi den Weg zu bereiten" (S. 95). Das erinnert an die konstruktiven
Gedanken eines anderen chinesischen Theologen, Choan-
Seng Song (z. Z. Genf), der in der Auseinandersetzung mit W. Pannenberg
der gesamten westlichen Theologie vorhält, eine viel zu lineare
Geschichtsentwicklung vom alten Israel über die alte und mittelalterliche
Kirche bis hin zu den „Missionskirchen" einfach mit den
„Wegen Gottes in der Geschichte" identifiziert zu haben. Für beide
Theologen gilt der Satz, „daß Christus zu uns in China nach Hause
gekommen ist" (S. 96; vgl. meine Diskussion der Thesen von
Ch. S. Song in EvTh 39,1979,541 -565).

Sehr umsichtig und wohl am diflerenziertesten von allen Beiträgen
ist der Aufsatz des Belgiers E. D. P i ry n s über die Situation des Evangeliums
zwischen Tradition und Modernität in Japan. Es ist eine hervorragende
und breit dokumentierte Analyse der für das Aufnehmen
des Evangeliums erschwerenden traditionellen Religiosität in Japan.
Die hierarchische Grundstruktur der Familie und traditionellen Gesellschaft
, die starke Betonung von Scham (eher als Schuld), die polytheistische
Sicht der Wirklichkeit, die tiefe Furcht, am Rande der
Gesellschaft zu stehen („marginalisiert" zu werden), untersucht
Piryns im ständigen Bezug auf die Frage nach einer neuen, für Japan
sinnvollen Ekklesiologie, einer nicht auf Pfarrer und Priester konzentrierten
Kirche, die eine echte katalysierende Funktion wahrnehmen
könnte. Aber die aus dem Westen importierte „vorkonziliare Ekklesiologie
deckt sich mit der konfuzianischen hierarchischen Ordnung
und macht die bestehenden kirchlichen Strukturen unbeweglich"
(S. 117). Der Autor zeichnet auch Phasen der Kontextualisierung auf,
die in der Kirche in Japan angestrebt werden könnten, er weist auf
Gefahren hin, etwa den japanischen Nationalismus, und schließt mit
der wohlbegründeten These, zukünftige japanische Theologie müsse
sowohl japanisch als universal sein.