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Ausgabe:

1982

Spalte:

700-701

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Schulze, Manfred

Titel/Untertitel:

Von der Via Gregorii zur Via Reformationis 1982

Rezensent:

Schulze, Manfred

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699

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

700

1981. 176 S. kl. 8* = Worauf es ankommt. Herderbücherei 888. DM 7,90.

Wiggermann, Karl-Friedrich: Theologie als geistige Lebensform. Zum 100.
Geburtstag von Leonhard Fendt. (Pth 70, 1981 S. 297-304).

Zirker, Hans: Der Glaube der Kirche und die Erfahrungen der Christen.
Belastungen in Familie und Öffentlichkeit (ThQ 16.1,1981 S. 115-130).

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

Kleinknecht, Karl Theodor: Der leidende Gerechtfertigte. Untersuchungen
zur alttestamentlich-jüdischen Tradition vom .leidenden
Gerechten' und ihrer Rezeption bei Paulus. Diss. Tübingen
1981.2Bde.,330 S., 128 S.

Paulus stellt in seinen Briefen seine Leiden einerseits in einem chri-
stologischen Bezug, andererseits unter Rückgriff auf ihm bereits vorgegebene
, geprägte Sprach- und Vorstellungsmuster dar. Diese beiden
grundsätzlichen Beobachtungen sind nicht neu, sie sind aber jede für
sich in ihren Einzelheiten und ihrer Deutung umstritten, vor allem ist
die Bedeutung des Nebeneinanders beider Arten von Bezügen bisher
kaum erwogen worden.

Eine nähere Untersuchung der Traditionsbezüge weist als dominierenden
Hintergrund der paulinischen Leidensaussagen die Vorstellung
vom .leidenden Gerechten' aus, wie sie in zahlreichen Texten
(verschiedener Form und verschiedenen Alters) des Alten Testaments
und des zwischentestamentlichen jüdischen Schrifttums begegnet.

Der erste Hauptteil der Untersuchung zeichnet zunächst („A":
S. 13-142) in einer diachronen Skizze die Geschichte dieser Vorstellung
nach. In vorexilischen Psalmen ist eine Grundstruktur zu erheben
, die sich schon früh zu einer Tradition verfestigt und auch in
andere Textbereiche einwirkt. Ihre weitere Entwicklung läßt sich als
kohärenter Prozeß von Rezeption und Innovation beschreiben: in
stetiger Aufweitung um neue, den historischen Befindlichkeiten
Israels Rechnung tragende Aspekte und in deutlicher Wechselbeziehung
mit anderen Traditionsbereichen (v. a. dem prophetischen und
dem weisheitlichen) prägt sie allmählich ein Spektrum von Akzentuierungen
und Nuancierungen aus (zu dem auch die trotz ihres
besonderen Charakters mit der Tradition vom leidenden Gerechten
aufs engste verflochtene Gottesknechtsüberlieferung des Deuterojesa-
jabuches gehört). Im zwischentestamentlichen Schrifttum setzt sich
dieser Prozeß unter deutlicher Erweiterung des Spektrums seiner
Aspekte und Sprachmöglichkeiten bruchlos fort.

In einem weiteren Arbeitsgang („B": S. 143-164) zeigt sich, daß
schon Jesus sowohl in seiner ßamleia-Verkündigung (in Jesus vollzieht
sich die rechtfertigende Zuwendung Gottes zu den Leidenden,
Schwachen und Armen) als auch im Blick auf das Verständnis seines
bevorstehenden Todes (v. a. Mk 10,45) Elemente dieser Tradition in
spezifischer Neuakzentuierung aufnimmt. Die ältesten nachösterlichen
Deutungen der Passion, des Todes und der Auferweckung Jesu
greifen dann (in Fortsetzung dieser Ansätze) ausführlich auf das Traditionsfeld
vom leidenden Gerechten zurück, indem sie Jesus als den
in die Rolle des leidenden Gerechten eingetretenen Messias, der als
der eine, wahre Gerechte durch sein Leiden Sühne wirkt, beschreiben
und bekennen.

Die im zweiten Hauptteil durchgeführte Textuntersuchung („A":
S. 165-308) aller wichtigen Leidensaussagen der echten Paulusbriefe
arbeiten deren Argumentationsstruktur und Traditionsbeziehungen
(die nicht auf die Tradition vom leidenden Gerechten zu reduzieren
sind, wohl aber von ihr eindeutig dominiert werden) zunächst je für
sich heraus, um dann beide Aspekte in einer ganzheitlichen Interpretation
zu verbinden. Dabei ergibt sich ein aufgrund der verschiedenen
Situationskontexte in den einzelnen Briefen unterschiedlich akzentuiertes
und nuanciertes Bild, das sich aber in seinen wesentlichen
Linien zu einer Einheit verbinden läßt, die abschließend („B":
S. 309-319) skizziert wird: Paulus übernimmt die (seinen eigenen

Erfahrungen mit dem Auferstandenen entsprechende) Christologie
der vorpaulinischen Gemeinden, die wesentlich von der Tradition
vom leidenden Gerechten (unter Einschluß von Jes 53) geprägt ist.
Dadurch erschließt sich ihm, dem gebildeten Juden mit schriftgelehrter
Schulung, das weite Traditionsfeld vom leidenden Gerechten
neu: die Tradition gewinnt ein neues, christologisches Zentrum.
Von hier aus kann er christlich-theologische Zusammenhänge, vor
allem aber auch seine eigenen Erfahrungen des Leidens und der Verfolgung
in der Smxovi'a Christi, mit Hilfe der Tradition vom leidenden
Gerechten artikulieren. So begreift er seine (und der Christen) Rechtfertigung
in Christus als ein Heilshandeln Gottes am Schwachen,
Niedrigen und Nichtsseienden, wie es die Tradition vom leidenden
Gerechten bezeugt, wodurch ihm aber auch in diesem Äon eine Position
zugewiesen ist, für die der ',leidende Gerechte' der Tradition
Modellcharakter hat. Vor allem aber sieht er alle, denen in Christus
die Gottesgemeinschaft eröffnet worden ist (und sich selbst in ganz
besonderem Maße), auf und an der Seite Gottes in den Kampf mit der
Gott widerstreitenden, diesen Äon beherrschenden Macht der Sünde
und des Todes gestellt: Als Gerechtfertigte geraten die Christen (wie
die .Gerechten' der Tradition) in Anfeindung und Leiden um Gottes
(und Christi) willen, sind sie ,Mitkämpfer Gottes'. Auch dieses
,Modell' der Tradition ist Paulus dadurch erschlossen, daß der Christus
selbst darin eingetreten ist (Rom 15,3/Ps 69,10).

Das Nebeneinander von christologischem Bezug und Traditionsbezug
der paulinischen Leidensaussagen ist also in der Sache kein
Neben-, sondern ein völlig vermitteltes Ineinander: die Tradition
ermöglicht ein Verständnis des Leidens, Sterbens und Auferstehens
Jesu und erschließt so einen der wichtigsten Aspekte der Christologie;
umgekehrt gibt die Christologie der Tradition ein neues Zentrum und
identifiziert den von ihr seit alters bezeugten barmherzigen Gott definitiv
mit dem, was Gott in und an Jesus Christus getan hat.

Ein Ausblick (S. 320-330) deutet schließlich noch drei Perspektiven
an: eine wirkungsgeschichtliche durch eine knappe Untersuchung
der Deuteropaulinen (Kol, Eph, 2Tim), eine sachliche im
Blick auf das Problem der Aktualisierbarkeit, des paulinischen Leidensverständnisses
, eine methodologische hinsichtlich der Frage traditionsgeschichtlicher
Arbeit am Neuen Testament und .biblischer
Theologie'.

Schulze, Manfred: Von der Via Gregorii zur Via Reformationis. Der

Streit um Augustin im späten Mittelalter. Diss. Tübingen 1981.
415 S.

Während der Jahre 1345/46 ist in Paris ein Kommentarwerk zu den
ersten zwei Sentenzenbüchern des Petrus Lombardus veröffentlicht
worden, dessen Verfasser, der Augustinereremit Gregor von Rimini
(t 1358), zu den Schulhäuptern des Nominalismus im späten Mittelalter
zu rechnen ist. Die Leitlinien dieser Sentenzenlektura sind
einerseits bestimmt von der auch in Paris sich durchsetzenden Schule
Ockhams und andererseits von der antipelagianischen Theologie des
Kirchenlehrers und ,Ordensvaters' Augustin. Wie Ockham hat sich
auch Gregor strikt auf die Wissenschaftstheorie des gegenüber
Thomas von Aquin neu interpretierten Aristoteles festgelegt, daß alle
Wissenschaft sich auf Prinzipien zu gründen habe, deren Sicherheit
und Eindeutigkeit jedem beweisenden Schlußverfahren voraus unbe-
zweifelbar vor Augen ist.

Angewendet auf die Theologie bedeutet diese Übernahme nomina-
listisch-aristotelischer Grundlagen, die sacra doctrina allein auf der
Schrift als ihrem Prinzip zu fundieren. Erst im Vergleich mit den
Ordenstheologien der Dominikaner, der Franziskaner und vor allem
der Augustiner tritt die Spitze der theologischen Prinzipienlehre Gregors
recht zum Vorschein: Alle Ansprüche der Kirche, sich zum
bestimmenden Fundament sowohl der Schrift als auch der Theologie
aufzuwerfen, werden abgewiesen.

Eine zweite, gleichfalls die Geister scheidende Front eröffnet Gregor
mit seinem vehementen Einsatz für die Gültigkeit der antipelagia-