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Ausgabe:

1982

Spalte:

847-849

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Müller, Gerhard Ludwig

Titel/Untertitel:

Für andere da 1982

Rezensent:

Müller, Hanfried

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 11

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den zehn Referenten kamen acht aus den selbständigenlutherischen
Kirchen, zwei waren aus dem „anderen Lager" (7) eingeladen: Professor
Dr. Harding Meyer vom Institut für Ökumenische Forschung des
Lutherischen Weltbundes in Straßburg und Professor Dr. W. Löser SJ
von der Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt(Main).

Die Themen im einzelnen: R. Bohlmann (Missouri/USA) referierte über
„Normen der Kirche: Schrift und Bekenntnis", Harding Meyer undG. Hoff-
mann (Oberursel) über „Die eine Kirche und die Kirchen"; H. G ü nt her und
M. Roensch (beide Oberursel) über das Wirken des Heiligen Geistes nach
Paulus und nach den Bekenntnisschriften. Es folgten W. Löser und J. Schö-
n e (Berlin) mit Referaten über das Amt der Kirche nach dem Vatikanum II und
nach lutherischem Verständnis, sowie J. T. E. Renner (Australien) und
W. Kreiss (Frankreich) über die Problematik von Kirchengemeinschaft und
Gottesdienstgemeinschaft und schließlich D. P. Scaer (Indiana/USA) über
Taufe und Herrenmahl. Das Buch wird abgeschlossen durch einen kurzen Bericht
über die Aussprache zu den einzelnen Sachgebieten.

Für den Rezensenten, der auch - wie es im Vorwort heißt - aus
„dem anderen Lager" kommt, wirkt vieles wie aus einer fremden
theologischen Welt stammend. Da werden unermüdlich und mit großem
Ernst die Bekenntnisschriften zitiert. Da gibt es immer wieder
die Berufung auf die heilige Schrift im Sinne der Verbalinspirations-
lehre. Da ist das Festhalten an einem sehr umfassenden Lehrkonsens
als Voraussetzung für Kirchen- und Gottesdienstgemeinschaft. Natürlich
darf nicht verschwiegen werden, daß es in diesen Referaten auch
immer wieder sehr gründliche und interessante theologische Arbeit
gibt, besonders eindrucksvoll in J. Schönes Referat über „Das Amt
nach lutherischem Verständnis" und in dem Beitrag von David
P. Scaer über „Taufe und Herrenmahl im Leben der Kirche". Trotzdem
überwiegt der Eindruck: Hier artikulieren sich Theologen und
Kirche, die zwar aus derselben Tradition kommen, die aber den Weg,
den die Lutheraner im Weltbund und in der Ökumene zurückgelegt
haben, nicht mitgegangen sind. Es gibt gute Gründe, ihre Treue zu
Schrift und Bekenntnis, ihren Eifer um die Wahrheit des Evangeliums
zu bewundern. Allein schon die Thematik, unter der hier das Jubiläum
begangen wurde, macht deutlich, wie stark diese Theologie noch
auf die Grundfragen der Kirche konzentriert ist. Aber es bleibt die
Bewunderung eines Außenstehenden, eines, der „zum anderen Lager"
gehört, der mit seiner Kirche - freiwillig oder unfreiwillig - einen Weg
mitgegangen ist. der dorthin nicht mehr zurückführt.

Karl-Marx-Stadt Friedrich Jacob

Müller, Gerhard Ludwig: Für andere da. Christus - Kirche - Gott in
Bonhoeffers Sicht der mündig gewordenen Welt. Paderborn: Boni-
facius Druckerei 1980. 259 S. gr. 8' = Konfessionskundliche und
kontroverstheologische Studien, XLIV. Lw. DM 26,-.

Das Buch bietet eine Interpretation des Gesamtwerkes von Dietrich
BonhoefTer aus römisch-katholischer Sicht. Trotz Abweichungen in
Einzelheiten ist es vor allem der Bonhoeffer-Forschung von Ernst Feil
verpflichtet. Es beeindruckt sowohl durch umfassende Verarbeitung
der inzwischen ungeheuer angewachsenen Literatur über Bonhoeffcr
als auch durch eine erstaunliche Qucllenübcrsicht, die sich zum Beispiel
darin zeigt, daß manche Anmerkungen fast eine Konkordanz der
verstreuten Bezugnahmen Bonhoeffers auf den je behandelten Gegenstand
bieten, sowie durch sorgfältige Untersuchung wichtiger Einzelstellen
und durch eine heutzutage leider ungewöhnliche dogmengeschichtliche
Sachkunde.

Der Verfasser bestimmt zunächst in einem Literaturbericht kritisch
seine Ausgangsposition. Dabei geht es ihm vor allem um das „Problem
der Einheit in der theologischen Entwicklung" Bonhoeffers. Die
„Lösung" findet er in „einer in drei Phasen strukturierten kontinuierlichen
Einheit". Bei geringfügigen Korrekturen bleibt er damit im
Rahmen dessen, was eigentlich schon seit den Anfängen der Bonhocf-
ferforschung in den fünfziger Jahren durchgängig erkannt und weithin
anerkannt worden ist. Pfeffer und Salz bekommt diese These allenfalls

durch die Polemik des Autors gegen die Meinung des Rezensenten;
der von einem „qualitativen Sprung" in Bonhoeffers Entwicklung zur
Zeit des Beginns des Zusammenbruchs des deutschen Faschismus gesprochen
hatte. Wie die meisten spätbürgerlich orientierten Bonhoef-
ferforscher versteht auch G. L. Müller diesen Begriff, der ja aus der
Hegeischen Dialektik in den historisch-dialektischen Materialismus
eingegangen ist, nicht als Bezeichnung qualitativer Entwicklung, sondern
als Kennzeichnung eines „Bruches". So weist er, durchaus überzeugend
, Elemente der Kontinuität bei BonhoefTer nach, die ich allerdings
mit dem Begriff des „qualitativen Sprunges" nie hatte bestreiten
wollen, sondern (übrigens explizit) vorausgesetzt hatte. Daß BonhoefTer
sich qualitativ entwickelt hat, ist zwischen Rezensenten und
Autor unstrittig, G. L. Müller zeigt es selbst implizit durchgängig.
Trotzdem geht es allerdings nicht nur um einen Streit um Worte.
Bereits in der Literaturanalyse ist erkennbar und im weiteren Vollzug
des Werkes wird es noch deutlicher, daß der Vf. Bonhoeffers Bezüge
zur objektiv-historischen Bewegung seiner Zeit weitgehend ausklammert
, um Bonhoeffers Entwicklung betont geistig systemimmanent
und damit zugleich recht ahistorisch und apolitisch zu interpretieren.
Damit bleibt er hinter einem Forscher wie zum Beispiel Rainer Tiemo
Peters m. E. erheblich zurück.

Die nachdrücklich betonte Kontinuität und Einheit in Bonhoeffers
Werk gestattet es dem Vf., Bonhoeffers Äußerungen aus den verschiedenen
Phasen seines theologischen Denkens je systematisch zusammenfassend
darzustellen. Er tut das in den, der Standortbestimmung
im ersten Kapitel folgenden, drei Hauptkapiteln über „Christus und
die mündig gewordene Welt", über die „Kirche im weltlichen Christentum
" und über „Jesus Christus als Seinsgrund und Lebensprinzip
der Kirche".

Dabei bestimmt bei der sachkundigen Behandlung aller Loci den
Vf. vor allem das ekklesiologische Interesse. Ich weiß nicht, inwieweit
der Vf. dem Eindruck, den ich von seinem eigentlichen Ziel gewonnen
habe, zustimmen würde; ich kann mich dabei irren, denn was der Vf.
eigentlich will, wird so vorsichtig-abwägend formuliert, daß es weithin
im Arkanum bleibt. Dennoch will es mir scheinen, als ob der eigentliche
Reiz, den Bonhoeffer auf diesen weit- und gegenwartsoffenen
nachkonziliaren Katholizismus ausübt, darin läge, daß - von den
katholisierenden Tendenzen vor allem des jungen BonhoefTer her -
für einen römischen Katholiken hier reformatorische Theologie weniger
als Protest gegen Klerikalismus und Hierarchie denn vielmehr als
Ermutigung zu ihrer behutsamen Reform verstanden und weithin
akzeptiert werden kann. So wird BonhoefTer zum Zeugen eines Ag-
giornamento, bei dem die Anpassung an die heutige Welt das eigentliche
Ziel ist, von dem her bestimmt wird, inwieweit dazu eine kritische
Selbstkorrektur der Kirche unvermeidlich ist. Charakteristisch
scheint mir dafür die polemisch gegen mich gerichtete These des Vf.
zu sein, „daß eine so radikale Entgegensetzung von Glaube und Welt,
wie H. Müller sie als Quintessenz von Bonhoeffers Theologie herauszuarbeiten
und als konsequent reformatorisch zu erweisen versucht,
nicht mehr als Basis einer ökumenischen Theologie der Well dienen
könnte.. ."(S. 130; Hervorhebung von mir).

Erfreulich ist jedoch, daß G. L. Müller nicht etwa BonhoefTer stillschweigend
aus einem Theologen des reformatorischen Protestes
gegen eine selbstbezogene Kirche zu einem Theologen der reformerischen
Verbesserung dieser Kirche im Sinne einer „Kirche für andere"
macht und damit fälscht, sondern daß er klar Rechenschaft darüber
gibt, wo BonhoefTer wirklich in dieser kirchenreformistischen Richtungdenkt
(daß es einen katholisierenden BonhoefTer gibt, ist ja ebenso
unbestreitbar wie das Recht überzeugter römischer Theologie, sich
-auch gegen uns! - auf ihn zu berufen), wo jedoch auch in BonhocfTers
Theologie die Widerhaken sitzen, die es erschweren, ihn ganz in den
Reformkatholizismus hinüberzuziehen. Eine dieser Schwierigkeiten
zeigt der Vf. in seinem glänzenden Exkurs „Zum Problem der theolo-
gia crucis für das Verständnis von .Widerstand und Ergebung'"
(S. 128-137).

Übrigens ist dieser, im Wissen um alles, was dem entgegensteht, für