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Ausgabe:

1982

Spalte:

744-745

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kremer, Jacob

Titel/Untertitel:

Die Osterevangelien 1982

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 10

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manchem abwertenden Wort über Ferdinand Christian Baur in den
letzten Jahren dessen Sicht wieder mehr Recht zukommen lassen will.

Aufs Ganze gesehen, schießt er aber gehörig über das Ziel hinaus.
Seine überspitzte Methodik veranlaßt ihn, sich in Aporien zu verrennen
. Dies wird dann zuweilen dadurch noch besonders peinlich, daß
er in heftiger Polemik gegen andere deren Lösungen neben der seinen
nicht mehr gelten läßt. Die so begrüßenswerte intensive und gründliche
Auseinandersetzung mit der Forschung führt in der Sache - und
leider auch im Ton - zur Generalabrechnung mit ihr. Er will einen
„Frontalangriff gegen die herkömmliche Chronologie .. . führen"
(S. 26 f), „die bisherige deutsche Forschung" ist zu kritisieren, weil
„ihre Kritik (sc. an den Paulusausgaben der Act) nicht radikal genug
war", „auch ihre Benutzung der Paulusbriefe (war) zu unkritisch"
(S. 43). Typisch sind Wendungen wie „Hier ist sich die Forschung
ohne Ausnahme einig, daß ... Wahrscheinlicher ist jedenfalls ...",
„Mit großer Selbstverständlichkeit wird ... Dagegen: ..." (S. 44).
Ungeschoren kommt fast keiner davon. Die Formulierungen der Verdikte
sind oft hart. So ist das Buch dem Ton nach kaum auf Dialog
eingestellt. Schade! Es hätte ihn verdient. Gerade die Tatsache, daß L.
sehr energisch bisherigen Konsens hinterfragen und dabei weithin als
gesichert betrachtete Auffassungen buchstäblich auf den Kopf stellen
will, hätte wünschen lassen, daß er seine Meinung weniger apodiktisch
vorgetragen hätte. Er braucht doch den Dialog!

Wie verletzlich L.s Thesen selbst sind und wie sehr sie selbst zur
Kritik an sich provozieren, mag vielleicht am besten die bereits referierte
These zeigen, nach der das factum Antiochenum vor dem Konvent
stattgefunden habe. Das von L. angeführte Argument Quintilians
läßt in der Tat die Möglichkeit einer chronologischen Umstellung zu
(die aber m. W. nur selten praktiziert wurde). Die Möglichkeit im Falle
Gal 2,11 ff will L. durch seine Interpretation des Konvents erhärten.
Nun ist die von ihm vorgetragene These, auf dem Konvent sei das fundamentale
Problem der gemischten Gemeinden nicht übergangen
worden, als Hypothese durchaus erwägenswert. Ist es aber wirklich
„undenkbar", daß man dieses Problem übergangen habe? Wird hier
nicht im Blick auf eine geschichtliche Situation ein geschichtsdogma-
tisches Urteil ausgesprochen? Und man fragt sich auch, ob L. wirklich
, wie er behauptet, allein aus Gal heraus zu der Auffassung gelangt
ist, auf dem Konvent sei ein Dekret wie das Aposteldekret beschlossen
worden, ohne bereits zuvor etwas derartiges aus Act 15 kennengelernt
zu haben (S. 100, Anm. 96). Und schließlich: Für die chronologische
Umstellung führt L. das öxe Se zu Beginn von 2,11 an; hier werde nicht
das weiterführende Sneixa von 1,18.21; 2,1 gebracht (S. 44f. 104):
„Daß<5ra<5£'in2,l 1 die Erzählung weiterführe . . ., ist nur ein alter exegetischer
Zopf..." (S. 104). Freilich trägt Paulus selbst diesen
„Zopf; denn er fährt in 1,15 in chronologischer Reihenfolge fort, und
zwar mit - öxe öe (Warum macht L. dann aber S. 104 doch noch auf
1,15 aufmerksam?)

Daß der Versuch, das Judenedikt des Claudius auf 41 zu datieren,
gekünstelt ist, sei hier nur gesagt, ohne daß an dieser Stelle in eine ausführliche
Diskussion eingetreten werden kann. Für die Datierung auf
49 s. neuestens E. M. Smallwood, The Jews under Roman Rule. From
Pompey to Diocletian (SJLA 20), Leiden 1976, 210ff, von L. nicht
beachtet. Für 49 hat sich mit beachtlichen Gründen auch der Althistoriker
Dietmar Kienast geäußert (brieflich an den Rezensenten).

Nicht versäumen möchte ich aber, L. in folgendem Punkte zuzu-
pflichten: Paulus hat sich schon sehr früh als der Apostel der Heiden
(Rom 11,13) verstanden; schon sehr früh hat er selbständige Missionsarbeit
betrieben (S. 23, Anm. 14).

An sich gehört es nicht zum guten Stil einer Rezension, daß der
Rezensent die gegen ihn selbst gerichtete Polemik in dem zu besprechenden
Buch zum Gegenstand seiner eigenen kritischen Replik
macht. Wenn ich dies hier dennoch tue, so nur deshalb, weil gerade
dadurch in symptomatischer Weise eine grundsätzliche methodische
Schwäche von L.s Darlegungen deutlich wird. Er wirft mir vor, meine
These von einer theologischen Entwicklung des Paulus2, die er nicht
für richtig halten könne (früher hat er sich i. g. g. zustimmend zu meiner
Auffassung geäußert; erst aus dem Buch erfahre ich, daß er seine
Meinung geändert hat), sei chronologisch nicht abgesichert. Und in
der Tat habe ich keine Chronologie erarbeitet, da ich bestimmte bisherige
Bemühungen um diese Frage als überzeugend angesehen habe.
Ich habe meine These aufgrund innerer Kriterien erstellt. L. aber arbeitet
in seinem 1. Band spiegelgleich zu meinem Vorgehen. Er erstellt
seine Chronologie allein aufgrund äußerer Kriterien unter
bewußtem Verzicht auf innere Kriterien (S. 47 f. 213). L. verabsolutiert
also bewußt einen Partialaspekt und wirft zugleich mir genau dies
vor. Der Unterschied ist freilich, daß ich mich im Rahmen einer weithin
anerkannten Chronologie bewege, also sog. äußere Kriterien voraussetze
, er aber innere Kriterien einfach beiseite schiebt.3 Damit
erhebt sich aber ein ganz grundsätzliches methodisches Bedenken
gegen den 1. Teil seines Gesamtwerkes: Eine methodische Engführung
soll die gesicherte Basis für die weiteren Darlegungen garantieren
. Es wäre sehr zu wünschen, wenn L. zumindest im 3. Band doch
noch die Korrelation des gegenseitigen Sich-bedingens von äußeren
und inneren Kriterien bedächte. Eine kritische Anmerkung muß
jedoch noch auf jeden Fall angefügt werden: Sind die inhaltlichen
Aussagen in IThess und 1 Kor wirklich äußere Kriterien? Wird hier
nicht unter der Hand um des Prinzips des Verzichts auf innere Kriterien
willen ein inneres Kriterium, nämlich ein theologisch inhaltlicher
Punkt, einfach zum äußeren Kriterium deklariert?

Alles in allem: L. legt eine Studie vor, der der Paulusforscher wegen
ihrer Substanz Beachtung schenken muß. Der Autor hat unbestreitbar
mit seinem kritischen Engagement das Problembewußtsein geschärft.
Die Lösung, die er bietet, scheint mir aber in die falsche Richtung zu
gehen. Freilich können wir erst richtig urteilen, wenn alle drei Bände
vorliegen. Daß L. sich zum Ziel gesetzt hat, im Abschlußband eine
Rekonstruktion der Entwicklung des theologischen Denkens Pauli
vorzunehmen, ist zu begrüßen; denn Paulus in seinem theologischen
Werden zu sehen bedeutet, ihn als geschichtliche Gestalt ernst/u-
nehmen.4

1 H. D. Betz, The Literary Composition and Function of Paul's Letter to the
Galatians, NTS 21, 1975, 353-379; ders., Galatians: A Commentary on Paul's
Letter to the Churches in Galatia (Hermeneia), Philadelphia 1979.

2 H. Hübner, Das Gesetz bei Paulus. Ein Beitrag zum Werden der paulini-
schen Theologie (FRLANT 119), Göttingen 1978,21980.

Im übrigens, zu Lüdemann: ib. 2. Aufl., 185-187.
4 Inzwischen ist in EvTh 40, 1980,437-455 erschienen: G. Lüdemann, Zum
Antipaulinismus im frühen Christentum. Es ist die Vorankündigung des
2. Teils seiner Paulusmonographie. L. will hier der Baurschen These eines starken
antipaulinischen Judenchristentums an der Wurzel des Christentums wieder
mehr Gehör schenken. Erwähnt seien nur folgende Aussagen: Die uvaidnö
lnxibßov Gal 2,12 sind Abgesandte des Herrenbruders Jakobus; die Aktion des
Jakobus ist als antipaulinisch einzustufen. Der Vf. der Apg. meidet das Kollektenthema
, weil die Kollekte der paulinischen Gemeinden von den Jcrusalemern
nicht mehr angenommen wurde.

Göttingen Hans Hübner

Kremer, Jacob: Die Osterevangelien - Geschichten um Geschichte.

Stuttgart: Katholisches Bibclwerk; Klosterneuburg: Österreichisches
Katholisches Bibel werk 1977. 240 S., 3 S. Beilage 8'.
DM 24,-.

Bedauerlicherweisc kann das Buch, bedingt durch besondere Umstände
, erst so stark verspätet angezeigt werden. Es hat sich inzwischen
einen festen Platz in der Diskussion um die Osterberichte der Evangelien
erworben. Geschrieben ist es nicht nur für den Fachexegeten.
Nach einer problemorientierten Einführung in den Kontext der Oster-
evangclien in der frühen Gemeinde und im Glauben und Verstehen
der Gegenwart werden die Ostertexte der Evangelien einzeln nacheinander
sorgfältig und umfassend analysiert und ihre Bedeutung für
den Leser des Evangeliums - den damaligen und den heutigen - herausgestellt
. Die abschließende Zusammenfassung zeigt die verant-