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Ausgabe:

1982

Spalte:

61-63

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gherardini, Brunero

Titel/Untertitel:

Theologia crucis 1982

Rezensent:

Vercruysse, Jos

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 1

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Reichstag von Augsburg 1550 sich dauernd verschärft. Der Kaiser
fordert, daß die Bischöfe persönlich in Trient erscheinen, da ihre Prokuratoren
auf dem Konzil keine Stimme haben.

Während die Reichsstädte sich zum Konzilsbesuch willig zeigen,
ist diese Frage für die Universitäten schwieriger. Bedrückend ist für
alle die Kostenfrage. Für sie ist die Mitteilung belanglos, daß der
Papst einen Jubelablaß fürs Konzil verkündet hat. Nach der Mißernte
waren die Preise für die Lebenshaltung in Italien stark gestiegen.
Abgesehen von den hohen Kosten geben die Bischöfe in ihren Entschuldigungsschreiben
weitere Gründe an: die einen weisen auf den
weiten Weg hin, den sie in ihrem Alter nicht mehr zurücklegen können
, andere wieder auf die Gefahren, durch protestantische Gebiete
zu ziehen.

Von den ev. Fürsten will niemand persönlich erscheinen; sie sind
aber bereit, Räte und Theologen zu schicken. Vereinzelt klingt der
Gedanke an, daß sie fürs Konzil im Lande beten lassen. Meist spielt
das Konzil in ihren Überlegungen mehr eine politische als eine
kirchliche Rolle. Für Joachim II. ist es entscheidend, daß sein Sohn
Friedrich die päpstliche Bestätigung als Erzbischof von Magdeburg
und Halberstadt erhält, wozu er sich die Weihen schon hatte erteilen
lassen. Bekanntlich ein Fall, der ihn unglaubwürdig erscheinen ließ
und seine Freunde aufbrachte.

Moritz von Sachsen und Christoph von Württemberg stehen zusammen
und vereinbaren eine Verständigung ihrer Theologen. Die
Texte der Conf. Württembergica und Saxonica sollen verglichen werden
. Im Briefwechsel mit Karl V. gibt Moritz nicht nach und bleibt
auf seinen 5 Bedingungen bestehen, die für die päpstliche Seite unannehmbar
sind. Anderenfalls erklärt er die Anwesenheit seiner
Theologen in Trient für sinnlos. Jetzt ignoriert er Karls Kirchenpolitik
und kehrt sein Kirchenverständnis heraus. Für die Schweizer
kommt der Besuch eines päpstlichen Konzils erst recht nicht in Betracht
. Bullinger sucht auch andere zurückzuhalten. Der kaiserliche
Druck wird stärker, zumal bis zum Juli 1551 noch kein deutscher
Bischof in Trient erschien.

Die amtliche Eröffnung und die offiziellen Sessionen werden in den
Briefen nur am Rande notiert. Eindruck machen sie nicht, ebensowenig
die Verhandlungen über die Sakramentslehre (sess. 13 und 14:
Eucharistie, Beichte und Letzte Ölung). Die kuriale Erklärung, die
Protestanten könnten dazu ihre Meinung sagen, genügte niemandem.

Bereits im März 1552 war es klar, daß das Konzil nicht mehr lange
tagen würde. Die Erzbischöfe von Mainz und Köln bereiteten ihre
Abreise vor, die Theologen der Kongregationen hatten schon vorher
ihre Arbeit eingestellt. Die protestantischen Gesandtschaften waren
in Aufbruchstimmung geraten.

Dieser Band, der die Verhandlungen der zweiten Konzilsperiode
abschließt, reiht sich würdig den bisherigen Bänden dieser seit acht
Jahrzehnten laufenden Publikation von beachtlicher Größe an. In
editorischer Hinsicht ist diese Ausgabe vorzüglich. Nur ein Wunsch
mag noch geäußert werden: die Werke der Reformatoren sollten nach
neueren Ausgaben zitiert werden. Auszüge aus Seckendorf genügen
nicht. Im übrigen muß die Leistung des Bearbeiters sehr hoch eingeschätzt
und ihm der schuldige Dank ausgesprochen werden.

Münster Robert Stupperich

Gherardini, Brunero: Theologia crucis. L'ereditä di Lutero nell'evo-
luzione teologica della Riforma. Roma: Edizioni Paoline 1978.
399 S. gr.8* = Teologia,25. Lire 10.000.

Dank von Loewenichs klassisch gewordener Arbeit „Luthers
Theologia crucis" ist es allmählich eine verbreitete Meinung geworden
, daß Kreuzestheologie „Prinzip der gesamten Theologie
Luthers" sei. «sintesi e chiave ermeneutica» (49). Wie wurde dieses
Erbstück aber von der späteren Entwicklung der reformatorischen
Theologie übernommen? Für diese fesselnde Frage, der bis jetzt,
wenn ich recht sehe, noch nie systematisch nachgegangen worden ist,

sucht Gherardini in einer recht ausführlichen Untersuchung, wovon
einige Kapitel schon eher in «Doctor communis» und «Divinitas»
veröffentlicht wurden, eine Antwort.

Die Arbeit setzt selbstverständlich mit einer Darstellung der theologia
crucis Lutheri ein (s. schon: Doctor Communis 28, 1975,
252-290). Kreuzestheologie ist a) keine philosophische oder natürliche
, sondern eine offenbarte Erkenntnis; b) keine unmittelbare
durch Evidenz, sondern eine indirekte durch Vermittlung; c) nicht
auf die Natur und ihre Werke, sondern auf das Geheimnis des Kreuzes
und sein existentielles Abbild gegründet; d) nicht an den „verdinglichten
" Gott der Metaphysik, sondern an die Paradoxa der contraria
species, des «opus alienum et proprium», des «Deus abscon-
ditus - revelatus», d. h. an die Menschwerdung Gottes gebunden (49,
auch 348). In den folgenden Kapiteln wird dann nach der Lebendigkeit
einer solchen Theologie in der evangelischen Tradition gefragt,
erst bei Calvin, in den Lutherischen und Reformierten Bekenntnisschriften
und in der Orthodoxie (2. Kap.; s. Doctor Communis 29,
1976, 54-81); nachher vom Pietismus bis zur Religionsgeschichtlichen
Schule, wo besonders die Parenthese S. Kierkegaard ergiebig
ist (3. Kap.; s. Divinitas 21, 1977, 297-356). Man vermißt hier die
Philologia crucis von J. G. Hamann ganz. Im 4. Kap. wird breit auf
K. Barths Theologie eingegangen. Nirgends in der Geschichte der
Reformation, so meint der Vf., hat die theologia crucis eine getreuere,
und zugleich glücklich schöpferische Anwendung gefunden (210). R.
Bultmann, E. Käsemann, G. Ebeling (dessen „Wort und Glaube" II
und III nicht beachtet wurden, siehe doch „Wort und Glaube" III,
439-447), H. Braun, P. Tillich und die „Gott-ist-tot-Theologie" (wo
D. Bonhoeffer eher ungerecht behandelt wird) kommen im 5. Kap. an
die Reihe. Das 6. Kap. ist der Kreuzestheologie eines Kitamori
Kazoh und Jürgen Moltmanns gewidmet. Man staunt doch, daß katholische
Theologen, die einer Kreuzestheologie zugetan sind wie K.
Rahner, H. Urs von Balthasar, H. Mühlen. P. Schoonenberg und der
«discusso e discutibilissimo teologo di Tubinga», H. Küng, der außerdem
mit den unfreundlichsten Wörtern des ganzen Buches bedacht
wird (327), so schroff abgewiesen werden (323-328). Im Schlußkapitel
wird nach den Grundlagen der Kreuzestheologie in der Bibel und
in der Patristik gefragt (s. Divinitas 22, 1978, 176-219).

Zieht man zum Schluß das Fazit der Untersuchung, dann bleibt die
Frage, ob die anfängliche Behauptung, die theologia crucis sei der
Standard zur Deutung der Reformation und ihres Denken vom Anfang
bis heute (15), aufrecht zu erhalten ist. Wi r glauben es nicht. Die
Entwicklungskurve verzeichnet nur wenige Spitzen, neben Luther
noch Schelling, Kierkegaard, Barth und die gegenwärtige Welle. Um
die Behauptung zu beweisen, hat Gherardini Luthers geschlossene
und dynamische theologia crucis im Verlauf der Studie zerstückelt
und weithin verdünnt zu einer Untersuchung über die indirekte Gotteserkenntnis
durch Offenbarung und zu christologischen Erörterungen
über die satisfactio vicaria. Beide gehören in eine Kreuzestheologie
, aber sind doch nicht das letztlich spezifische der Lutherschen
theologia crucis.

Bei der Bestimmung der Kreuzestheologie stützt Gherardini sich
vornehmlich auf von Loewenichs „Luthers theologia c_rucis". Diese
bemerkenswerte Studie entstand aber vor genau 50 Jahren in der
Konjunktur der dialektischen Theologie, deren epistemologische
Fragestellung sie übernimmt. Das Erkenntnisproblem ist aber doch
nur ein Aspekt der theologia crucis. Es handelt sich bei dieser Theologie
vor allem um die persönliche, existentielle, praktische Betroffenheit
und Erfahrung des Kreuzesleidens inmitten der inneren Anfechtung
und der äußeren Verfolgung des Theologen, der zugleich
Christ, Freund des Kreuzes ist und, was zum Heil notwendig ist,
sucht. Er erfährt das allgemeine Grundgesetz des Handelns Gottes,
das er sowohl in der Schöpfung und im Schicksal Jesu, wie im Rechtfertigungsprozeß
und im eigenen Leben betrachtet: Gott schöpft aus
dem Nichts. Deswegen soll der Mensch erst durch Gottes opus alienum
zur Erkenntnis und zum Bekenntnis seiner Nichtigkeit kommen
, um sich restlos Gottes opus proprium der Barmherzigkeit anzu-