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Ausgabe:

1982

Spalte:

761-763

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Krämer, Werner

Titel/Untertitel:

Konsens und Rezeption 1982

Rezensent:

Stoecklin, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 10

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läßt. Sinnvoll läßt sich diese Bezeichnung nur dann verwenden, wenn
die Struktur der Gedanken- und Vorstellungswelt bei beiden Theologen
wirklich grundverschieden wäre, und gerade das ist unwahrscheinlich
und soviel wollte der Vf. wohl auch gar nicht behaupten.
Man muß doch davon ausgehen, daß Dionysios ein gleichaltriger oder
nur wenig jüngerer Zeitgenosse des Origenes gewesen ist. „Schüler"
des Origenes im eigentlichen Wortsinn kann er damit gar nicht gewesen
sein. Eine Schülerschaft des Dionysios kommt nach Bienerts
Meinung allenfalls für dessen philosophische Bildung in Frage, ist
aber auch dafür unwahrscheinlich, weil Dionysios seine rhetorischen
Verzierungen nicht von dem aller Rhetorik abgeneigten Origenes
gelernt haben kann. Wenn die Vokabel „Origenist" einen Schüler des
Origenes bezeichnet, dann kann Dionysios in diesem Sinn von vornherein
kein Origenist gewesen sein.

Aber nun wird andererseits Dionysios von Euseb in der Kirchengeschichte
als Führer der Origenisten hingestellt. Dazu kommen die
Ergebnisse Bienerts in seinem nächsten Kapitel: daß unter dem Episkopat
des Dionysios die Lehren des Origenes in Alexandrien wieder
verstärkt Eingang gefunden hätten und daß es zu einer Rehabilitierung
des Origenes in der ägyptischen Kirche gekommen sei. Biencrt
meint sogar, daß die im „Streit der Dionyse" sichtbar werdende Auseinandersetzung
in der ägyptischen Kirche über die Trinitätslehre auf
den verstärkten Einfluß des Origenismus zurückzuführen sei. - Der
Rezensent will nicht ausschließen, daß das alles so gewesen sein kann.
Wenn wir aber von einer Geschichte so wenig wissen und so wenig
Zeugnisse haben, wie von der Geschichte der Trinitätslehre in Ägypten
im dritten Jahrhundert, dann meint er, sei eine geradlinigere und
weniger komplizierte Interpretation der Texte vorzuziehen, und es sei
richtiger, nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten zwischen
Dionysios und Origenes herauszuarbeiten. Soviel kann man
aber aus Bienerts Buch in jedem Fall lernen, daß es nötig ist, die Vokabel
„Origenismus" für die Theologie des dritten Jahrhunderts nur sehr
vorsichtig zu gebrauchen. Der Gedankenkomplex, dessen Entwicklung
den Verlauf der Dogmengeschichte bestimmt, ist im dritten
Jahrhundert nicht der Origenismus, sondern die alexandrinische
Theologie. Dazu kommt weiter, daß sich die Geschichte dieser Theologie
nicht allein aus dem Wirken ihrer führenden Persönlichkeiten
begreifen läßt, sondern vor allem aus den Einflüssen der gleichzeitigen
Philosophie, insbesondere der platonischen. Die Vertreter dieser
alexandrinischen Theologie innerhalb und außerhalb Ägyptens
waren so wenig sämtlich Origenisten, wie die Vertreter der dialektischen
Theologie sämtlich Barthianer waren. Weder Barths noch Origenes
' Bedeutung wird mit dieser Feststellung eingeschränkt. - Dazu
kommt noch eins. Der Spiritualismus, der in den späteren origenisti-
schen Streitigkeiten „Origenismus" genannt wird, hängt mit Origenes
und seiner ursprünglichen Lehre doch nur recht locker zusammen.

Das letzte Kapitel enthält eine Schilderung der Amtszeit des
Dionysios; der Vf. beschäftigt sich darin mit den Osterfestbriefen, dem
Streit um die Buße (Novatian), dem Streit mit den Chiliasten und dem
-Streit der Dionyse". Das Kapitel bricht relativ kurz bei einigen zu
knappen Spekulationen über Homousios und bei dem Antwortbrief
des großen Dionysios an seinen römischen Namensvetter Dionysius
ab. (Hinsichtlich des Homousios sei auf den entsprechenden Aufsatz
Bienerts ZKG 79, 1979, 151-75 verwiesen). Was der Rez. vermißt
bat, war ein ausgiebigeres Eingehen auf die Schrift des Athanasios
über die Stellungnahme des Dionysios. Das Buch ist im übrigen sehr
lebendig in anständigem Deutsch geschrieben.

Kiel Heinrich Kraft

rämer, Werner: Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der
Kirche im Basler Konziliarismus. Mit Edition ausgewählter Texte.
Münster/W: AschendorfT 1980. VII, 477 S. 8" = Beiträge zur
Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte
und Untersuchungen. N. F. 19. Kart. DM 120,-.

Was diese sorgfältig gearbeitete Untersuchung auszeichnet, ist der
Versuch, die innere Geschichte des Basler Konzils und damit auch die
daraus erwachsenen Probleme des damaligen Konziliarismus von
Grund auf zu erfassen. In acht Kapitel gelingt es dem Verfasser, dem
Grundthema - Konsens und Rezeption als den auch für die Kirche
maßgebenden und ihrer Tradition entnommenen Prinzipien - schrittweise
näher zu kommen und an einigen für das Basler Konzil repräsentativen
Persönlichkeiten im einzelnen zu veranschaulichen.
Krämer versteht es dabei ausgezeichnet, manche der üblichen Vorurteile
(etwa den subversiv-revolutionären Charakter des sog. Konziliarismus
, den übermächtigen Einfluß des Nominalismus, eines Marsi-
lius von Padua, eines Wilhelm von Ockham etc.) überzeugend abzubauen
. Umgekehrt wird aber auch deutlich, wie tief die konziliaren
Ideen des Spätmittelalters in einer noch viel älteren kirchlichen Tradition
wurzeln und selbst bei einzelnen papalistischen Theoretikern
noch längere Zeit nachwirken. Neben der kanonistischen Sehweise
und Argumentation gab es, wie Krämer nachweist, noch etwas anderes
, eine theologische Sicht der Kirche, und Krämer bemüht sich um
die „ekklesiologische Kontinuität in der Entwicklung vom Konstanzer
Konzil zum Basler Konzil".

Die wissenschaftliche Erforschung steckt freilich erst in den Anfängen
, wenn man bedenkt, daß manche wichtige Abhandlungen der
Konzilszeit als Ausdruck lebhaftester Auseinandersetzung noch
unediert in Bibliotheken (z. B. selbst in Basel) ruhen oder mindestens
noch kaum ausgewertet sind. In einem 70 Seiten umfassenden Textanhang
gibt Krämer mit Recht einige anregende Kostproben. Seine
eigenen Forschungsergebnisse lassen sich vielleicht folgendermaßen
resümieren:

Der Konziliarismus des 15. Jahrhunderts ist viel komplizierter, viel
differenzierter als man gemeinhin annimmt. Er nimmt aufgrund der
persönlichen konkreten Konzilserfahrungen eine besondere, individuelle
Prägung an bei jeder Persönlichkeit, der Krämer seine Aufmerksamkeit
schenkt: beim Kardinal Julius Cesarini, der als Präsident
in den wichtigsten Etappen des Konzils eine Vermittlerrolle
spielt (3. Kapitel), bei Johannes von Ragusa, dessen „Sukzessive Hinwendung
zur Konzilsidee" in einem besonderen (4.) Kapitel dargestellt
wird. Dem als Konzilshistoriker bekannten Johannes von Sego-
via ist ein weiteres Kapitel unter dem Stichwort „die stufenweise
Systematisierung des Basler Konziliarismus" gewidmet. Die Entwicklung
der konziliaren Kirchentheorie erreicht ihren Höhepunkt bei
Nikolaus von Kues. Dem Werdegang des Kusancrs „im Wandel der
politischen Einstellung" widmet Krämer verständlicherweise ein
eigenes Kapitel. Eine eingehende Würdigung erfahren auch so prominente
und einflußreiche Gegner der Konzilsidee wie Johannes von
Torquemada und Heinrich Kaltcisen. Auch ihren „Standpunkten
und Entwicklungsgeschichten" sucht Krämer in einem siebten Kapitel
gerecht zu werden, so gut wie weiteren Anhängern des Konziliarismus
wie Heymeric van den Velde (und seinen Einfluß auf den Kusa-
ner), dann Johannes Gonzalez, Bischof von Cadiz, den Titularpatriar-
chen von Antiochien Johannes Mauroux, ferner Johannes von Palomar
und schließlich nicht zu übersehen der Magdeburger Theologe
Heinrich Toke, der in den Auseinandersetzungen um ein drittes vermittelndes
Konzil eine große Rolle spielte, aber auch wegen seines
schon 1470 gedruckten Traktates „is ist noit, das dicke und vil conci-
lia werden". Toke wurde so „einer der wenigen Kon^iliaristen, die
eine bemerkenswerte Nachwirkung erzielen konnten" (299). Krämer
kann ich auf Grund meiner Studien zum verunglückten Basier Konzilsversuch
des Andrea Zamometic (1482) nur zustimmen.

Als eine um der Kirchenreform willen ins Leben gerufene Institution
konnte sich auch das Basler Konzil begreiflicherweise um die entscheidende
Grundfrage nach der Stellung des Allgemeinen Konzils
neben dem Papst nicht einfach drücken, im Gegenteil: das Verhalten
der beiden in der Superioritätsfragc zerstrittenen Parteien brachte der
einen Seite wohl einen Sieg und der anderen eine klare Niederlage,
nicht jedoch eine Lösung des eigentlichen Problems. Auch in dieser
Hinsicht dringt Krämer auf mehr Differenzierung im historischen