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Ausgabe:

1982

Spalte:

841-843

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kendall, Robert T.

Titel/Untertitel:

Calvin and English Calvinism to 1649 1982

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 11

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den kürzlich erlangten Glauben zu begründen. Seine „Quaestiones"
seien nicht nur eine literarische Form, sondern tatsächliche Fragen,
die er für sich selbst zu beantworten gesucht habe, d. h., er habe für
sich selbst geschrieben und nicht eine Publikation direkt geplant.
Seine Schriften habe wahrscheinlich erst einer seiner Freunde veröffentlicht
. Ein Literaturverzeichnis (S. 107-111) und ein Resume in
französischer Sprache (S. 113-120) beschließen die Untersuchung.

Vf. der zweiten Arbeit in Heft 2 ist W. Myszor. Sie beschäftigt .sich
mit dem Gnostizismus in den Texten von Nag-Hammadi. Der Untersuchung
liegt der Inhalt von 13 Kodices zugrunde, soweit er bis Ende
1975 publiziert und teilweise in westeuropäische Sprachen übersetzt
war. Das sind fast zwei Drittel des Bestandes. Sehr sorgfältig wird die
internationale Nag-Hammadi-Literatur und überhaupt die Standardliteratur
zur Gnosis aufgearbeitet, wobei die neuesten verwendeten
Untersuchungen im Jahre 1975 erschienen sind (vgl. das Literaturverzeichnis
S. 254-260, das freilich nur eine Auswahl bietet).

In der Einleitung gibt der Vf. einen Überblick über den internationalen Stand
der Gnosisforschung und macht Angaben über sein beabsichtigtes methodisches
Verfahren. Inhaltlich behandelt er folgende Probleme: I. Formen und
literarische Motive der Texte von Nag-Hammadi: Apokalyptik (in den betr.
Apokalypsen). Apokalyptik in den außerapokalyptischen Schriften. Dialog.
Brief. Meditative Formen, Exegetische Formen. Der Mythos der Weisheit. Der
Mythos von der Seelenwanderung. Der Mythos von den Archonten. Der
Mythos vom Erlöser. Der Mythos vom Urmenschen (S. 131-195). 2. Grundlegende
inhaltliche Elemente des Gnostizismus der neuen Texte: Der Vermittler
der Gnosis in den nichtchristlichen Texten, in den christianisierten
Texten und in den gnostisch-christlichen Texten. Gnostikerals Adressaten der
Gnosis. Die Übermittlung der Gnosis. Der Inhalt der erlösenden Gnosis. Die
Selbsterkenntnis. Die Erkenntnis der sichtbaren Welt. Die Erkenntnis der
unsichtbaren Welt (S. 196-249).

In der Zusammenfassung (S. 250-253) kommt der Vf. zu dem Ergebnis
, daß sich die These von Reitzenstein von der zentralen Rolle
des Mythos vom Urmensch-Erlöser für den Gnostizismus nicht aufrecht
erhalten lasse. Das Übergewicht biblischer Traditionen, besonders
aus der Genesis, lasse die Frage aufkommen, ob die gnostischen
Aussagen überhaupt die Gestalt eines im vollen Sinne ausgebildeten
Mythos besäßen. Die Schriften mit ausgesprochen vielen mythologischen
Motiven enthielten verhältnismäßig wenig christliche Elemente
, dagegen besäßen die Schriften von ausgesprochen christlichem
Charakter fast gar keine Mythologie. Schließlich seien diejenigen
Schriften aus Nag-Hammadi, in denen mythologische und alttesta-
mentliche Motive miteinander in Konkurrenz stehen, aus einer
früheren jüdisch-gnostischen Phase dieser religiösen Erscheinung herstammend
. Er wertet die Texte von Nag-Hammadi als Ausdruck
gnostischer Weltsicht mit Hilfe charakteristischer literarischer Formen
und Motive, als Ausdruck einer Bewegung religiösen, aber nicht
philosophischen Charakters, auch wenn vielleicht Begriffe aus dem
Piatonismus oder Stoizismus benutzt werden, einer religiösen Bewegung
mit dem Anspruch, eine Offenbarungsreligion zu sein. An das
Resume in französischer Sprache (S. 261-266) schließt sich ein Index
der Autoren und ein Sachindex an (S. 267-271).

Da es zu den Themen aller drei in diesem Band vereinigten Arbeiten
nur wenige Untersuchungen in polnischer Sprache gibt, werden
die Interessenten an diesen Themen in Polen das Erscheinen des
Bandes sehr begrüßen, erhalten sie dadurch doch einen guten Einblick
auch in den internationalen Diskussionsstand der erörterten Fragen.

Berlin Joachim Rohdc

Kendall. R. T.: Calvin and K.nglish Calvinism to 1649. Oxford: Uni-
versity Press 1979. XII. 238 S. gr. 8". = Oxford Theological Mono-
graphs. Lw. £ 12.50.

Dieses Buch schreibt Theologicgcschichte. Obwohl der Verfasser
sich wohl bewußt ist, viele dogmatische Fragen aufzuwerfen, will er
doch weniger Recht oder Unrecht, d. h. Schriftgemäßheit oder nicht,
untersuchen, sondern einfach darstellen, was es um die Calvin-

Rezeption in England vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
ist. Kendalls durchgängige These stellt fest, daß Calvins wirkungsreicher
Nachfolger Theodor Beza nicht nur hinsichtlich der
folgenträchtigen Westminster Assembly (1643-1649), sondern auch
ganz allgemein in der obengenannten Periode, d. h. in der Entwicklung
zum Puritanismus, „den Tag gewonnen hat" (196).

Bislang war weithin behauptet worden, in der englischen Theologiegeschichte
gebe es eine relativ geschlossene Linie von Calvin über
Beza und William Perkins zur Westminster Assembly, einer repräsentativen
Versammlung von Geistlichen, die nach dem Willen des englischen
Parlaments den Kurs in Theologie und Kirche für das Weltreich
bestimmen sollten. (167) Kendall, ein Amerikaner, der nach den
geistlichen und geistigen Wurzeln seines Landes in England sucht,
sich deshalb lange in Oxford aufhielt und nun das „Mutterland" (IX),
das Amerika „her soul" gab, zur Wahlheimat erklärt hat, ist am
Gegenstand seiner Arbeit durchaus existentiell engagiert. Dieses
macht das vorliegende Buch überaus sympathisch, zumal Quellenbelege
, übersichtliche Gliederung und Ergebniszusammenfassung
nach den einzelnen Kapiteln die Orientierung in der an sich vielschichtigen
Materie leicht machen.

Die Bemühung um Differenzierung der Zusammenhänge zwischen
Calvin selbst und den Stammvätern des englischen Puritanismus (u. a.
Perkins und Arnes) im Blick auf die faktische Aufnahme Bezas, zwischen
der Entwicklung in Holland (Jacobus Arminius und Dord-
rechter Synode, 1618) und dem England zur Zeit der Westminster
Assembly ist sehr hilfreich und darf als ein guter Beitrag zur Wirkungsgeschichte
der Reformation überhaupt gewertet werden, nachdem
die Einflußsituation der großen Reformatoren in der Historiographie
so überaus stark herausgehoben worden war.

Kendall beginnt mit einer Kurzcharakteristik des Glaubensverständnisses
Calvins: „Fundamental to the doctrine of faith in John
Calvin (1509-1564) is his belief that Christ died indiscriminately for
all men." (13) Durch den direkten Glaubensvollzug wissen wir dieses
(28), ohne die Möglichkeit weiterer Versicherung (assurance, 25)
durch vorhergehende Buße, Gesetzesbeachtung und anderes im „ordo
salutis" (27). Dieser Gedanke, so will Kendall zeigen, geht schon bei
Beza und in seiner Nachfolge bei allen anderen auf dem Wege zum
englischen Puritanismus verloren. Obwohl der Vf. hinsichtlich der
Puritanismus-Definition und seiner einwandfreien Aufweisbarkeit
recht vorsichtig ist, meint er doch festhalten zu können, daß Calvins
nur im Glauben wurzelndes Prädestinationsverständnis durch Vermittlung
Bezas und Perkins' ausgestaltet wird in einer relativen prak-
tisch-syllogistischen „experimental predestinarian tradition" (27).

Beza und die durch die Abfassung des Heidelberger Katechismus
(1563) bekannt gewordenen Heidelberger Theologen Ursinus und
Olevianus werden in einem nächsten Kapitel behandelt. Der Autor
sieht bei Beza einen sowohl quantitativ wie qualitativ von Calvin abweichenden
Glaubensbegriff. (38) Das wesentlichste Symptom der
Differenz ist für ihn sichtbar in Bezas Lehre von der begrenzten Buße
(limited atonement). Wenn Christus nicht selbst als der unmittelbare
Grund der Versicherung des Heils (wie Calvin es lehrt) durchgehalten
wird, dann fuhrt das nicht nur zur (alles unsicher machenden) Selbstprüfung
(Selbstbctrachtung, introspection), sondern macht auch eine
Selbst-Versicherung nötig, vor der Calvin gewarnt hat.

Hier liegt der Hauptgegenstand der Kontroverse, die die künftige
Entwicklung in England, Heidelberg und Holland in Abweichung von
Calvin bestimmt. Die Auslegung von IPetr 1.10 spielt hier eine hervorgehobene
Rolle. Bei Olevianus etwa ist der Hang zur Vergewissc-
rung (assurance) dadurch gekennzeichnet, daß er den „neuen Gehorsam
" als ein zwcifelsfrcies Zeugnis für den rettenden Glauben (saving
faith) ansieht. (41) Der praktische Syllogismus, die Reue, der zeitlich
aufweisbarc Glaube (temporary faith), das Gesetz, die Vorbereitung
zum Glauben spielen immer mehr eine Rolle, die Calvins Glaubensverständnis
als überzeugtes Wissen (knowledge, 19), das als ausschließlich
geistgewirkt behauptet wird, verläßt.
So beherrscht Beza nicht nur bei den Heidelberger Theologen das