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Ausgabe:

1982

Spalte:

663-665

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mohammed und die Frühzeit, Islamisches Recht

Titel/Untertitel:

Religiöses Leben 1982

Rezensent:

Lohmann, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

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regenden Überblick über Atheismus und ,Naturalismus' in der Alten
Welt. Aus seiner Sympathie für diese Weltanschauung macht er kein
Hehl. Auch dies wäre kein Anlaß zu Kritik, nähme nicht das Buch
mancherorts geradezu apologetischen, den Blick einengenden Charakter
an. Wenn man auch des öfteren nicht geneigt ist, die Ansichten
des Vf. zu teilen, so vermittelt das Buch doch in geistvoller Weise
einen interessanten Überblick.

Schwaz/Innsbruck Manfred Schretter

Watt, W. Montgomery, and Alford T. Welch: Der Islam. I: Mohammed
und die Frühzeit - Islamisches Recht - Religiöses Leben. Stuttgart
- Berlin - Köln - Mainz: Kohlhammer 1980. 371 S. m. 3 Ktn
gr. 8' = Die Religionen der Menschheit, 25,1. Lw. DM 78,-.

In der von Christel Matthias Schröder herausgegebenen Reihe „Die
Religionen der Menschheit" ist der mit Spannung erwartete erste
Band der auf drei Teile angelegten Darstellung „Der Islam" erschienen
. Laut Titel, Vorwort und Inhaltsverzeichnis konzentriert er sich
auf Mohammed und die Frühzeit, islamisches Recht und religiöses
Leben. Für den größeren Teil des Werkes (A. Abendländische Islamstudien
: S. 17-38; B. Ursprung und Werden des Islam: S. 39-161; C.
Der Koran: S. 162-232; D. Islamisches Recht: S. 233-261) zeichnet
Prof. Dr. W. Montgomery Watt (Universität Edinburgh, Schottland),
für den abschließenden kleineren Teil (E. Das religiöse Leben der
Muslime: S. 262-347) Prof. Dr. Alford T. Welch (Michigan State
University, East Lansing, USA) verantwortlich. Beider Dank gilt dem
Herausgeber für seine Hilfe und Betreuung, Frau Dr. Sylvia Höfer für
die vortreffliche Übersetzung aus dem englischen Originalmanuskript
und Frau Prof. Annemarie Schimmel für das Lesen der Fahnenabzüge
und für fachwissenschaftliche Ratschläge. - Mit Ausnahme einiger
weniger Stellen wurde die Koranübersetzung von Rudi Paret verwendet
.

W. M. Watt, bereits durch mehrere Bücher als hervorragender
Kenner des Islam ausgewiesen, stellt dem Werk einen kurzen Überblick
über die abendländische Islamforschung auf Grund der Tatsache
voran, daß die Abendländer sich über Jahrhunderte hinweg an einem
„verzerrten Bild" vom Islam und den Muslimen orientiert haben, das
die islamische Religion als Irrlehre und absichtliche Verdrehung der
Wahrheit, als Religion der Gewalt, des Schwertes und der Genußsucht
sowie ihren Propheten Mohammed als Betrüger und Antichrist darstellte
, was wiederum die Spannung zwischen Islam und Christentum
bis zum äußersten verschärfte. Auf dem Hintergrund dieser polemisch
-apologetischen Haltung konnte es in der Zeit vom Ende des 13.
bis zur Mitte des 17. Jh. praktisch keine Fortschritte in der Islamforschung
geben. Erst im Verlauf des nächsten Jh. beschäftigte sich die
Wissenschaft in zunehmendem Maße und objektiver mit dem Islam
und brachte eine Reihe von namhaften Gelehrten hervor, deren
Werke eine bes. Würdigung erfahren. Vf. läßt seinen kurzen Abriß
ausklingen mit dem Hinweis auf einen notwendigen „Dialog" zwischen
Muslimen und Christen, dessen Ziel es sein muß, die aufgerichteten
„Schutzwälle" gänzlich einzureißen und die noch verbleibenden
falschen Vorstellungen restlos zu beseitigen. „Künftighin gilt
beinahe mit Sicherheit, daß jeder Christ, der eine gründliche Islamkenntnis
erwirbt, während seines Studiums viele muslimische
Freunde gewinnen wird" (S. 38).

Dem Ziel einer objektiven und sachgerechten Behandlung der Religion
des Islam weiß sich der Vf. auch in den folgenden Einzeldarstellungen
zur Wirksamkeit Mohammeds verpflichtet. Nach kurzer
Beleuchtung der Verhältnisse Arabiens um das Jahr 600 u. Z. (ausführlich
Maria Höfner: Die vorislamischen Religionen Arabiens,
Kohlhammer 1970 = Die Religionen der Menschheit, Bd. 10,2,
S. 233-402) und Prüfung des Wertes der einschlägigen Quellen
(Koran; Sira = Prophetenbiographie; Hadit = umfangreiche Sammlung
von Anekdoten über Mohammed) (S. 39-51) versteht es der Vf.,
die „Lebensbahn" Mohammeds (ca. 579-632; vgl. Zeittafel S. 13;

hingegen bleibt auf S. 51 die traditionelle Ansetzungszeit seiner Geburt
im sog. „Elefantenjahr" um 570 unwidersprochen) als Prophet in
Mekka und als Prophet und Staatsmann in Medina auf dem Hintergrund
der politischen, sozialen und geistigen Situation seiner Landsleute
präzis und anschaulich zu schildern (S. 51-149), auch wenn es
ihm auf Grund der mannigfaltigen Probleme (z. B. Analphabetentum
Mohammeds, Erstoffenbarung, Dauer der Fatra, Ansetzungszeit und
Gestaltung der Koransuren usw.) nicht immer möglich ist, über ein
„wahrscheinlich" oder „vielleicht" hinauszukommen. In bes. Maße
richtet er sein Augenmerk auf die Gedankenabfolge in der Botschaft
Mohammeds, die er nach Überprüfung moderner Datierungstheorien
hinsichtlich der einzelnen Offenbarungen wie folgt darstellt: Gottes
Güte und Allmacht, Rückkehr des Menschen zu Gott und Erwartung
des Gerichts, Dankbarkeit und Gottesfurcht, großzügiger Umgang mit
dem Reichtum, Berufung Mohammeds zum Warner; nach Entstehung
einer Opposition: Drohung mit zeitlichen und endzeitlichen
Strafen, Angriff auf den Götzendienst; nach der Higra: abgesehen von
alten Themen insbes. liturgische und soziale Vorschriften im Zusammenhang
mit der Auseinandersetzung mit Juden, Christen und Mekkanern
(vgl. S. 60-68; 85-93; 95-141; 193). In Würdigung von
Mohammeds Charakter kommt Watt zu dem Ergebnis, daß der Prophet
weder ein Epileptiker noch ein Betrüger gewesen ist, sondern ein
Mann, der in seinem Glauben ehrlich davon überzeugt war, zwischen
Allahs Offenbarungen und seinen eigenen Gedanken unterscheiden
zu können. Auch sein späteres Heiratsverlangen und die hinsichtlich
einiger Ereignisse nicht hinwegzuleugnende Treulosigkeit und Doppelzüngigkeit
erweisen sich - mit dem moralischen Maßstab seiner
Zeit und seines Landes gemessen - als nicht anormal und außergewöhnlich
. Außerdem darf nicht nur die an Mohammed geübte
ungerechtfertigte Kritik korrigiert, sondern es müssen auch die Elemente
seiner Größe betont werden, die in dem Satz: „Zweifellos
gehört er zu den größten Männern der Weltgeschichte" ihre Zusammenfassung
finden (vgl. S. 19-21; 74-76; 141-149). Die Frage nach
der Wahrheit von Mohammeds Botschaft wird mit dem Hinweis
beantwortet, daß man sie an den „Früchten" erkennt, „die sie im
Leben einer ganzen Gemeinschaft trägt. Die Ausbreitung der Religion
des Islam und der tugendhafte Lebenswandel vieler seiner Anhänger
sind ein unwiderlegbarer Hinweis darauf, daß in den Lehren des Koran
viel Wahrheit steckt" (S. 74).

Der folgende Komplex C. „Der Koran" wird in die Hauptabschnitte
I. „Der Text des Koran und seine literarischen Merkmale"
(S. 162-214), O. „Die Lehre des Koran" (S. 214-225) und III. „Der
Koran in der muslimischen Wissenschaft" (S. 226-232) unterteilt.
Die wichtigsten Ergebnisse sind, daß Mohammed, des Lesens und
Schreibens kundig (S. 162 ff), in Medina mit Hilfe von Sekretären
Offenbarungen niederschrieb, einzelne separate Passagen zu größeren
Einheiten (Suren) zusammenstellte und den Wortlaut von einigen
koranischen Verkündigungen auch gelegentlich abänderte oder zurücknahm
(Abrogation), aber keine komplette Rezension des Koran
hinterließ. Eine offizielle Sammlung hat es auch weder unter Abü-
Bakr noch unter Umar gegeben. Erst unter Utmän erfolgte als Ergebnis
der Arbeit des Zayd ibn-Täbit und seiner Helfer, die beim „Sammeln
" des Koran nichts Wichtiges ausließen, die Festlegung eines
autoritativen Textes. Obwohl dieser die früheren Varianten nicht völlig
in Vergessenheit geraten ließ, waren die Unterschiede nicht von
großem Gewicht. Daher kann der Schluß gezogen werden, „daß der
Korantext in seiner jetzigen Form in allen wesentlichen Punkten der
Text ist, den Mohammed seinen Anhängern hinterlassen hat" (S. 182;
184). - Seltsamerweise setzt sich Watt mit den neuesten, z. T. recht
aufsehenerregenden Arbeiten von G. Lüling: Über den Ur-Qur an.
Ansätze zur Rekonstruktion vorislamischer christlicher Strophenlieder
im Qur an, Erlangen 1974 (vgl. Rez. Th. Lohmann, ThLZ 103,
1978 Sp. 560-563; zur Koranforschung vgl. jetzt auch G. Lülings
neuestes Buch „Die Wiederentdeckung des Propheten Muhammad.
Eine Kritik am .christlichen' Abendland", Erlangen 1981, bes.
S. 91 ff), J. Wansbrough: Quranic Studies. Sources and Methods of