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Ausgabe:

1982

Spalte:

808-810

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vogt, Ernst

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zum Buch Ezechiel 1982

Rezensent:

Thiel, Winfried

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807 Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 11

Altes Testament

Migsch, Herbert: Gottes Wort über das Ende Jerusalems. Eine lite-
rar-, stil- und gattungskritische Untersuchung des Berichtes Jeremia
34,1-7; 32,2-5; 37,3-38,28. Klosterneuburg: Österreichisches Katholisches
Bibelwerk 1981. XIV, 282 S. 8° = Österreichische Biblische
Studien, 2. Kart. ÖS 310.-.

Die klassische Vorstellung von einer „Baruchbiographie", der die
Fremdberichte des Jeremiabuches zuzuordnen seien,' ist zunehmend
unwahrscheinlich geworden. Man rechnet jetzt eher mit begrenzteren
Einheiten, denen die einzelnen Texte entstammen,2 wobei wohl der
These von einer in Jer 37,3-44* enthaltenen „Leidensgeschichte Jeremias
" die stärkste Überzeugungskraft eignet. Jüngst hat N. Lohfink
die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Jer 26 und 36 zu erweisen
gesucht.3

Die vorliegende Arbeit, eine von G. Braulik geförderte und ihm
gewidmete Untersuchung, setzt bei den Thesen Lohfinks an. Sie will
den Beweis dafür erbringen, daß Jer26; 36; 34,1-7; 32,2-5;
37,3-38,28a; 38,28b-43,7* eine ursprüngliche literarische Einheit
darstellten. Dabei konzentriert sich der Argumentationsgang auf die
Texte 34,1-7; 32,2-5 und 37,3-38,28a.

Zunächst schafft sich der Vf. durch eine textkritische Untersuchung
" seine Textbasis, die er in Transliteration und Übersetzung
darbietet. In der folgenden literarkritischen Bearbeitung der Texte (als
Ergänzungen werden 37,1 f.9f; 38,2.4ayS-<5. 9ba*ß.21 b-22 ausgeschieden5
) entfaltet er seine Konzeption: Die drei Texte trügen fragmentarischen
Charakter, der sich jedoch durch ihre Zusammenordnung auflöse
. Zudem sprächen inhaltliche, strukturelle und stilistische Gemeinsamkeiten
für die Zusammengehörigkeit. Zu dieser literarischen
Einheit gehörten auch K. 26 und 36, deren Thema ebenfalls das
Schicksal des Jahwewortes sei und die die selektive Darstellungsart
teilten. Eine thematische Brücke bildeten die Begräbnisvorhersagen in
36,30 und 34,5. Schließlich sei ein Substrat in 38,28b-43,7 als Abschluß
der Einheit zu vermuten. In einer äußerst subtilen und umfangreichen
Struktur- und Stilanalyse, die sowohl die Mikro- als auch die
Makrostruktur der untersuchten Passagen herausarbeitet, wird die
Hypothese weiter untermauert. Die Textfolge erweist sich als durchgehend
literarisch gestaltet und enthält nicht einfach ipsissima verba
des Propheten. Wegen der selektiven Darstellung, die noch Detailkenntnisse
der Hörer voraussetzt, sei sie nicht zu weit entfernt von den
Ereignissen entstanden. Ihr Ziel sei es zu zeigen, daß Zidkijas Versagen
gegenüber dem Wort Jahwes die totale Zerstörung Jerusalems
verursacht habe.

Aus dem eruierten Textzusammenhang ergeben sich neue Kenntnisse
über den Ablauf der Geschichte und das Schicksal Jeremias. So
sei der Prophet wegen der unaufgeforderten Verkündigung des Gotteswortes
(34,2-5) von Zidkija im Wachthof inhaftiert (32,2b.3a), nach
Abzug der Babylonier aber wieder freigelassen worden (37,4), wonach
sich dann die Ereignisse von K. 37; 38 anschlössen. Der Vf. macht
diese und andere Erkenntnisse unter Einbeziehung der Lachisch-
Ostraka auch chronologisch fest und stellt sie in einer Tabelle dar
(2531). Abkürzungs-, Literatur- und Stellenverzeichnisse bilden den
Abschluß.

Rez. hält die vorgelegte Rekonstruktion trotz aller darauf verwendeten
Mühe für unwahrscheinlich. Nur auf einige Hauptpunkte sei
aufmerksam gemacht:

1. Die vom Vf. herausgearbeitete selektive Darstellungsweise mindert
die Stringenz seiner Argumentation mit dem Fragmentcharaktcr der
Texte.

2. 32,2-5 ist ein besonders schwaches Glied im eruierten Textzusammenhang
, denn es handelt sich offenbar um eine Mixtur von Zitaten
und Anspielungen. 32,3a-5aa entsprechen teils variiert, teils wörtlich
34,2f (vgl. die Tabelle, 115). M. deutet dies als beabsichtigte Wiederholung
des Bescheides von 34,2 f. Das wäre auf derart engem Raum

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und in solcher Übereinstimmung seltsam und wohl auch singulär.

32.2- 5 enthält nur einen ganz dünnen Erzählungsfaden: V. 2.3a. Er ist
zu schmal, um darauf die These einer vorgängigen Inhaftierung Jeremias
im Wachthof zu gründen. Wahrscheinlicher bleibt eine Anspielung
an die Situation von 37,21 ff. Denn zu stark ist der Eindruck, daß
32,1-5 eine „Lagebeschreibung" für 32,6 ff nachliefern will.

3. Die vorübergehende Freilassung Jeremias schließt M. aus der
Notiz 37,4. Dort steht aber „Gefängnis" und nicht „Wachthof. Der
Vf. vermutet: „Jeremia hätte ursprünglich aus dem Wachthof in das
Gefängnis überstellt werden sollen." (92) Das ist aber doch wohl eine
Verlegenheitsauskunft.

4. Zwischen K. 36 und 34 klafft die gleiche chronologische Lücke wie
jetzt zwischen K. 36 und 37, wo sie durch die redaktionellen Verse
37,1 f überbrückt wird. Nach M. werden K. 36 und 34 durch die
„thematische Gegenüberstellung" (95) der beiden Begräbnis-Ankündigungen
in 36,30 und 34,5 zusammengebunden. Das überzeugt aber
nicht, denn die beiden Texte sind so wenig aufeinanderhin formuliert,
daß eine Korrespondenz nicht auf der Hand liegt.

5. Die Einleitungsformel von 34,1 ist sonst immer redaktioneller
Herkunft. Daß sie das hier nicht sein soll, ist nicht einzusehen. Zudem
setzt sie das Formelgut von K. 26 und 36 eben nicht fort.

Was bleibt? Sicher die wahrscheinliche Zusammengehörigkeit von

37.3- 38,28a* mit 38,28bff, vielleicht auch die diskutable Möglichkeit
der Vorordnung einer zu rekonstruierenden Form von 34,2-7 vor
37,3ff, schwerlich aber die Zugehörigkeit von K. 26; 36 und sicher
nicht die von 32,2-5 zu einem solchen Zusammenhang. Die darauf
gegründeten chronologischen und historischen Folgerungen bedürfen
der Überprüfung. Die vorgängige Inhaftierung und Freilassung Jeremias
gehört wohl in das Reich der exegetischen Phantasie. Freilich
bergen die Fremdberichte des Jeremiabuches noch viele ungelöste
Probleme. Darauf erneut verwiesen zu haben, ist das Verdienst dieser
Arbeit.

Berlin Winfried Thiel

1 B. Duhm, Das Buch Jeremia (KHC XI). Tübingen und Leipzig 1901. XVf
u. ö., vgl. W. Rudolph, Jeremia Ulk 1,12), Tübingen ' 1968, X Vf u. ö.

2 Vgl. ü. Wanke, Untersuchungen zur sogenannten Baruchschrilt (BZAW
122), Berlin 1971.

' N. Lohfink, Die Gattung der „Historischen Kurzgeschichte" in den letzten
Jahren von Juda und in der Zeit des Babylonischen Exils, ZAW 90, 1978.
319-347.

4 Hier könnte bereits die Kritik ansetzen. Der Vf. folgt weitgehend, wenn
auch nicht unkritisch, J. G. Janzen, Studies in the Text of Jeremiah (HSM 6),
Cambridge, Mass. 1973, und dessen Hochschätzung des LXX-Textes. Müßte
man nicht viel stärker mit Kürzungen der LXX zwecks Glättung rechnen?
Auch das Argument der lectio difficilior wird wohl zu formal gehandhabt. Z. B.
wählt der Vf. in 37,7 nach diesem Grundsatz die Singular-Lesart der LXX.
Daraus ergibt sich die Erklärung: Die Boten bleiben ohne Bescheid; Jeremia
bekommt nur ein persönliches Wort für Zidkija. Da der König aber erst in einer
viel späteren Situation anfragt, ist das ursprüngliche Wort überholt und wird nie
verkündigt.

' Daß in 38,4 gerade die in Lachisch-Ostrakon Nr. 6 Z. 6 vorkommende
Wendung ausgeschieden wird, ist bedauerlich.

Vogt, Ernst: Untersuchungen zum Buch K/echiel. Rome: Biblical
Institute Press 1981. X, 180 S. gr. 8" = Analecta Biblica, 95. Kart.
Lit. 16.500.;$ 18.35.

Der Inhalt des Buches entspricht genau seinem Titel. Es handelt
sich um eine Zusammenstellung einzelner, zum kleineren Teil schon
publizierter Studien zum Ezechielbuch, die inhaltlich nur lose (behandelt
werden überwiegend, aber weder vollständig noch ausschließlich
, Visionstexte), methodologisch aber enger verbunden sind: Es
geht dem Vf. fast durchweg um die Bestimmung der zahlreichen
Nachinterpretationen und um die Hcrausarbeitung der genuin pro-