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Ausgabe:

1982

Spalte:

58-59

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Fellermayr, Josef

Titel/Untertitel:

Tradition und Sukzession im Lichte des römisch-antiken Erbdenkens 1981

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 1

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vom Vf. bevorzugten philosophisch-theologischen Kategorien nicht
überzeugend gelungen sein. Beispielsweise ist der Satz: „Ein Interesse
der Theologie am Sozialismus ist... keine Modeerscheinung oder
ähnliches, sondern entspricht einer inneren Notwendigkeit" (140),
von W. nur insofern als Deutung dieser Entscheidung qualifiziert, als
Theologie an hinreichend aussagekräftigen Sozialtheorien interessiert
sei. „Auch der religiöse Sozialismus muß in dieser Hinsicht gesehen
werden ..." (ebd.).

Der letzte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit Erwägungen zum
Umgang von Theologie mit Wirklichkeit („Applikationen",
S. 140(1), wobei die Theologie Tillichs als gegenüber dem „Neuwerk"
weiterführende Orientierungskonzeption angeboten wird. Diese Ausführungen
lesen sich streckenweise als Klärungs- und Selbstverständigungsprozeß
. Mit der Rezipierung von C.-H. Ratschows Formel
„denkender Glaube" (152) wie auch mit seinem Argumentationsduktus
insgesamt bekennt sich W. dezidiert zu einer Position kritischer
Rationalität von Theologie und Glaube. - Die Studie enthält Passagen
mit historischem und prosopographischem Informationswert
(Kap. II und III), die für die weitere Erforschung des religiösen Sozialismus
in der Weimarer Republik nicht unwichtig sind.

Leipzig Kurt Nowak

Norden, Günther van: Der deutsche Protestantismus im Jahr der
nationalsozialistischen Machtergreifung. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1979.438 S. gr.8 Lw. DM 84,-.

In dieser Dokumentation werden Äußerungen aus dem deutschen
Protestantismus des Jahres 1933, gegliedert nach vier Sach- und Problemschwerpunkten
, dargeboten: 1. „Stellungnahmen ... zu den politischen
Ereignissen des Jahres 1933" (13-138). 2. „Die Deutschen
Christen" (139-233). 3. „Die entstehende Bekennende Kirche"
(235-312). 4. „Der deutsche Protestantismus und die Judenfrage"
(313-392). Eine kurze Einleitung (7-11) und die erläuternden Einstiegsskizzen
vor den Dokumentarteilen machen die historiographi-
sche Position van Nordens deutlich, der zu Beginn der 60er Jahre mit
der Monographie „Kirche in der Krise. Die Stellung der Evangelischen
Kirche zum Nationalsozialistischen Staat im Jahr 1933" (Düsseldorf
1963) bekannt geworden ist. Literaturhinweis, Zeittafel, chronologisches
Quellenverzeichnis und Personenregister (mit Kurzviten)
betten die Dokumentation in einen nicht gar zu extensiven wissenschaftlichen
Apparat ein.

Der Wert der Publikation besteht in der zusammenordnenden Darbietung
weit verstreuten Materials. Insofern leistet sie dem Studierenden
, der zu den Quellen vordringen möchte, gute Dienste, bietet aber
auch sonst manche Hilfestellung. Auf den Abdruck von Archivalien
hat van Norden (abgesehen von einigen Stücken aus dem LKA Düsseldorf
) verzichtet. Die Materialgrundlage bilden Presseveröffentlichungen
, Flugblätter, Gesetzblätter und Kleinschrifttum. Die konzeptionelle
Anlage der Dokumentation weist Analogien zu den Dokumentenbänden
von Brakelmann/Greschat „Politik und Kirche"
Bd. 1/2 (Luther Verlag Witten 1974) auf, die in verändertem Gewand
und unter Weglassung des einengenden Reihentitels jetzt bei Chr.
Kaiser fortgesetzt werden. Ursprünglich war die Dokumentation van
Nordens wohl ebenfalls für diese Serie gedacht. Die Fülle der dargebotenen
Zeugnisse macht das Buch zu einem Komplement der „Bekenntnisse
und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des
Jahres 1933" von K. D. Schmidt (Göttingen 1934) und der Gauger-
Chronik. Die Zitationsfähigkeit mancher Texte, namentlich aus dem
Broschürenschrifttum, hätte durch Einrücken der Originalpaginie-
rung erhöht werden können. Als wenig sinnreich erscheint die Praxis
des Verlages, das Werk in der Titelangabe nicht genusgerecht zu
kennzeichnen.

Die betreffs Lehrmaterial noch immer etwas verlegene Disziplin
Kirchliche Zeitgeschichte ist van Norden gewiß dankbar, daß er sich
der Erarbeitung dieses Dokumentenbandes unterzogen hat.

Leipzig Kurt Nowak

Dogmen- und Theologiegeschichte

Fellermayr, Josef: Tradition und Sukzession im Lichte des römischantiken
Erbdenkens. Untersuchungen zu den lateinischen Vätern
bis zu Leo dem Großen. München: Minerva Publikation 1979. X,
468 S. 8' = Minerva-Fachserie Theologie, 1. Kart. DM 48,-.

1) Ausgehend von dem Begriff „Erbschaft des Glaubens" (hereditas
fidei) bei Ambrosius forscht der Vf. dem Vorkommen und der Bedeutung
der /lerec/ifaj-Terminologie bei lateinischen Kirchenschriftstellern
der Antike nach. Vorstellungen und Begriffe des römischen Erbrechts
haben sich mit der Glaubensüberlieferung (Tradition) und
mit der Fortdauer und Weitergabe des kirchlichen Amtes (Sukzession
) verbunden. Obwohl beides nicht streng zu trennen ist, ergeben
sich so zwei Hauptteile der Arbeit: Tradition und Sukzession, jeweils
im Hinblick auf das römische Erbdenken betrachtet.

Ein einleitendes Kapitel befaßt sich mit der Erbthematik im AT
und NT. Während im AT das Land Kanaan und die Verheißung als
Erbe Israels gilt, geht es im NT um das durch Christus vermittelte zukünftige
Heil als Erbschaft. Grundlage der Erbterminologie ist die
Sicht der Beziehung zwischen Gott und Mensch als Verhältnis von
Vater zu Sohn. Obwohl sich bei der Übernahme von Schriftstellen
mit Erbthematik bei Kirchenvätern Einflüsse des römischen Erbrechts
zeigen, spielen diese Schriftstellen doch keine entscheidende
Rolle für das Eindringen erbrechtlicher Vorstellungen in den kirchlichen
Bereich. Wichtiger ist hier die allmählich eintretende Vergegenständlichung
des Glaubens, der zu einer Summe von Lehren und
damit gleichsam zu einer „Sache" (res) wird, welche vererbt werden
kann. Das beginnt schon mit dem depositum fidei (paratheke) von
lTim 6,20; 2Tim 1,12.14, welches weiterzugeben und zu bewahren
ist. Bei Tertullian ist das Verständnis des Glaubens als Sache, Besitz
und Erbe besonders ausgeprägt. Der Vf. entfaltet nun die Inhalte dieses
Glaubenserbes. Der Glaube der Patriarchen des Alten Testaments
(vor allem Abrahams) und die ihnen gegebenen Verheißungen werden
mit Hilfe antiker Erbkategorien gedeutet. Ambrosius verknüpft
die hereditas fidei auch mit dem Kaisertum. Der erste christliche Kaiser
, Konstantin, hinterließ den folgenden Kaisern ein Glaubenserbe
(wobei auch an das nieänische Bekenntnis zu denken ist). Sie sind verpflichtet
, es zu bewahren. Für die Kirche sind Friede und Einheit
(pa.x und unilas) ein wesentliches Stück der hereditas fidei. Dieser
Gedanke tritt bei Cyprian auf und erreicht einen Gipfel bei Augustin
im Kampf gegen die Donatisten. Ketzer und Schismatiker sind vom
Glaubenserbe ausgeschlossen und stehen in einer Erbfolge der Verworfenheit
(hereditas perfidiae) von ihren jeweiligen Stammvätern
her. Hier zeigt sich die Verflechtung des Erbschafts- mit dem Nachfolgegedanken
.

2) Als Hintergrund der Amtssukzession sieht der Vf. die Amtsnachfolge
(diadoche) in antiken Philosophenschulen, die Vererbung
von Staatsämtern in römischen Familien, das dynastische Erbprinzip
im Kaisertum. Auszugehen ist von der Tatsache, daß es schon sehr
früh Fälle von Vererbung von Bischofsämtern in einzelnen Familien
gab. Der Vf. schlägt sich auf die Seite der Theorie Von einem „Kalifat
" des Jakobus in der Urgemeinde (S. 233), beruft sich auf das Zeugnis
des Polykrates von Ephesus, daß 7 Verwandte von ihm Bischöfe
gewesen seien und verweist darauf, daß im Kappadozien des 4. und
im Gallien des 5. Jh. wichtige Bistümer in der Hand aristokratischer
Familien waren. Daran übt man Kritik. Die Bestimmung des Nachfolgers
durch den sterbenden Bischof und vor allem der Zölibat sind
Versuche, diese „Erblichkeit" zu durchkreuzen. Ein bisher vernachlässigtes
Motiv für die Forderung des Zölibats sei schon in der alten
Kirche der Wunsch, die Entfremdung des Kirchenguts durch Vererbung
in der Familie zu verhindern (S. 253f)-

Es gibt aber auch eine vergeistigte Erbvorstellung, welche die Abfolge
der Bischöfe von den Aposteln her als Erbfolge versteht. Der Vf.
bemüht sich, die Herkunft dieser successio-Terminologie aus dem
Erbrecht nachzuweisen. Es handelt sich bei der Amtsnachfolge der