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Ausgabe:

1982

Spalte:

679-681

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Holmberg, Bengt

Titel/Untertitel:

Paul and power 1982

Rezensent:

Kähler, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

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meinschaft... zu stärken" (280). Als Folge dieser sozialstrukturalen
Betrachtungsweise wendet sich M. sowohl gegen Umstellungshypothesen
- „Die Verdeutlichung von Themen durch fortschreitende
Wiederholung ... kommt sehr häufig in der Sammelliteratur von
Sekten vor" (2600 - als auch gegen Bultmanns Hypothese eines
„typisch gnostischen Mythos"; denn die joh. Konjektoren lassen es
„zumindest als ebenso plausibel erscheinen, daß die joh. Christologie
dazu beitrug, einige gnostische Mythen zu schaffen, wie daß gno-
stische Mythen zur Entstehung der joh. Christologie beigetragen
haben" (283).

Die gleiche Betrachtungsweise herrscht in dem Aufsatz von J. Z.
Smith: „Geburt in verkehrter oder richtiger Lage?" (284-309 =
History of Religions 9, 1969/70, 281-303) vor, der in der umgekehrten
Kreuzigung des Petrus nach den apokryphen Petrusakten
einen „Akt kosmischer Herausforderung" (290) erblickt. Dahinter
steht eine negative Welterfahrung, gemäß der die Strukturen dieser
Welt verkehrt sind, Erlösung deshalb in der Umstürzung solcher
Strukturen besteht.

Die von Meeks in diesem Band zusammengestellten Beiträge zeigen
, wie gut sich mit den verschiedenen soziologischen Methoden bei
der Erforschung des Urchristentums arbeiten läßt und daß dabei neue
Erkenntnisse gewonnen werden, die weiter ausbaufähig sind. Insofern
gebührt allen Dank, die bei der Auswahl und Übersetzung dieser für
eine bestimmte Forschungsrichtung charakteristischen Aufsätze beteiligt
waren.

Berlin Günther Baumbach

Holmberg, Bengt: Paul and Power. The Structure of Authority in the
Primitive Church as reflected in the Pauline Epistles. Lund: CWK
Gleerup 1978. IX, 230 S. 8° = Coniectanea Biblica, New Testament
Series, 11.

Unter dem einprägsamen Titel verbirgt sich eine Studie, deren
Hauptthese sich so zusammenfassen läßt: Paulus hatte keine ursprüngliche
charismatische Autorität - im strikten sozial wissenschaftlichen
Sinne. Vielmehr gehört sein Apostolat zur zweiten Stufe der
historischen Entwicklung, auf die des institutionalisierten Charisma.
Allerdings ist das Charisma der Jerusalemer Apostel, die gleichfalls zu
dieser Entwicklungsstufe gehören, „größer" (154), weil ursprünglicher
und grundlegender für die Herausbildung der christlichen Kirche
. Die Charismenlehre des Paulus ist lediglich sekundärer theologischer
Reflex auf eine Störung des Autoritätsgefüges (in Korinth) und
hatte dort ihre begrenzte, korrigierende Wirkung.

H. versucht somit, unter Zuhilfenahme soziologischer Theorie1
über Macht und Autorität (M. Weber bis N. Luhmann) die Strukturen
des Einflusses und der Macht im Umkreis des Paulus zu erheben.
Danach soll der vorherrschende Typ von Herrschaft in der frühen
Christenheit weder die traditionale, noch die legale, sondern die charismatische
Herrschaft sein. Ihren von Weber beschriebenen Regula-
ritäten unterliegen augenscheinlich auch die ersten Gemeinden.
Deren soziale Wirklichkeit samt dem daraus resultierenden Einfluß
auf theologisches Denken im Lichte neuerer soziologischer Überlegungen
besser in den Blick zu bekommen, ist das erklärte Ziel der
1978 in Lund vorgelegten Dissertation.

Dabei geht H. insofern methodisch ungewöhnlich vor, als er die
eigentliche Fragestellung, wie sie ihm die Soziologie vorgibt, der Erhebung
des historischen Materials nac/iordnet:

Im ersten Teil referiert er - in einer kritischen Zusammenschau
neuerer Exegese - deren Ergebnisse für die Machtverhältnisse

- zwischen Paulus und Jerusalem (Kap. 1),

- zwischen Paulus, den Mitarbeitern und seinen Gemeinden (Kap. 2)

- sowie innerhalb der paulinischen Gemeinden (Kap. 3).

Diese Übersicht greift zwar auf die paulinischen Texte zurück, orientiert
sich aber im wesentlichen an der einschlägigen Literatur. Dabei
ist die Breite der verarbeiteten Untersuchungen bis hin zu weniger

beachteten französischen Arbeiten aus neuester Zeit bemerkenswert.2
Erst nach dieser Schilderung der historischen Situation erfolgt im
Teil II die Zuordnung zu den - kritisch erweiterten - Weberschen
Kategorien. Hier bringt Kap. 4 terminologische und sachliche Klärungen
der Begriffe im Umfeld von Macht und Autorität; Kap. 5 wendet
sich Begriff und Sache der charismatischen Autorität im einzelnen
zu und setzt die urchristlichen Phänomene dazu in Beziehung, während
Kap. 6 sich mit den Regularitäten der Veränderung charismatischer
Autorität im Laufe der Geschichte einer gegebenen Bewegung
(Institutionalisierung und Routine) und ihren historischen Entsprechungen
in der frühen Kirche beschäftigt. Die Zusammenfassung
(Kap. 7) erfaßt vor allem den Themenbereich des zweiten Teils.

Aufgrund der Reihenfolge beider Teile sind erhebliche Wiederholungen
und erneute Zusammenfassungen des historischen Materials
im systematischen zweiten Teil unumgänglich. Doch auch in
diesem zweiten Teil erweist sich H. als kundiger und korrekter Referent
der aktuellen (soziologischen) Forschung und Theoriebildung.

Insgesamt jedoch hinterläßt die Arbeit einen unbefriedigenden Eindruck
. Dafür lassen sich Gründe angeben, die das Scheitern dieses
Versuchs bewirkten, die Arbeit am NT durch das Instrumentarium
soziologischer Theorie zu bereichern, das grundsätzliche Recht solcher
Bemühung aber kaum diskreditieren sollten.

- Schon die methodologisch bedenkliche Zuordnung von Materialdarbietung
und Fragestellung zeigt einen erheblichen Mangel der
Studie auf. Das Konzept charismatischer Autorität und ihrer geschichtlichen
Abwandlung nach Weber3 ist so groß, daß es den engen
materialen Bezugsrahmen H.s (Jerusalem - Paulus, Paulus - pln. Gemeinden
) sprengt und den Rückbezug auf den historischen Jesus (vgl.
S. 181) erforderlich macht. Dafür aber steht das exegetische Material
in H.s Studie nicht zur Verfügung und wird im systematischen Teil II
nur durch simplifizierende Kurzformeln ersetzt.

- In diesem Zusammenhang setzt H. schlicht voraus, was allererst
exegetisch nachzuweisen wäre: die eine, einheitliche von Jerusalem
charismatisch bestimmte Kirche des Anfangs, in der die vom historischen
Jesus erwählten Jünger zu Aposteln wurden und als solche den
aktiven und normativen Ursprung bilden, auf den alle missionarischen
Aktivitäten zurückbezogen sind. Inwiefern die in der ganzen
Studie so genannte Größe „Jerusalem" (!) eine charismatische und
keine traditionale oder legale Autorität darstellt, ist und wird nicht
begründet. Die Legitimität „Jerusalems" wird idealtypisch vom Lebenslauf
des Petrus her konstruiert. Daß aber „Jerusalem" auch Ste-
phanus und auch Jakobus heißt, deren charismatische Legitimität
ganz gewiß nicht mit Petrus gegen Paulus ausgespielt werden kann, ja
daß „Jerusalem" sicher nicht mit Theißens „afamiliären, ethisch radikalen
Wandercharismatikern" gleichzusetzen und wiederum gegen
Paulus auf der anderen Seite der Barrikade auszuspielen ist (vgl.
S. 90), kommt entweder überhaupt nicht in den Blick oder wird mit
nur einem kurzen Satz abgetan (198). - M. a. W.: Während H. der
neueren und neuesten deutschen Forschung „Idealismus" nachsagt,
weil sie sich auf die Theologie der ersten Christen statt auf Historie
und Sozialverhalten dieser Gruppe konzentriert habe, setzt er selbst
ein ideales Bild der frühen Christenheit in Jerusalem und anderswo
voraus, das die Diskussion mit den von W. Bauer angeregten Thesen
über den gleichzeitigen Ursprung von „Rechtgläubigkeit" und „Ketzerei
" noch vor sich hat. Rez. vermutet, daß sich H. hier dem Systemzwang
der Theorie, die als Objekt eine möglichst einheitliche Bewegung
untersuchen möchte, wie dem Geschichtsbild seiner Schule
unterworfen hat.

- Dazu kommt, daß die Zusammenstellung theoretischer (soziologischer
) Konzepte und empirischen (historisch-exegetischen) Materials
prinzipiell zweierlei Sinn haben kann:

Aufhellung der Historie durch theoretisch erzwungene Reformu-
lierung des Materials (was H. beabsichtigt), oder, wenn die Historie
systemsprengende Daten liefert, Förderung der Theoriebildung durch
deviant-case-studies. Unglücklicherweise scheint weder das eine noch
das andere wirklich geleistet, insofern als der Teil I nicht über ein