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Ausgabe:

1982

Spalte:

686-688

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Die antimanichäische Epoche 1982

Rezensent:

Nagel, Peter

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685

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

686

Dogmen- und Theologiegeschichte

Flasch, Kurt: Augustin. Einführung in sein Denken. Stuttgart: Philipp
Reclam jun. 1980. 487 S. kl. 8- = Universal-Bibliothek Nr. 9962(5).
Kart. DM9,-;Lw. DM 14,80.

Die von F. erarbeitete Einführung in das Denken Augustins ist insgesamt
klug und geschickt aufgebaut und ausgeführt. Im ersten Teil
(Grundlegung und Krise, 354-396) werden die geistige Entwicklung
des jüngeren Augustin, seine Auseinandersetzung mit Cicero, der
Stoa, dem Manichäismus und dem Neuplatonismus bis zum Bekehrungsvorgang
hin gezeichnet, während der zweite Teil (Bleibende
Strukturen) die wichtigsten Themen von den Confessiones an berücksichtigt
. Im Gegensatz zur rein theologischen Analyse geht der Philosoph
anders vor als gemeinhin üblich. Zunächst wird die augusti-
nische Zeitlehre charakterisiert (13), dann die Religionsphilosophie
(Themata vor allem: Piatonismus und Christentum; Negative Theologie
; Wissen und Glauben; Glauben als Denken; Einsicht als Ziel des
Glaubens) und die Trinitätslehre (15). Kap. 16 behandelt „Geschichte
, Staat, Gesellschaft", und schließlich wird in 17 „Der Zwiespalt
Augustins" in Erkenntnislehre, Ontologie und Religionsphilosophie
beleuchtet. Also ein immenser Themenkreis, den genauer
abzutasten praktisch im Rahmen einer „Einführung" eine Unmöglichkeitbedeutet
.

Von hier nehmen denn auch die Schwächen des Buches ihren Ausgangspunkt
. Das biographische Gerüst ist sehr knapp gehalten (S. 12),
wenngleich die Analyse der Schriften, vor allem der Confessiones,
Gelegenheit zu manch tieferschürfender Betrachtung gibt. Oft läßt F.
dabei den Methoden der Psychoanalyse Raum. So wird der .Ödipuskomplex
' Augustins stark hervorgehoben, der insbesondere bei der
Verfolgung der Bindung des Kirchenvaters an seine Mutter Monnica
nicht zu bestreiten, aber doch mit großer Vorsicht zu behandeln ist,
will man über eine psychologische oder sogar psychiatrische Sicht
hinausgelangen. Gewiß läßt sich sagen, daß Augustinus (vor allem in
den Confessiones) die „Suche nach der Wahrheit mit der Analyse
seiner affektiven Konflikte" (S. 253) verband. Doch klingt es schon
überspitzt, daß der „liebenswürdige Ästhet" immer „einen Gegner"
brauchte und ihn in den Feinden der Kirche (Manichäer, Donatisten,
Pelagianer) fand, wobei die „Mutterbindung" und die rigorose Sexualethik
zur „paradoxen Verbindung von Weisheitsstreben, Gottesliebe
und Streitsucht" (S. 254) geführt haben soll. Und wenn F. meint, daß
damit die „geistige Physiognomie zölibatärer Theologen der Folgezeiten
" (S. 254) geprägt worden sei, so stellt sich doch die Frage, ob
diese Theologen denselben .psychischen' Bedingungen unterworfen
gewesen sein sollten (was weithin nicht der Fall ist; bereits die
Entwicklung des ,Augustinnachfolgers' Fulgentius von Rüspe vermittelt
einen ganz andersartigen Eindruck). Außerdem müßte die
geistige Entwicklung Augustins stärker auf seinem nordafrikanischen
.Hintergrund' gesehen werden, so im Hinblick auf berberische Einflüsse
(Name Monnica).

Das Hauptverdienst der Arbeit liegt zweifellos in der Überprüfung
der Genesis von Augustins Denkpositionen. Trinitätslehre, Gnadenoder
Erbsündenlehre entwickeln sich ständig, nicht kontinuierlich,
aber doch spürbar. F. meint, die Gnadenlehre sei „logisch inkonsistent
" („sie nimmt den Begriff der Gerechtigkeit Gottes in Anspruch
und bestreitet gleichzeitig, daß dies möglich sei") und „moralisch
unzumutbar". Überraschend fast wird dann festgestellt, daß sie trotzdem
einen Fortschritt darstelle, zumal Augustin im „gegenwärtigen
Menschen" doch „nicht viel mehr als ein kirchlich zu administrierendes
Elend" sah (S. 224). Ich würde im wesentlichen zustimmen,
jedoch zu bedenken geben, daß vor allem die Briefe des Kirchenvaters
an hochgestellte Persönlichkeiten eine wesentlich andere Sprache
sprechen. Man mag dies mit Hilfe der Opportunität-denn er war auf
diese Männer zumeist angewiesen - oder auch gewisser elitärer Einsprengsel
erklären. Ich würde weit stärker als F. hervorheben, daß
dieser Zweig seiner Epistolographic wichtig ist und (nicht zuletzt

durch Analyse sehr diffiziler, oft intimer Probleme) die übrige Denklinie
nicht unwesentlich korrigiert, vor allem auch „entschärft."

So sehr F. sich um sachliche Abstufung bemüht, so kompliziert
bleiben vielerorts doch die - notwendigerweise komprimierten - Definitionen
. Ein Satz aus dem Kap. 16 („Geschichte, Staat, Gesellschaft
") mag hier für viele stehen. Nachdem Augustins mangelndes
Interesse an der theoretischen Umgrenzung des Staates (bzw. seines
Wesens) hervorgehoben ist, heißt es: „Das bedeutet aber nicht, daß
nach Augustin die sichtbare Kirche eine politische Herrschaft über
den irdischen Staat ausüben soll. So mittelalterlich oder genauer: so
gregorianisch hat Augustin nicht gedacht. Er suchte nicht die päpstliche
Weltherrschaft, sondern den unsichtbaren Staat Gottes mit
einem Umhof irdischer Annäherungen, zu denen er allerdings juristische
, militärische und polizeiliche Schritte zählte. Die Kirche hat
einen unvergänglichen Kern, eine den Sinn der Geschichte ausmachende
Ewigkeitsaufgabe, .dies fehlt dem Staat. Es kann kein
christlicher' Staat aus ihm werden" (S. 392). Dies hat immerhin,
auch vom Gegensatz Civitas Dei - Civitas terrena her, seine Berechtigung
, zumal Augustin ständig einen Rückfall auch des nun von
christlichen Kaisern gelenkten Römischen Reiches ins Heidentum -
oder in Häresien - fürchtet, wobei seine Sorge um den Bestand der
„sichtbaren Kirche" bis in seine letzten Äußerungen (etwa Brief 228)
hinein deutlich ist.

Insgesamt gesehen, zeigt F. deutlich den Zwiespalt im Wesen und
Denken Augustins, der zu vielen Widersprüchen, aber auch zu neuen
Ufern geführt hat. Auf freilich sehr knappem Raum hat F. insgesamt
die Vielfalt der oft heterogenen Probleme systematisierend erfaßt und
damit selbst neue Anstöße gegeben. Der weniger kundige Leser wird
freilich Schwierigkeiten haben, wenn er sich der nicht immer leichten
Darstellung zuwendet und sie kritisch zu durchdringen versucht.

Halle (Saale) Hans-Joachim Dicsner

Mayer, Cornelius Petrus, OSA: Die Zeichen in der geistigen Entwicklung
und in der Theologie Augustins. II. Teil: Die antimani-
chäische Epoche. Würzburg: Augustinus-Verlag 1974. 517 S. gr. 8'
= Cassiciacum,Bd. XXIV, 2. DM 75,-.

Das vorliegende umfangreiche Werk, dem die Habilitationsschrift
des Vf. an der Universität Würzburg 1973 zugrui deliegt, ist als Fortsetzung
der im Haupttitel fast gleichlautenden Untersuchung „Die
Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie des jungen
Augustin" (Würzburg 1969) konzipiert. Der Vf. wendet sich jetzt
denjenigen Schriften Augustins zu, die vorwiegend der kritischen Auseinandersetzung
mit dem Manichäismus gewidmet waren und den
Kirchenvater seit 387 bis zum Ende des 4. Jh. beschäftigten. Neben
den klassischen antimanichäischen Schriften gehören zu dieser Periode
zahlreiche Briefe, Sermones (Predigten) und exegetische Abhandlungen
, die der Vf. nach Gattungen gruppiert und präzis nach Entstehungszeit
, Inhalt und Absicht charakterisiert (S. 79-88). Dabei wird
deutlich gemacht, wie stark auch die exegetischen Studien Augustins
von der Konfrontation mit dem Manichäismus bestimmt sind. Die
Grundlage für die Auseinandersetzung Augustins mit dem Manichäismus
bildete indessen nicht die hl. Schrift, sondern vielmehr die
neuplatonische Philosophie, deren Ontologie und Zeichentheorie die
eigentliche geistige Waffe in die Hand gab. Die theoretische Fundic-
rung und bibelhermeneutische Anwendung wurde von Augustin in
„De doctrina christiana" geboten. Dieser Schrift erkennt Vf. mit
Recht die Schlüsselstellung zu, und folglich ist der Bestimmung und
Einteilung der signa nach de doctrina christiana cp. II ein eigenes
Kapitel gewidmet (S. 97-104); unter dem Stichwort „Das verweisende
Seiende" (S. 105-148) wird die Verweisungsfunktion der gegebenen
signa auf die zugrundeliegende res expliziert. Die folgenden Kapitel,
die nach Gehalt und Umfang eigenen Monographien und Spezialab-
handlungen gleichkommen, bieten die Anwendung der Zeichentheorie
auf Zeit und Heilsgeschichte (S. 149-198), die Inkarnation und