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Ausgabe:

1982

Spalte:

696-697

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lotz, Johannes Baptist

Titel/Untertitel:

Der siebenfache Weg 1982

Rezensent:

Hertzsch, Erich

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

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Hilfe für den Beichtvater tritt hinter der insgesamt stärker theologisch
argumentierenden Absicht zurück, das sittliche Handeln aus der
Mitte des Glaubens, d. h. aus der Offenbarung Gottes in Jesus Christus
, aufzuweisen. Diese vertiefte theologische Begründung der Moraltheologie
hatte aber, wie Vf. eigens feststellt, „keineswegs eine pro-
blematisierte Auseinandersetzung mit einzelnen für die Moraltheologie
relevanten ekklesiologischen Themen zur Folge. Wenn von der
Kirche gesprochen wurde, so war meist das Lehramt gemeint" (247).

Sein Hauptaugenmerk richtet Vf. naturgemäß auf das Zweite Vatikanische
Konzil und die nachkonziliäre Epoche. Der vorkonziliär
entwickelte Gedanke von der Kirche als „Quasi-Sakrament" und das
Verständnis vom „gläubig-sittlichen Gesamtbewußtsein" wurden in
den zentralen Begriff der Kirche als „Volk Gottes" und als „Grundsakrament
" aufgenommen. Bestimmend für die Moraltheologie
wurden die Kirchenkonstitution „Lumen Gentium" und die Pastoralkonstitution
„Gaudium et Spes", und zwar in ihrer gegenseitigen
Zuordnung. Die Frage, ob und wieweit die Grundelemente des kon-
ziliaren Kirchenverständnisses als „Grundsakrament" der „innigsten
Vereinigung mit Gott" und „mit der ganzen Menschheit" in der
gegenwärtigen moraltheologischen Grundlagendiskussion rezipiert
worden sind, untersucht Vf. unter Bezugnahme auf die heutige Diskussion
über das Volk Gottes als Ort sittlichen Erkennens, über die
Kompetenz des kirchlichen Lehramtes in Naturrechtsfragen, über das
Proprium einer christlichen Ethik und über neuere kirchliche Dokumente
zu ethischen Fragen.

Bezüglich der vom Konzil geforderten Besinnung der Moraltheologie
auf die Aussagen der Hl. Schrift stellen exegetische und moraltheologische
Abhandlungen das Ethos der Urkirche als Gemeindeethos
und dementsprechend das Ethos der heutigen Kirche als das
gläubig-sittliche Gesamtbewußtsein des Gottesvolkes heraus. Die
Gemeinde Jesu Christi als das Volk Gottes ist die oberste Quelle der
Norm findung.

Weitaus schwieriger ist gegenwärtig die Frage nach der Kompetenz
des kirchlichen Lehramtes in Naturrechtsfragen. Diese Frage ist auch
heute noch das entscheidende ekklesiologische Problem innerhalb der
Moraltheologie. In den päpstlichen Äußerungen wie auch in späteren
Erklärungen der Glaubenskongregation zu sittlichen Fragen ist nach
Vf. die Mehrdimensionalität der Konzilsaussagen über die Kirche
nicht zum Tragen gekommen. Auch die aktive Rolle des ganzen
Gottesvolkes bei der Findung sittlicher Normen ist nicht befriedigend
gelöst. Dagegen kommen in Hirtenworten der deutschen Bischöfe und
in den Beschlüssen der Gemeinsamen Synode die Ergebnisse der
moraltheologischen Forschung über die geschichtliche Bedingtheit
naturrechtlicher Normen und naturrechtlichen Sprechens des kirchlichen
Lehramtes deutlicher zum Vorschein. Diese Spannung zeigt,
daß die Diskussion über die Kompetenz des kirchlichen Lehramtes,
über das Verhältnis von Offenbarung und Naturrecht sowie über das
Beziehungsfeld - Bischöfe, Theologen und andere Glieder des Gottesvolkes
- weitergehen muß.

Anders ist es nach Vf. bei der sog. Propriumsdiskussion, die in der
ersten Zeit nach dem Konzil zur Zentralfrage der Moraltheologie
geworden war. Sie geht heute einem - vorläufigen - Ende zu. Vf. hält
zwischen den Vertretern der „autonomen Moral im christlichen Kontext
" und der „Glaubensethik" eine Vermittlung für möglich, wenn in
der Diskussion das Kirchenverständnis von „Lumen Gentium"
beachtet und im Sinne heutiger dogmatischer Überlegungen eingebracht
wird. Die Moraltheologie kann nicht davon absehen, daß der
Glaube auf das konkrete sittliche Handeln einwirkt und daß die Vernunft
, deren Aufgabe die praktische Normierung im zwischenmenschlichen
Bereich ist, sich immer der Rückgebundenheit an das
Geschenk des Glaubens bewußt sein muß. Von dieser Verhältnisbestimmung
her sieht Vf. mit F. Böckle das Spezifische der christlichen
Ethik darin, daß sie, ohne erkenntnismäßig aus menschlichem
Verstehen herauszufallen, menschlich und zugleich spezifisch christlich
ist. Bei der Findung der Normen kommt dem Zeugnis engagierter
Christen eine besondere Bedeutung zu.

Die mit Fleiß und Sorgfalt verfaßte Studie füllt in der bisherigen
Forschung eine Lücke aus. Sie zeigt in aller Klarheit das Kirchenverständnis
der Kirche selbst wie auch der Moraltheologie über einen
Zeitraum von beinahe hundert Jahren auf. Die Untersuchung macht
die Fortschritte, aber auch die bleibenden Spannungen deutlich, die in
der Kirche, in der Moraltheologie und zwischen Lehramtsaussagen
und moraltheologischer Forschung bestehen. Die Ergebnisse sind
geeignet, alle am Diskussionsprozeß Beteiligten nachdenklich zu
machen. Dem Autor gebührt Dank für die lesenswerte Studie.

Erfurt Wilhelm Ernst

Praktische Theologie: Allgemeines

Lötz, Johannes B.: Der siebenfache Weg. Das Herrengebet von seinem
Ende her. Frankfurt/M.: Knecht 1980. IIIS. kl. 8*. Kart.
DM 14,80.

Das Vaterunser wird wohl in fast allen katholischen und evangelischen
Gottesdiensten gebetet und in allen Katechismen erklärt, aber
es wird viel zu wenig meditiert. „Dabei", so schreibt Johannes Lötz,
„bringt das Herrengebet auf ähnliche Weise wie die Meditation des
Ostens die Läuterung und Wandlung des Menschen zustande, falls
dieses Gebet nicht gedankenlos dahergesagt, sondern mit dem Herzen
gesprochen wird und durch seine stete Wiederholung den Charakter
einer Mantra-Meditation gewinnt... Tatsächlich sind im Laufe der
Jahrhunderte mittels des Herrengebetes viele Menschen auf ganz stille
Art ins Meditieren hineingewachsen, freilich meist unbemerkt... Im
Unterschied zum Osten, der überwiegend beim nicht-personalen Es
verweilt, dringt der hier gemeinte Läuterungsweg zum personalen
Gott oder zum göttlichen Du vor."

Zu dieser Mantra-Meditation möchte L. dadurch anleiten, daß er
rät, das Herrengebet „von seinem Ende her" zu meditieren. Der Weg,
auf den L. führen möchte, hat drei Etappen: Zuerst gehen wir den
„Weg der Reinigung" von der „vorgegebenen Verstrickung in das
Böse" (siebte Bitte), durch die „aus der Verstrickung erwachsene
Anfechtung" (sechste Bitte), durch die „in Verstrickung und Anfechtung
wurzelnde Schuld" (fünfte Bitte). Der „Weg der Reinigung" wird
zum „Weg der Erleuchtung" durch das „Aufleuchten Gottes im Alltag
" (vierte Bitte), durch das „Wachsen des Reiches Gottes" (zweite
Bitte), zuletzt dadurch, daß „Gott als Gott anwesend wird" (erste
Bitte). Zum Ziele kommen wir auf dem „Wege der Einigung" durch
die „Anrede des Vaterunsers" und den „krönenden Lobpreis". „Die
Einigung erwächst als die Frucht, die im Durchlaufen des siebenfachen
Weges reift."

Purificatio, illuminatio, unio mystica! Diese Weisheit der mittelalterlichen
Mystik will L. gegenwartsnah aktualisieren. Dies gelingt
ihm in hohem Maße durch seine Hinweise und Ratschläge, die von
großer Menschenkenntnis und seelsorgerlichem Einfühlungsvermögen
zeugen. Daß die von ihm empfohlene Meditation durchweg psychosomatischen
Charakter hat, wird besonders deutlich bei der vierten
Bitte, wo eine alte Streitfrage (panis supersubstantialis oder p.
quotidianus?) mit dem Hinweis auf ihre „Transparenz" glücklich entschieden
wird: „Die Brotbitte meint zuinnerst nicht allein das leibliche
Brot, vielmehr zielt sie durch dieses auf das Brot hin, das Gott
selber ist. Das leibliche Brot ist uns geradezu als ein durchlässiges
Symbol gewährt: das Aufleuchten Gottes im Alltag!" Bei der „Einigung
mit unserem Vater im Himmel" geht es L. gewiß nicht um die
unio mystica des Buddhismus, sondern um die communio mystica des
Evangeliums. Aber kritisch anzufragen ist doch, ob nicht der Weg
„vom Ende her" eine „selbsterwählte Weise meditationis" und deshalb
nicht ohne Gefahren ist. Gilt nicht auch für L. das, was Luther in
seiner kleinen Schrift vom Jahre 1519 „Eine kurze und gute Auslegung
des Vaterunsers vor sich und hinter sich" (WA 6,21) warnend