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Ausgabe:

1982

Spalte:

828-830

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Meyendorff, John

Titel/Untertitel:

Byzantium and the rise of Russia 1982

Rezensent:

Döpmann, Hans-Dieter

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 11

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Weitergehende Folgerungen etwa in dem Sinne, daß man den
Epochenbegriff „Investiturstreit" durch einen besseren ersetzen solle,
weil ja die Investiturfrage letztlich gar nicht so zentral und den Streit
auslösend war, werden nicht gezogen. Wir werden also weiterhin von
der Epoche des Investiturstreites reden, sollten uns aber vor Augen
halten, daß es dabei um eine viel weiterreichende Problematik ging.
Das wußte man gewiß auch vorher schon, doch die sehr gründliche
und anregende Quellenuntersuchung hat die Konturen dieses Bildes
erheblich deutlicher gemacht.

Rostock Gert Haendler

Beck, Hans-Georg: Geschichte der orthodoxen Kirche im byzantinischen
Reich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980. VIII,
268 S. gr. 8° = Die Kirche in ihrer Geschichte, Bd. 1, Lieferung D 1.
Kart. DM 68.-.

Die Problematik des Abfassens einer Geschichte der orthodoxen
Kirche im byzantinischen Reich macht Vf. schon in der einleitenden
Literaturübersicht deutlich. Selten wurde „die Geschichte dieser
Kirche um ihrer selbst willen geschrieben" (1). Seit der Reformationszeit
diente sie „als Fundgrube für die Materialschlachten der Konfessionen
" (1), stand die Auseinandersetzung mit Rom und dessen Primatsansprüchen
im Vordergrund. Deshalb blieben nicht wenige
Seiten des byzantinischen Kirchenwesens unberücksichtigt. Erst in
Darstellungen jüngerer Zeit ist man bemüht, Byzanz gerecht zu
werden. Dabei erweist sich schon angesichts der Verquickung von
Staat und Kirche in Byzanz ein ständiger Rückgriff auf die allgemeine
Gc schichte des byzantinischen Reiches als unabdingbar.

Aber auch heute ergeben sich Schwierigkeiten beim Bestimmen
eines Formalobjekts der byzantinischen Kirchengeschichte. Für Kirchengeschichte
als Geschichte des „Volkes Gottes" bieten die byzantinischen
Quellen wenig Anhaltspunkte. Auch zeigen sie nur geringes
Interesse am Bestimmen des Begriffes „Kirche". Selbst ein „In
sacerdotibus ecclesia constat" bietet keine ausreichende Grundlage,
zumal der Klerus nicht in einer dem Westen vergleichbaren Weise als
Stand in Erscheinung tritt : er hat kein theologisch-normatives Wissen,
das nicht auch den übrigen Gebildeten zugänglich wäre, keine eigene
Sprache, eigene Literatur, und es fehlen jene Herrschaftsformen, in
denen sich das klerikale Selbstbewußtsein im Westen darstellte. Erst
die Entwicklung einer systematischen Kanonistik, besonders im
12. Jh., führt allmählich zu einem klareren klerikalen Selbstverständnis.
Insbesondere aber berücksichtigen die Quellen, wie es auch im Bereich
anderer Kirchen der Fall ist, das christliche Volk fast gar nicht.

Deshalb meint Vf. man komme dem kirchlichen Leben und damit
der Kirchengeschichte in Byzanz nicht so sehr über Stände und statische
Gebilde, über Rechtsgebilde und logische Definitionen von
Kirche und Gesellschaft näher. „Vielleicht ist das Entscheidende ein
unstabiles Ambivalenzverhältnis zwischen dem, was man gemeinhin
Staat nennt, einerseits und geistlichen Erfordernissen und Ansprüchen
andererseits, die von Gruppen getragen werden, die sich gesellschaftlich
nur unscharf vom Staat abheben. Man kann dieses Verhältnis
der Einfachheit halber und trotz aller möglichen Mißverständnisse
politische Orthodoxie nennen. Sie geht zurück auf jenes Zueinander
von Kirche und Reich, das sich seit Konstantin dem Großen abzuzeichnen
beginnt" (5). Es blieb der Kirche die Möglichkeit, sich gegebenenfalls
von der kaiserlichen Politik zu distanzieren, und sie tat es
„vielleicht öfter als angenommen wird" (6). „Es liegt im System, daß
Politik und Dogma austauschbar werden" (6): seitens des Staates wie
auch der Kirche konnten dogmatische Formulierungen politische
Ziele im Auge haben. Daraus ergibt sich eine gewisse Unschärfe jeder
byzantinischen Kirchengeschichte. „Nur in ihrer Undeutlichkeit hat
sie die Chance, einem ,wie es wirklich war' etwas näherzukommen"
(6).

Beck entfaltet die byzantinische Kirchengeschichte in neun Hauptteilen
. Mit Ausnahme von Teil VI: Patriarchen und Kaiser in Nikaia,

gliedert er sie der jeweiligen Problemlage entsprechend in Unterkapitel
, in denen auf Fragen der Kirchenpolitik, der theologischen
Literatur, Kirchenrecht, kirchliche Verwaltung, Mönchtum, Mission,
Theologie und Spiritualität, kirchenpolitische Gruppierungen und
Häresien, kaiserliche Politik und patriarchale Ansprüche eingegangen
wird.

Vf. bemüht sich, die Vielfalt der Phänomene zur Darstellung zu
bringen. So erweisen sich bereits die Folgen von Chalkedon, mit
denen das Buch einsetzt, als ein Durcheinander „aus Personalfragen,
kirchenpolitischem Prestigedenken und unterschiedlichen theologischen
Konzeptionen und Terminologien, das aufzulösen sich lange
Jahrhunderte bemühen werden, ohne jedoch zu einem befriedigenden
Ende zu kommen" (8).

Natürlich kann bei der begrenzten Seitenzahl vieles nur verkürzt
behandelt werden. Dabei mag es zunächst verwundern, daß ein so
profunder Kenner der byzantinischen Theologie wie Beck die dogmatischen
Fragestellungen und Festlegungen sowie die theologischen
Konzeptionen der behandelten Schriftsteller nur andeutet oder relativ
kurz umreißt und gewisse dogmengeschichtliche Kenntnisse offensichtlich
voraussetzt. Doch ist dies verständlich, da der Autor in seinem
1959 erschienenen Standardwerk „Kirche und theologische Literatur
im byzantinischen Reich" auf diese Fragen umfassend eingegangen
ist und darauf verweisen kanti. So geht es ihm in der vorliegenden
Arbeit weniger um eine Darstellung dieser Probleme als deren
Einordnung in das Gesamtgeschehen und eine daraus resultierende
Wertung.

Es ist hier nicht möglich, aus der Fülle der behandelten Problemkreise
einzelne herauszustellen. Insgesamt erhält der Leser einen
plastischen Überblick und eine Fülle nachdenkenswerter Anregungen
. Das Buch wird ergänzt durch ein Verzeichnis der Patriarchen von
Konstantinopel bis zum Untergang des byzantinischen Reiches sowie
eine Erläuterung wenig geläufiger Termini.

Berlin Hans-Dieter Döpmann

Meyendorff, John: Byzantium and the Rise of Russia. A Study of
Byzantino-Russian relations in the fourteenth Century. Cambridge:
Cambridge University Press 1981. XIX, 326 S„ 1 Kte gr. 8*.
Lw. £ 30.-.

Das neue Buch von Erzpriester John Meyendorff, Professor für
Patristik und Kirchengeschichte am orthodoxen theologischen
St.-Vladimir-Seminar in New York und für byzantinische und osteuropäische
Geschichte an der dortigen Fordham-Universität, bietet
ebenso wie seine bisherigen theologischen und historischen Publikationen
nachdenkenswerte neue Aspekte.

Vf. geht davon aus, daß sich die bisherigen Darstellungen der Entwicklung
des zunächst unbedeutenden Moskau zum Zentrum des
Moskauer Staates im 14. Jh. zu sehr auf die russischen Quellen und
damit auf die innerrussische Problematik beschränkten. Deshalb versucht
er, den Aufstieg des Moskauer Staates im Gesamtzusammenhang
der osteuropäischen Geschichte und unter Berücksichtigung der
Rolle der Stadtrepubliken Genua und Venedig, die die durchs
Schwarze Meer führenden Handelswege kontrollierten, zu behandeln.

Unter Verwertung bisher wenig berücksichtigter Quellen der byzantinischen
, vor allem kirchlichen, Diplomatie untersucht M. die
Wirkungen dessen, was D. Obolenskij als „Byzantine Commonwealth
" bezeichnete: Byzanz als universales Zentrum, das der Stellung
Roms im Westen entsprach, die übernationale Idee einer christlichen
Gemeinschaft, bei der dem Kaiser und dem ökumenischen
Patriarchen eine symbolische Führungsrolle selbst bei jenen zukam,
die politisch und ökonomisch völlig unabhängig waren. Es äußert sich
einerseits in der jurisdiktionellen Oberhoheit des Patriarchats über die
russische Kirche als einziger Institution, die damals den Zusammenhalt
der russischen Fürstentümer gewährleistete, und andererseits im
kontinuierlichen geistigen Einfluß auf die slawischen Länder. Dies