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Ausgabe:

1982

Spalte:

51-54

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Heinrich

Titel/Untertitel:

Martin Luther in der Mitte seines Lebens 1982

Rezensent:

Mau, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 1

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Werken Martin Luthers entstammt die umfangreiche Untersuchung
von Siegfried Bräuer über die Vorgeschichte von Luthers „Brief an
die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist". Mit dieser
Untersuchung stellen sich eine Reihe von neuen Erkenntnissen zum
Problem Luther und Müntzer ein: 1. Es hat 1523/24 nach dem Befund
der Allstedter Amtsrechnungen wesentlich mehr Kontakte zwischen
Allstedt und Wittenberg gegeben als bisher bekannt war. 2. In
den Konflikt zwischen Schösser und Rat von Allstedt und Graf Ernst
von Mansfeld wurde der Kurfürst in beträchtlichem Maße mitverwickelt
. 3. Zwischen kurfürstlichen Theologen und den Allstedter
Predigern hat im Herbst 1523 ein Lehrgespräch stattgefunden. Damit
fallt neues Licht auf die Entstehung von Müntzers „Protestation" und
„Von dem getichten Glauben". 4. Es ist mit einem bisher nicht bekannten
zweiten Lehrgespräch im Januar oder Februar 1524 zu rechnen
. 5. Luthers Zögern gegenüber einer öffentlichen Austragung des
Konflikts mit Müntzer erhält aus den Zusammenhängen eine neue
Beleuchtung. 6. Entstehung und Funktion der sog. Fürstenpredigt
sind neu zu bestimmen.

Zwei Untersuchungen beschäftigen sich mit der theologischen Vorgeschichte
der Konkordienformel:

Bengt Hägglund schreibt über „.Maiestas hominis Christi'. Wie
hat Martin Chemnitz die Christologie Luthers gedeutet?" und kommt
zu der Überzeugung, daß Chemnitz' Christologie „im großen und
ganzen eine Weiterentwicklung der Ansätze bedeutete, die schon bei
Luther vorhanden waren", freilich in bewußter Aufnahme und Verarbeitung
theologischer Ansätze der Alten Kirche. Einen von Luther
unterschiedenen Begründungszusammenhang entwickelt Chemnitz
freilich bei der Behandlung der Frage nach der Gegenwart Christi in
der Kirche: sie darf nur mit exegetischen Argumenten begründet
werden (Luther argumentierte hier in umfassenden theologischen Zusammenhängen
).

Die Vorgeschichte von Artikel II der Konkordienformel arbeitet
Lowell C. Green neu auf unter der Überschrift „The Three Causesof
Conversion in Philipp Melanchthon, Martin Chemnitz, David
Chytraeus, and the ,Fprmula of Concord'". Er untersucht die Bedeutung
von conversio und causa bei Melanchthon mit dem Ergebnis,
daß Melanchthon conversio im Sinne von sanctificatio gebraucht,
wenn er von der Mitwirkung des menschlichen Willens spricht, und
daß der menschliche Wille dabei die Funktion der aristotelisch
gedachten causa materialis übernimmt. Damit stimmt die Deutung
überein, die Martin Chemnitz dem Sachverhalt bei Melanchthon
gegeben hat. In den Vorarbeiten zur Konkordienformel ist dann der
allmähliche Prozeß der Ausscheidung von Melanchthons Drei-Ursachen
-Lehre zugunsten eines Zwei-Ursachen-Schemas zu beobachten
, der sich gegen einen jedoch bis heute nicht klar auszumachenden
Adressaten - jedenfalls nicht gegen Melanchthon und Chytraeus, wie
E. Wolf meinte - richtet.

An der Spitze des Bandes steht ein Nachruf auf Albert Brandenburg
(gest. 29. 9. 1978), den Jos E. Vercruysse verfaßt hat.

Wie mit großer Selbstverständlichkeit geht die sorgfältige und, wie
man nur ahnen kann, mühevolle Arbeit an der Lutherbibliographie
weiter, die in diesem Jahrgang wiederum mit insgesamt über 1000
Ziffern (die nachträglich notierten Rezensionen eingeschlossen) vertreten
ist. Sie bleibt ein wichtiges Orientierungs-, Dokumentationsund
Arbeitsinstrument, für das den Bearbeitern nur sehr gedankt
werden kann.

Leipzig Ernst Koch

Bornkamm, Heinrich: Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das
Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag.
Aus dem Nachlaß hrsg. von Karin Bornkamm. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1979. 624 S. gr.8 Lw. DM 74,-.

Eine dem neueren Forschungsstand entsprechende wissenschaftliche
Lutherbiographie war ein seit langem empfundenes Desiderat.
Das bisher immer noch maßgebende Werk von Köstlin-Kawerau ist
in seiner Konzeption gut hundert Jahre alt und erfuhr noch vor der
„Lutherrenaissance" und den ihr folgenden Phasen neuerer Lutherforschung
seine letzte Bearbeitung. H. Bornkamm selbst hatte auf
dem 1. Internationalen Lutherforschungskongreß in Aarhus 1956
die Aufgabe einer neuen Lutherbiographie beschrieben. Angesichts
einer Flut von Arbeiten zu Luthers theologischer Gedankenwelt bei
zugleich fast völliger Vernachlässigung seiner Vita betonte er vor
allem die Notwendigkeit, die theologische und die biographische
Lutherdarstellung miteinander zu verbinden, da jede der beiden sich
nur zu ihrem eigenen Schaden von der anderen lösen könne. Durch
Beachtung von Entwicklungsstufen und historischen Situationen im
Leben Luthers müsse man der Tatsache gerecht werden, daß es sich
bei der Botschaft Luthers nicht nur um eine gedachte, sondern „um
eine erfahrene Theologie handelt" (11). Für eine neue Lutherbiographie
ergab sich damit das methodische Erfordernis, Luthers literarisches
Werk nicht - im Stile der gewiß nützlichen Referate bei Köstlin
-Kawerau - neben der Darstellung der Vita vorzuführen, sondern
es in seine Lebensgeschichte hinein aufzulösen und es „in einer viel
lockereren Weise" darzubieten. Die Biographie müsse „das theologische
Material, das sie natürlich voll zu verarbeiten hat, als untrennbaren
Bestand dieser individuellen Lebensgeschichte in ihren Stufen
sichtbar" machen (11 f).

Daß Bornkamm, der die letzten Auflagen des Buches seines
Lehrers Heinrich Böhmer über den jungen Luther besorgt hatte, an
einer zeitlich daran anschließenden Darstellung arbeitete, war seit
langem bekannt. Manche seiner Aufsätze konnten als Vorarbeiten
gelten; Grundlinien einer Lutherbiographie hatte er auch schon in
seinem Artikel über Luthers Leben und Schriften in RGG3 und in
dessen stark erweiterter Fassung „Martin Luther, Chronik seines Lebens
" (im Aufsatzband „Das Jahrhundert der Reformation") dargeboten
. Das geplante Werk zu vollenden, war ihm jedoch nicht mehr
vergönnt. Die ursprünglich von ihm als sachgemäß vertretene Zäsur
zwischen Luthers mittleren und späten Jahren beim Nürnberger Religionsfrieden
1532, da auf ihm „Luthers ganzes späteres Wirken" ruhe
(9), wurde bei der Ausarbeitung des vorliegenden Bandes auf 1530
(Augsburger Reichstag) zurückgenommen; inmitten dieses letzten
Kapitels bricht die Darstellung ab. Eine geplante Einleitung konnte
Bornkamm nicht mehr schreiben und auch nicht mehr, wie er es vorhatte
, weiteres Material und weitere Literatur einarbeiten. Dennoch
ist das, was nun Karin Bornkamm aus dem Nachlaß ihres Vaters vorgelegt
und mit einem Vorwort versehen hat, auch in seiner Unabge-
schlossenheit ein Werk von hohem Wert, das als Krönung der überwiegend
der Erforschung Luthers und der Reformationsgeschichte gewidmeten
Lebensarbeit H. Bornkamms gelten kann.

Der von B. schon früher geäußerte Grundsatz, daß eine Lutherbiographie
„sich dem wirklichen Lebensgang so eng wie möglich anzuschmiegen
" habe (11), fuhrt in der Aufgliederung des Stoffes zu einer
Abfolge von 24 Abschnitten unter Verzicht auf größere Zäsuren
(wiewohl die von 1525 deutlich erkennbar wird). Die mannigfache
Thematik des Lebens Luthers - Persönlich-Biographisches
(z. B. Wartburg, Heirat), theologische Arbeit, Vorlesungen, Schriften
(z. B. Antilatomus, Streit um den freien Willen, Abendmahlsstreit),
reformatorische Vorgänge, Politik - wird so in zeitlicher Staffelung
entfaltet. Da zur Gesamtaufgabe auch eine partielle Darstellung von
Reformationsgeschichte gehört, erfahren auch Vorgänge, an denen
Luther nur mehr mittelbar beteiligt ist (in Wittenberg und Zwickau
1521/22, Bauernkrieg, Politik der späten 20er Jahre) eine z. T. ausführliche
, jedoch Luther und Wittenberg als perspektivischen Punkt
beachtende Darstellung.

Die lebendige Mitte des Buches bildet, für den Leser stark spürbar,
das verstehende Nachzeichnen der Lebenssituationen Luthers und
seines mit ihnen sich verbindenden Denkens und Handelns. Besonders
auf dieser Ebene erwartet den Leser reicher Gewinn. Ob man die