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Ausgabe:

1982

Spalte:

830

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Die Reformation in Deutschland 1982

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 11

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wird in zehn Kapiteln entfaltet, von deren Gedankenfülle hier nur kau „nationalistische" Tendenzen, als Konstantinopel im Interesse

weniges angedeutet werden kann. der Bedürfnisse der Kirche in Litauen die Politik einer bedingungs-

Mit der „Straße von den Warägern zu den Griechen" war die losen Unterstützung Moskaus aufgab. Doch auch als Moskau 1448 de

Kiever Rus'von jeher Objekt byzantinischer Diplomatie. Durch die facto eine Nationalkirche schuf, wurde der Gedanke der Universalität

Christianisierung im Jahre 988 ergaben sich drei verbindende, von nicht völlig aufgegeben.

den Russen jedoch nicht schematisch übernommene Momente: die Angesichts der Bedeutung seiner Kirche war der im 14. Jh. in

rhomäische politische Tradition, das griechische literarische Erbe und Osteuropa ausgeübte politische, kulturelle und religiöse Einfluß weit-

der orthodoxe christliche Glaube. aus größer, als man es von dem damals bereits stark geschwächten

Daß Rußland byzantinische politische Prinzipien und Konstanti- Byzanz erwarten konnte,

nopels kulturelle Führung annahm, „represents the greatest of all spi- Berljn Hans-Dieter Döpmann
ritual conquests of the Byzantine empire" (S. 14). Allerdings war Rußland
nie politisch von Byzanz abhängig, stand diesem deshalb loyaler

gegenüber als die Bulgaren und Serben. Da der Kaiser nie tatsächliche KirChengeSChiChtG: Ref Ormationszeit

Macht über die Russen ausübte, galt er ihnen mehr als Symbol christlicher
Einheit. Faktische Abhängigkeit von Byzanz ergab sich in der

Zeit bis 1448 allein durch die Kirche in Gestalt des von Byzanz einge- Stupperich, Robert: Die Reformation in Deutschland. 2., verb. Aufl.

setzten Metropoliten. Die Übernahme des kirchlichen Schrifttums Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1980. 281 S..

mit Nutzung der in Bulgarien gefertigten slawischen Übersetzungen i farb. Faltkte8"=GTB Siebenstern 1401. Kart. DM 16,80.
stand im Zeichen eines kulturellen Pluralismus der Byzantiner. Die

Russen erwiesen sich als deren treue Schüler auf dem Gebiet der reli- Das gleiche Werk, „eine Einführung und zugleich ein Lehr- und Ar-

giösen Kunst, der orthodoxen Spiritualität, Hagiographie, Ethik und beitsbuch" (9), war in erster Auflage im Rahmen der Monographien

dem Verhältnis zum lateinischen Christentum. Aber schon wegen der zur Weltgeschichte, hrsg. v. W. Hilgemann, im Jahre 1972 im Deut-

Sprachbarriere rezipierten sie die spekulativen theologischen und sehen Taschenbuch Verlag, München, erschienen. ThLZ 98, 1973

philosophischen Erkenntnisse des byzantinischen christlichen Hei- Sp. 603 f enthält eine Rezension darüber.

lenismus nur in begrenztem Umfang, konzentrierten sich auf jene Ele- Anzeige und Besprechung der 2. Aufl. können kurz sein, weil die
mente der griechischen theologischen Literatur, die leichter verständ- Bemerkungen zur Wertschätzung, Fragen und kritische Einwände, die
lieh und praxisorientiert waren. Im Unterschied zur griechischen die ganze reformationshistorische Anlage, aber auch manche Details
neigte die russische Orthodoxie zu strengerer Buchstabentreue, wie es betreffen, lediglich aufs neue zu machen wären; denn der Vf. hat - ab-
besonders die Krise im 17. Jh. bewies. gesehen von sehr wenigen Korrekturen zu Lebensdaten und Ergän-
Ausführlich untersucht Vf. die Rolle byzantinischer Diplomatie zungen - nichts geändert. Vielleicht teilen manche Fachkollegen die
und kultureller Traditionen für den in der Zeit der Tatarenherrschaft Erwartung des Rezensenten, daß im Vorwort oder an anderer geeigneentstehenden
Moskauer Staat. Die Goldene Horde stand in direktem ter Stelle einiges darüber zu finden sein sollte, weshalb der Autor geKontakt
zu Byzanz und den Stadtrepubliken Genua und Venedig, die meint hat, sich den Fragen und Prüfungsbitten zur Chronologie und
auf der Krim Handelszentren unterhielten. Der von Kaiser und Akzentsetzung zu verschließen.

Patriarch ernannte Metropolit von Kiew und ganz Rußland vermit- Natürlich ohne jedes persönliche Ressentiment - im Gegenteil:
telte nicht nur bei den Feudalfehden russischer Fürsten. Gemeinsam unter voller Anerkenntnis des respektablen wissenschaftlichen Le-
mit seinem in der Hauptstadt der Goldenen Horde residierenden benswerkesdes Vf. -darf wohl angemerkt werden, daß die daten- und
SufTragan besaß er für die Tataren den Status eines ausländischen akzentmäßige Zuverlässigkeit (siehe dazu jetzt u. a. auch M. Lieb-
Diplomaten, vermittelte zwischen Byzanz, der Goldenen Horde, den mann: Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation, Münster
Großfürsten von Moskau und Litauen sowie dem Königreich Polen. 1980, 63f, 223, 264) „dieses in der äußeren Konzeption und in der
Dank dieser privilegierten Stellung konnte er sich für die Belange der Lebendigkeit der Diktion so ansprechenden Taschenbuches"
gesamtruss1Schen Kirche einsetzen, und dies erklärt, weshalb Kon- (ThLZ 98,1973 Sp. 604) noch zu erhöhen gewesen wäre,
stantinopel im 14. Jh. bemüht blieb, die Einheit der russischen Kirche Berljn Joachim Rogge
unter einem Metropoliten aufrecht zu erhalten, der im von den Tataren
besetzten Gebiet und nicht in Litauen residierte. So trug Byzanz in

hohem Maße dazu bei, daß Moskau und nicht Wilna zum neuen Zen- und F,ugschrift ,„ Dienste der u|mer Reformation

trum wurde. Ausstellung zur 450. Wiederkehr ihrer Durchführung im Jahre

Metropoliten wie Cyprian konnten nur deshalb die Leitung der ]53[ y|m Schwörhaus, 21. Mai bis 31. Juli 1981. Weißenhorn:

Kirche im politisch geteilten Land aufrecht erhalten, weil sie ihre Un- Anton H. Konrad 1981. 132 S. gr. 8* = Veröffentlichungen der

abhängigkeit von der weltlichen Gewalt in Moskau wie in Litauen Stadtbibliothek Ulm, 1.
betonten. Darin zeigt sich zugleich ein Einfluß der Hesychasten, die

sich auch in Byzanz jedem Cäsaropapismus widersetzten. Für sie ver- Es handelt s.ch bei der Veröffentlichung um einen hervorragend

band sich der Gedanke des „Commonwealth" mit einer „ideal ausgestatteten Katalog, für den, wie für die Ausstellung, Bernd Brei-

supremaey" des Kaisers. Dementsprechend galt auch für die Russen tenbruch verantwortlich zeichnet. Nach einer Einführung in den Ver-

der christliche Kaiser als Förderer, nicht aber als Herr der Kirche. lauf der Ulmer Reformation werden 135 Exponate beschrieben, ge-

Dem Einfluß des Hesychasmus in Rußland hat M. große Aufmerk- gliedert in 9 Kapitel (Erste Anfange im Ulmer Franziskanerkloster;

samkeit gewidmet Ohne das Problem lösen zu können, in welcher Bürgertum und Münstergeistlichkeit in der Frühze.t der Reformation:

Beziehung der Sieg des Hesychasmus in Byzanz im 14. Jh. zur söge- Konrad Sam und der Zwinglianismus; Ulmer Reformationsdrucker;

nannten Paläologen-Renaissance stand, zeigt er auf in welch hohem Der Anteil der Laien; Das Jahr 1531; Martin Frecht und der sehr

Maße vor allem Kunstschaffen und Mönchtum in Rußland vom langsame Sieg des Luthertums; Zwei prominente Dissidenten in Ulm:

Hesychasmus geprägt waren. Zwar anerkenne man in der Fachlite- Sebastian Franck und Caspar Schwenckfeld; Der Schmalkaldische

ratur die Bedeutung des Mönchtums für die Sozialgeschichte Nord- Krieg und die Neuordnung der Ulmischen Kirche nach dem Interim),

rußlands doch sehe man nicht immer dessen Verbindungen zur by- Jedem der 9 Kapitel ist eine knappe, aber instruktive Einleitung bei-

zantinischen Tradition gegeben, bei der die historische und bibliographische Spezialliteratur

Obwohl sich die Russen als Teil einer universalen christlichen verarbeitet worden ist. Die Beschreibung der Exponate, zum großen

Gemeinschaft verstanden, zeigten sich besonders nach 1370 in Mos- Teil zeitgenöss.sche Drucke oder Archivalien (Stadtbibliothek Ulm