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Ausgabe:

1982

Spalte:

672-675

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Gerssen, Samuel

Titel/Untertitel:

Modern zionisme en christelijke theologie 1982

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

672

schließt. Ignaz Maybaum hat das Manuskript noch selbst im Jahre
1975 abgeschlossen, seine Drucklegung aber nicht mehr in die Wege
leiten können.

Von den derzeitigen christlichen Versuchen, mit dem Judentum in
einen theologischen Dialog einzutreten, unterscheiden sich M.s Ausführungen
in verschiedener Hinsicht. Zunächst schon dadurch, daß er
den Islam als eine der drei monotheistischen Religionen gleichen
Stammes mit in das Gespräch aufnimmt. Voraussetzung dafür ist die
Einsicht in die tiefgreifende wechselseitige Beeinflussung der drei
Religionen innerhalb einer langen Geschichte intensiver Berührungen
. Weiterhin geht es M. nicht so sehr um einen theologischen Dialog
im engeren Sinne, sondern um eine der Orientierung auf die Zukunft
dienende religiöse und kulturhistorische Besinnung. Am besten kann
man vielleicht sein Bemühen mit dem Begriff ,Wesensschau' umschreiben
. Schließlich unterscheidet sich M.s Ansatz von der Mehrzahl
christlicher Dialogvorstellungen dadurch, daß er davon absieht,
Gespräch und Verständigungsversuch auf solche Fragen zu konzentrieren
, wo aus prinzipiellen Gründen ein Dialog von vornherein eher
auseinander als zueinander führen muß. Die Messiasauffassungen in
Christentum und Judentum z. B. werden zwar in ihren unterschiedlichen
Aspekten erörtert; aber diese Unterschiede erscheinen bei M.
als Ausdruck verschiedener, von mannigfachen geschichtlichen Faktoren
geprägter und relativ selbständiger Geisteshaltungen innerhalb
des Monotheismus, also als verschiedene Wege zum gleichen Ziel.

Die Frage nach dem rechten Verhältnis der drei Religionen zueinander
greift M. immer wieder auf. Er beschreibt es dialektisch in einer
doppelten Identität: Einerseits die Identität jeder der Religionen mit
sich selbst, andererseits ihre gemeinsame Identität im monotheistischen
Glauben, der sie zu Brüdern macht (58). Diese doppelte Identität
darf nicht aufgegeben werden; denn jede der drei monotheistischen
Religionsformen hat ihre besondere legitime Aufgabe. Deshalb darf es
auch keine Angleichung geben. Dies würde nur zum Identitätsverlust
führen und damit die betreffende Religion unfähig machen, ihre Aufgabe
innerhalb der ,monotheistischen Zivilisation' wahrzunehmen.
Entscheidend ist vielmehr, daß die drei Formen des Monotheismus
sich gegenseitig nicht nur tolerieren, sondern auch anerkennen und
verstehen. In dieser Hinsicht sieht M. in der sich im christlichen
Glauben unserer Tage allmählich durchsetzenden Abkehr vom Ausschließlichkeitsanspruch
des Christentums einen wichtigen, zukunftsträchtigen
Fortschritt (92 f).

Selbstverständlich beschreibt M. das Wesen der drei Religionen
nicht von einem theoretischen, neutralen Standpunkt aus. Seinen
Blick prägen und schärfen die geschichtlichen Erfahrungen des Judentums
, wie es ihm auch ganz wesentlich um eine Bestimmung der Position
und Funktion des Judentums innerhalb des Monotheismus geht.
Charakteristisch tritt hierbei die geistige Beheimatung des Vf. in der
Tradition des liberalen progressiven Reform-Judentums der „Ger-
man-Jewish renaissance" (11) und speziell die enge Bindung an das
Werk seines Lehrers Franz Rosenzweig hervor.

Vor allem in drei Gesichtspunkten wird die Weiterführung dieser
Traditionslinie durch M. deutlich: Einmal in der Forderung nach
einer Reformation im Judentum im Sinne der Wiederbelebung eines
„prophetic Judaism", dessen Träger in philosophisch-weltanschaulicher
Hinsicht Liberalismus und Humanismus sind. "After the cata-
clysmic events of our time a second emancipation has to be initiated"
(29). Nur so kann der gefährlichen Erscheinung des politisierten
Judentums der jüdischen Orthodoxie unserer Tage begegnet werden.
Die theologische Wurzel für diese Fehlentwicklung erkennt M. in der
falschen Interpretation der Torah als jüdisches Gesetz' durch die
orthodoxen Rabbis, wobei sich zwangsläufig die "Jewish mono-
theistic Community into a monolithic Organisation" wandelt und die
"Torah itself... intoapolitical ideology" (19).

Von dieser Einsicht geprägt ist - zweitens - auch M.s theologische
Position zum 1948 gegründeten Staat Israel. Er ist eine Gründung des
westlichen, seit der Emanzipation säkularisierten Judentums und darf
nicht nach christlichem Vorbild spiritualisiert oder als messianisches

Ereignis gedeutet werden. "Whatever the zionists may say, a new
chapter has started, and it is a chapter in the history of the exile" (39).
Diese Erkenntnis läßt es als möglich erscheinen, die jüdische Kultur,
die ein ,Geschenk' der Diaspora ist (39, 89, 96), auch in einem jüdischen
Staatswesen zu bewahren. Die Gefahr liegt im Versuch einer
Rekonstruktion des altisraelitischen Staates mit seiner Theokratie.
Diese Gefahr, die das Ende des Judentums bedeuten würde, ist durchaus
real: "The orthodox rabbis in Israel demand the reestablishment
of the theocracy by preaching religious nationalism" (91), und es kann
nach des Vf. Auffassung keinen Zweifel darüber geben, daß in Israel
die Macht letztlich in der Hand dieser Rabbis liegt (29).

Ein drittes wichtiges Element in M.s Erörterungen ist das Verständnis
des Judentums als einer Gemeinschaft, deren Charakteristikum
eine humanistische Einstellung ist. Träger dieser Gemeinschaft ist
nicht ein Staat, sondern die jüdische Familie, deren Wesen M. in bewegender
Weise schildert (72-86). Deshalb erscheint im historischen
Rückblick die Situation der Juden unter islamischer- Herrschaft als
,dhimmis' islamischen Rechts mit dem "privilege" einer geachteten
und der Gesamtheit nützlichen Existenz gewissermaßen außerhalb
des Staates als eine den Grundsätzen der jüdischen Gemeinschaft in
besonderem Maße adäquate Lebensform.

M. bietet keine leichte Lektüre. Vieles deutet er nur an. Der Leser
muß mitdenken. Die Lektüre des kleinen, den deutschen Leser in
besonderem Maße ergreifenden Buches aber lohnt sich sehr, nicht nur
wegen der pointierten Formulierungen und der manchmal auch zum
Widerspruch herausfordernden Phänomenologie der monotheistischen
Religionen, sondern vor allem wegen der überaus
eindrucksvollen Darstellung des geistigen und kulturellen Ertrages
von zwei Jahrtausenden jüdischer Diaspora. Der Bewahrung des
Erbes der Diaspora, das zugleich ein wesentlicher Bestandteil der
europäischen Geistes- und Kulturgeschichte ist, galt das Lebenswerk
Ignaz Maybaums während und nach der Vernichtung des Judentums
im Machtbereich des deutschen Faschismus. Aber sein Blick ist keineswegs
nur zurückgewandt. Das Bewahrte soll vielmehr der Gestaltung
von Gegenwart und Zukunft dienen, soll endlich zu einem Miteinander
der monotheistischen Konfessionen führen. In der Bezeichnung
Abrahams als ,hanif im Kur'an bemerkt M., daß Abraham Gott
begegnet, ohne an eine bestimmte religiöse „denomination" gebunden
zu sein. Darin drückt sich das aus, was "Bonhoeffer, a Christian
martyr of our time, called ,religionless Christianity', and what Rosenzweig
also formulated in this way sixteen years before Bonhoeffer.
Abraham the hanif meets God without being a Jew or a Christian.
Abraham the hanif - this Islamic term describes what a Jew is" (88).

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

Gerssen, S.: Modern Zionisme cn christelijke theologie. 2e druk.
Kampen: Kok 1978. V, 228 S. gr. 8'. Kart, hfl 29.-.

In der modernen Diskussion sind bislang die theologischen Elemente
des Zionismus gegenüber seinen politischen Anschauungen
und ihren praktischen Konsequenzen merklich im Hintergrund geblieben
. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß S. Gerssen diesem Thema
vom christlichen Standpunkt aus eine aufschlußreiche Studie gewidmet
hat.

Zunächst wird der Leser mit der theologischen und geschichts-
philosophischen Position einer Anzahl zionistischer Theoretiker vertraut
gemacht (7-106). Die Auswahl ist repräsentativ und berücksichtigt
die Breite der zionistischen Geistesströmung. Neben den Vertretern
des nationalen politischen Zionismus (Kalischer, Hess, Herzl,
Pinsker, Klatzkin) und den Gelehrten, die sich - mitunter von einer
kritischen Position aus - mit dem weiteren Ausbau seiner weltanschaulichen
und biblisch-theologischen Basis beschäftigten (Syrkin,
Gordon, Heschel), wird in Achad Haam auch einer derjenigen jüdischen
Denker vorgestellt, welche die Funktion des modernen Zionis-