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Ausgabe:

1982

Spalte:

730-731

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Leineweber, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Patriarchen im Licht der archäologischen Entdeckungen 1982

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 10

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darum die redaktionsgeschichtlichen Entscheidungen Beachtung. Die
sog. Ruben-Schicht, die „zumindest für die JG" als reine Bearbeitung
betrachtet werden soll, kommt auch für S. deutlich von der Patriarchenerzählung
her und läuft auf die Exoduserzählung zu; sie stimmt
aber auch in ihren geschichtstheologischen Vorstellungen schlicht mit
dem Elohisten der Urkundenhypothese überein. Gleichwohl will S.
auf seinem .Mittelweg' weder (z. B.) Gunkel noch (z. B.) Donner
glücklich machen; sonderlich mit Donner wird er ebenso leicht fertig
wie dieser mit den Spannungen in der JG.

Die späte „Jahwe-Schicht" ist erkennbar an dem in der Genesis
mehrfach .zitierten* Motiv von 12,3b (Israel als Segen für die Völker),
das in der JG freilich nur in 39,2-23 auftaucht. Hierin sieht S. den vornehmlichen
Ausdruck eines nach-elohistischen (und im traditionellen
Sinne allemal nach-jahwistischen) Redaktionsprozesses im Penta-
teuch. Im schroffen Gegensatz bes. zu H. W. Wolffs „Kerygma des
Jahwisten" (1964) hält er Gen 12,2f mitsamt dem Einbau der jahwi-
stischen' Urgeschichte für das Werk dieser Redaktion.

Dagegen läßt die ursprüngliche JG (=Juda-Schicht) eine Verbindung
zu Väter- und Auszugsgeschichte überhaupt nicht erkennen,
wenn man, wie S., die Einzelbezüge im Kontext der JG gleichermaßen
als nicht ,quellenhaft' ansieht (so vor allem den Rückbezug in
Ex 1,6.8-10). Diese ursprüngliche JG, eine „völlig selbständige Erzählung
" (127), hat natürlich nach Umfang und Aussage mit der
selbständigen Josephnovelle H. Donners wenig zu schaffen. Wie sie
ihr Israel-Kolorit erhielt, bleibt unklar, denn die Identifizierung von
„Jakob" und „Israel" sieht S. erst durch die Ruben-Schicht vollzogen,
obschon auch die Josephstradition der Juda-Schicht bereits „gesamtisraelitisch
" konzipiert ist (153). Aber für S. hat eben der „Israel" der
Juda-Schicht noch in keiner Beziehung zum Erzvater Jakob gestanden
. Wer S. hier folgt, muß Tür ein vor-elohistisches Stadium natürlich
auch die Funktion der JG als „Themenverbindung" (M. Noth, ÜP
227) zwischen den literarisch angrenzenden Pentateuchtraditionen
bestreiten - und hat dann einen garstigen Graben zwischen den Abrahamskindern
und Mose.

Das alles bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Datierungen. Nach
dem Abwägen der sprach- und kulturgeschichtlichen, zur fast generellen
Spätdatierung der JG führenden Bestimmungen Redfords
(130-149) nennt S. Grunde für die höchst unterschiedliche Datierung
seiner drei Schichten (150-173). Für die Juda-Schicht sucht er stam-
nesgeschichtliche Anhaltspunkte, für die Ruben-Schicht mitnichten.
Die „ursprüngliche schriftliche Fassung" der JG ist (nicht erst) für ihn
eine weisheitlich bestimmte Erzählung aus der Zeit Salomos; die
Ruben-Schicht (als Teil der elohistischen Schicht im Pentateuch)
datiert er „zumindest in die späte Königszeit - wenn nicht in die exilische
und die frühnachexilische Zeit" (163) - mit der leidigen Konsequenz
, seine „Jahwe-Schicht gleichfalls in der exilisch-nachexilischen
Zeit" unterbringen zu müssen (169). Zu diesen vagen Vorstellungen
•WM sich S. auch genötigt, weil er die Ruben-Schicht von einer prophetisch
beeinflußten, .schon' theologisierten, ,also' späten Weisheit
Beprägt findet. Einen Ausgleich mit den doch wohl gleichfalls .exilisch
-nachexilischen' Schichten und Redaktionen des Deuteronomis-
mus wie der (für die JG ja ohne weitere Umstände konzedierten) Priesterschrift
versucht S. nicht erst. Er öffnet die zeitliche Schere zwischen
salomonischer und exilisch-nachexilischer Literatur und Theo-
•°gic so weit, daß man sich derart folgenreiche Bearbeitungen einer ca.
400 Jahre älteren, vom werdenden Pentateuch zudem eher unabhängig
überlieferten Erzählung nur schwer vorstellen kann.

Dementsprechend unausgeglichen erscheinen mir im 3. Teil die
••Konsequenzen" für die Pentateuchanalyse im ganzen. Sie bestehen
mitgehend darin, daß die älteren (P. Volz, W. Rudolph, S. Mo-
w'nekel) und (unzulässig knapp) auch neuere Angriffe auf die „herrschende
Urkundenhypothese" kritisch referiert und partiell rezipiert
wcrden. Diese den Untertitel des Buches abdeckende Überschreitung
des thematischen Rahmens - als Unterstreichung der Relevanz eines
Teüs Tür das Ganze verständlich - überzeugt mich nicht völlig, gleichviel
, ob S. seine literar- und redaktionskritischen Ergebnisse „völlig

unabhängig davon" (190) gewonnen hat oder nicht. Aber es bleibt
eine bemerkenswerte Leistung von S„ am exemplarischen Text der JG
erneut auf einen faulen Frieden in der Pentateuchkritik aufmerksam
gemacht und eine verantwortete Vermittlung zwischen den Extremen
der Quellenbesessenheit und einer unausgegorenen Quellenbestreitung
gesucht zu haben.

Göttingen Lothar Perlitt

Leineweber, Wolfgang: Die Patriarchen im Licht der archäologischen
Entdeckungen. Die kritische Darstellung einer Forschungsrichtung.
Frankfurt/M.-Bern-Cirencester/U. K.: Lang 1980. 289 S. 8' = Europäische
Hochschulschriften, Reihe 23, Theologie: Bd. 127. Kart.
sfr47.-

Wolfgang Leinewebers Dissertation, die im Sommer 1978 vom
Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg
angenommen wurde, geht ebenso wie die Arbeit des frühverstorbenen
Helmut Weidmann,' die sie ergänzt und weiterführt, auf eine
Anregung von Ernst Würthwein zurück. Auf die Aktualität des von L.
kritisch gesichteten Kapitels Forschungsgeschichte braucht nicht
besonders hingewiesen zu werden in Anbetracht der weitgehenden
Spekulationen, die sich gegenwärtig an die Ebla-Texte bereits vor
ihrer Veröffentlichung knüpfen. Das Bestreben, die historische Zuverlässigkeit
der Partriarchenerzählungen der Genesis durch Heranziehung
archäologischer Funde und Befunde zu .beweisen' und womöglich
in dieser oder jener Hinsicht noch Genaueres über die Patriarchen
und ihre Zeit durch Texte aus der Umwelt des Alten Testaments zu
erfahren, ist nach wie vor lebendig.

Der Vf. hält sich nicht mit einer Darstellung der geschichtlichen
Entwicklung dieser Forschungsrichtung auf, die ja schon in der Alten
Kirche ihre Vorläufer hat. Seine kritische Darstellung ist - sehr zu
ihrem Vorteile - systematisch angelegt. Von der Frage nach der Herkunft
der Patriarchen bis zu den Problemen ihrer Religion werden die
Argumente der ,archaeological evidence' Zug um Zug unter nahezu
lückenloser Heranziehung der einschlägigen Veröffentlichungen gesichtet
.2 Es bleibt nicht viel.

Seinen eigenen Standpunkt in der Forschungsgeschichte macht L.
hinreichend deutlich. Die Namen von J. Wellhausen, A. Alt und
M. Noth, die dem Leser besonders oft in zustimmenden Zitaten begegnen
, kennzeichnen seine Position in der Tradition der historisch-
kritischen alttestamentlichen Wissenschaft des deutschen Protestantismus
. Dabei verschließt er den Blick nicht vor den Schwächen im
.eigenen Lager', wie seine kritische Auseinandersetzung mit A. Alts
Hypothese vom ,Gott der Väter' zeigt (172 ff).

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß L. in seiner Kritik stets
sachlich und maßvoll bleibt, ohne in die peinliche und letztlich ihrem
Anliegen wenig dienliche Polemik vornehmlich der amerikanischen
Vertreter der dargestellten Forschungsrichtung zu verfallen. Er beschränkt
sich auch nicht auf die kritische Richtigstellung von Sachverhalten
, sondern geht auf methodische Grundlagen des Prinzips der
.archäologischen Evidenz' in Anwendung auf die Patriarchenüberlieferungen
ein (211-240). Wesentlich für die Einschätzung der Forschungsrichtung
dürfte die Erkenntnis sein, daß es sich vornehmlich
um eine Frage des Glaubens handelt. Was eigentlich erst zu beweisen
wäre, die historische Zuverlässigkeit der Patriarchenerzählungen im
Rahmen der in ihnen selbst enthaltenen Chronologie, wird als unumstößliche
Voraussetzung angesehen, die man nur noch durch archäologische
Zeugnisse zu bestätigen und zu ergänzen braucht. Das führt
zu der von L. mit Recht bemängelten Vernachlässigung der literarischen
und formkritischen Analyse, ohne die nicht zu wissenschaftlich
anerkennenswerten Ergebnissen zu kommen ist.

Auf der letzten Seite seines Buches verweist der Vf. unter der Überschrift
„Weiterführende Fragen" auf einige „Sachgebiete", die der
Weiterarbeit bedürfen. Dazu gehört eine neue gründliche literaturwissenschaftliche
Analyse der Patriarchenüberlieferungen und die Auf-