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Ausgabe:

1982

Spalte:

668-670

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Le livre de Jérémie 1982

Rezensent:

Seidel, Hans

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667

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

668

Heiligen Schrift zu stellen, b) Der „Ausblick auf das Neue Testament
" ist Widerspiegelung des betont „bibeltheologischen" Arbeitens
des Vf. (S. 9 u. 121). c) Der Haupttitel „Versöhnung und Sühne" verbirgt
(in dieser Reihenfolge!) die These der Monographie, daß zunächst
von der Versöhnung zwischen Menschen ausgegangen werden
kann, die das alte Israel auch in Gott „wiedererkannt" hat (S. 117);
ohne die vorauflaufende Versöhnlichkeit (Gottes) sei keine antwortende
Sühne (des Menschen) möglich (z. B. S. 118).

In seinem Hauptteil entfaltet die Arbeit die Probleme von Gewalt,
Schuld, Sühne und Versöhnung in vier großen Gedankenkreisen aus
dem Alten Testament. „Modelle" werden vordem Leser in lebendiger
Anschaulichkeit ausgebreitet; die Absicht liegt nicht in einer monographischen
Vollständigkeit (dann müßten die Psalmen zu Schuld
und Sühne viel stärker berücksichtigt werden, und auch die Schuld-
und-Sühne-Frage aus der deuteronomistischen Geschichtsschreibung
müßte dann in die Reflexion einbezogen werden). Auch mit mühseligen
Auseinandersetzungen und Abgrenzungen von Forschungsmeinungen
wird der Leser nicht aufgehalten, so daß dem Buch ein
größerer Leserkreis zu wünschen ist, der sich gern in das Umfeld der
Geburt dieser Studie (Vorlesungen, Vorträge, Einkehrtage, Verkündigung
; S. 9) hineinnehmen läßt.

An der großen Bedeutung solcher Arbeiten, die bibelexegetische
Resultate in die Kommunikabilität mit Lesern außerhalb der exegetischen
Fachdiskussion überführen wollen, gibt es gar keine Zweifel,
und daß die Reduktion der Literaturverweise und des Anmerkungsteils
diesbezüglich legitim ist, ist keine Frage. Es ist auch eine Freude,
wie die Alttestamentler und die Neutestamentier durch pointierte
Thesen herausgefordert werden - aber werden sie folgen können?
Bleibt für sie nicht methodologisch gesehen manches zu unklar? Was
heißt, die Heilige Schrift „theologisch" zu interpretieren (S. 9)? Ist
„bibeltheologisches" Arbeiten, das ohne Rücksicht auf die Zwischengeschichte
und Zwischenliteratur mit einem großen Salto vom Alten
zum Neuen Testament springt, nicht ein Rückschritt im Forschungsbereich
der „Biblischen Theologie"? Wird nicht zu einfach praktisch
überall für die Einheitlichkeit der Texte plädiert (z. B. Anm. 11, 23,
24, 50) und Widersprechendes in die Nebensächlichkeit verwiesen?
Die Arbeitsmethode des Vf. wird dem Leser nicht schon dadurch
erkennbar, daß die Motivgeschichte ironisiert wird (S. 13).

Im ersten Teil („Versöhnung - Die Josefsgeschichte") versteht es
der Vf., die Joseph-,.Novelle" (S. 38) auf eine Weise neu zu übersetzen
und auszudeuten, daß die Grundzüge von Konflikt und Versöhnung
unmittelbar erlebbar werden. Zugleich wird aber schon hier im Bereich
der Versöhnung unter Menschen das Problem der Relation
erkennbar, das m. E. keiner überzeugenden, eindeutigen Antwort
zugeführt wird: Einerseits scheint die „erste Bewegung" die Versöhnungsbereitschaft
des Joseph zu sein (S. 39); andererseits wird der
Gesinnungswandel der Brüder doch wieder zur Bedingung für die Versöhnung
(„Josefs Absicht war es, die Brüder zu ändern [!], damit [!] er
sich mit ihnen aussöhnen konnte; S. 40). Man wird auch fragen
müssen, ob die Joseph-Geschichte nicht ein wenig zu idealtypisch als
„Muster aller Aussöhnung" (S. 15) verengt wird und ob nicht vielmehr
(wie bei Jakob: S. 68!) trotz der Versöhnung die dauernde Angst
der Brüder vor einem neuen Aufflammen des Konfliktes bleibt (vgl.
Gen 50, 15-21). An anderem Ort wird das Problem ganz aus der Relation
zwischen den Brüdern herausgenommen: „Josef verzeiht, nicht
weil die Brüder es verdienen, sondern weil Gott es verdient!" (S. 152
Anm. 46). Damit taucht auch sogleich im 1. Teil die fundamentale
theologische Frage auf.

Im zweiten Teil („Reue - Schuld und Sühne des Königs David")
wird die Übertragung auf die Relation Gott - Mensch vollzogen: In
Analogie zur „ersten Bewegung" des Joseph wird nun an der „Initiative
Gottes" (S. 83,96f, 103,113, 127) festgehalten; daß sie aber nicht
unmittelbar zum Zuge kommt, hänge mit Gottes „umsichtiger Pädagogik
" zusammen (S. 51), die den Menschen erst zur antwortenden
Reue(S. 51) führen will (vgl. auch S. 52 unter Siebtens). So will der Vf.
den Tod des im Ehebruch gezeugten Sohnes ganz aus dem Aspekt der

Strafe herausnehmen; „die Hingabe des Sohnes ist vielmehr jene Leistung
, die zur Reue gehört" (S. 50), und David habe „alles daran
gesetzt", diese Leistung der Reue zu erbringen (S. 53; „die Reue
drängt es selber, durch eine Ersatzleistung zu beweisen ...", S. 50).
Das Verhalten Davids nach der biblischen Erzählung (2Sam 12,16.22)
zeigt aber keinen solchen spontanen Eifer zur Reue-Leistung!

Der dritte Teil („Gütlicher Ausgleich - Vermeidung von Gewalt bei
Strafe und Rache im alten Israel") gibt die wenigsten Probleme auf, da
die hohe Bedeutung des Schlichtens statt Bestrafens im israelitischen
Rechtswesen auf breite Zustimmung rechnen kann (vgl. z. B. H. J.
Boecker, Redeformen des Rechtslebens im Alten Testament, 1964,
S.35u. ö.).

Beim vierten Teil („Liturgie der Sühne - Die Versöhnlichkeit Gottes
im Alten Bund") werden sich aber wieder die Geister scheiden: Die
Argumentationsbasis des Vf. bilden überwiegend' literarisch sehr
junge Texte des Alten Testaments, die er zudem mit den besten Noten
belegt („großartige Theologie", S. 131; vgl. S. 107!), während das
„Volkstümliche" schnell als „derb", „drastisch" (S. 115) und „theologisch
vulgär" (S. 110) disqualifiziert wird.

Dann ist es auch nicht zufällig, daß der neutestamentliche Teil
(„Versöhnung und Sühne in Christus") gerade mit dem Hohenpriester
Christus nach dem Hebräer-Brief eröffnet (S. 122).

In allem wird man bestätigen müssen, daß der Vf. seinen Weg konsequent
geht und ihn gut darstellt. Dabei kommen aber immer wieder
(unausgesprochen) Voraussetzungen und Prämissen ins Spiel, die
nicht alle werden mitvollziehen können.

Zürich Martin Rose

Bogaert, P.-M. [Ed.]: De livre de Jeremie. Le prophete et son milieu,
les oracleset leurtransmission. Leuven: Uitgeverij Peeters; Leuven:
Leuven University Press 1981. 413 S. gr. 8° = Bibliotheca Epheme-
ridum Theologicarum Lovaniensium, LIV. Kart. FB 1.500.

Das Colloquium Biblicum Lovaniense 1980 hatte sich das Buch des
Propheten Jeremia als Forschungsfeld ausgewählt. Es ist erfreulich,
daß die Vorträge und Referate so schnell der Fachwelt zugänglich
gemacht werden. Aus nicht näher angegebenen Gründen fehlen nur
die Beiträge von K.-Fr. Pohlmann (Die Genese von Jeremia 37-44),
H. Rücker (Warum wird 'hb im Alten Testament selten zur Bezeichnung
für Nächstenliebe gebraucht) und C. F. Whitley (Jeremiah and
historical crisis), auf die der Herausgeber nur in der Einleitung (Jour-
nees Bibliques de Louvain 1980) hinweist. «Les Conferences, les Communications
et les introductions aux seances des quatre seminaires»
sind in vier Sachgruppen zusammengestellt. Ein Autorenregister und
ein Bibelstellenverzeichnis schließen sich an.

Das erste Kapitel «Le cadre historique» eröffnet H. Cazelles mit
«La vie de Jeremie dans son contexte national et international»
(21-39). Unter Auswertung neuerer Veröffentlichungen zur Chronologie
der Geschichte des Zweistromlandes (z. B. Grayson, Parker/
Dubberstein, Wiseman) und anderer Literatur zur Geschichte der
Umwelt Altisraels gibt der Vf. einen Überblick über die historische
Ansetzung der Ereignisse zur Zeit Jeremias.

J. Scharbert „Jeremia und die Reform des Joschija" (40-57) geht
besonders auf Jer 1-6 ein. Hier seien noch keine Anzeichen für die
Berührung mit dem paränetischen Stil des Deuteronomiums erkennbar
. Das Urteil der Prophetin Hulda über Josia decke sich im wesentlichen
mit dem Urteil Jeremias. Die Skepsis des Propheten gegenüber
der Reform und den Reformern verhinderte jedoch nicht, daß er unter
den Einfluß paränetischer Kunstprosa geraten sei (Jer 7,1-15).

W. L. Holladay "A coherent chronology of Jeremiah's early
career" (58-73) trägt "fresh data for the so-called 'lower' chronology
" vor, für die er schon in früheren Veröffentlichungen eingetreten
war. Er faßt zusammen: "The words of the basic Stratum of 1:4 -
11:16 were delivered, I propose, within a nine-year period from the
death of Josiah to a period around December, 601, ... With more