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Ausgabe:

1982

Spalte:

661-663

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Thrower, James

Titel/Untertitel:

The alternative tradition 1982

Rezensent:

Schretter, Manfred K.

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 9

662

Fritzsche, Helmut: Zur Nacharbeit von Boston (1). Über Kooperation von
Wissenschaft und Theologie (1) (Standpunkt 10,1982S. 146-152).

Fünfzehn Jahre Institut für Ökumenische Theologie und Patrologie. Ein
Arbeitsbericht. Graz: Institut für ökumenische Theologie und Patrologie an
der Universität Graz 1982. 72 S. 8" = Grazer theologische Studien, Beiheft 1.

Jenssen, Hans-Hinrich: Spuren Gottes in den Werken seiner Schöpfung. Ein
Beitrag zum Darwin-Jahr 1982 (Die Christenlehre 35,1982 S. 176).

Köster, Wilhelm, S. J.: Abendland, woher - wohin? Aufriß zu einer Ortsbestimmung
des Heute. Münster/W.: Aschendorff 1982. IX, 141 S. 8V Lw.
DM 19,80.

Kremer, Jacob: Der Frieden - eine Gabe Gottes (StZ 107, 1982 S. 161-173).

Lexer, Matthias: Matthias Lexers mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch.
36. Aufl. Leipzig: Hirzel 1980. VIII, 504 S. 8 Lw. DDR M 12,70; Ausland
24,-.

Religionswissenschaft

Thrower, James: The Alternative Tradition. Religion and the Rejec-
tion of Religion in the Ancient World. The Hague - Paris - New
York: Mouton 1980. 286 S. gr. 8" = Religion and Society, 18. Lw.
DM 72,-.

Das Buch ist, wie der Vf. im Vorwort bemerkt, für einen weiteren
Leserkreis bestimmt und soll den Anfängen der von ihm .Naturalismus
' genannten Weltanschauung, der .alternativen Tradition', in den
frühen Hochkulturen nachgehen. Dieser .Naturalismus', nach dem
Vf. nur schwer zu definieren (S. 9), wird als Weltanschauung beschrieben
, die den Sinn des menschlichen Lebens einzig in dieser materiellen
Welt sieht. In die Untersuchung miteinbezogen wird jene Religionskritik
, die, obwohl nicht streng .naturalistisch', das geistige Klima
für die Entwicklung des .Naturalismus' schuf.

In der Einleitung, die den Mythos zum zentralen Thema hat, stellt
der Vf. eine enge Verbindung zwischen religiöser und mythischer
Weltauffassung her. Den größten Unterschied zum modernen Weltbild
sieht er darin, daß der .primitive' Mensch der Welt als einem .Du'
begegne, eine Ansicht, die in dieser Form, wenigstens für den Bereich
des Alten Mesopotamien - und darauf stützt sich das vom Vf. zugrundegelegte
Buch von Frankfort, H., u. a., Intellectual Adventure-,
schwerlich aufrechtzuerhalten ist, s. S. N. Kramer, Rez^ zu o. c. in
Journal ofCuneiform Studies2, 1948, S. 39ff; zu den dorrangeführten
Argumenten sei noch hinzugefügt, daß das Sumerische in seiner
Sprachstruktur eine scharfe Trennung zwischen Personenklasse und
Sachklassc beachtet und somit die Kenntnisnahme unbelebter Natur
durch die Sumerer zwingend erwiesen ist.

Den Hauptteil beginnt der Vf. mit einer Darstellung des indischen
Bereichs. Auf eine Einleitung folgt ein kurzer Abriß der Religion der
vedischen Periode. In einem weiteren Kap. werden Zitate aus den
Rg-Vedcn zur Illustration der Anfänge von Skeptizismus und Agnostizismus
in Indien angeführt. Auch in den Upanisaden findet der Vf.
Anzeichen für das Aufkommen einer .naturalistischen' Weltsicht. Ein
Weiteres Kap. ist den Anfängen der Lokayäta genannten hedonistischmaterialistischen
Weitanschauung gewidmet; eine Reihe von Theorien
dazu wird vorgestellt, sicher ist, daß etwa ab dem 6. Jh. v. Chr.
Lokayäta als philosophische Schule mit dem Namen Carvaka verknüpft
ist. Nach der Vorstellung einiger ,Freidenker' dieser Zeit
charakterisiert der Vf. das System von Lokayata näher: Es ist,naturalistisch
' in Erkenntnistheorie (nur Sinncswahrnchmung wird anerkannt
), Metaphysik (Leugnung eines geistigen Prinzips) und Ethik
(hedonislisch). Breiten Raum nimmt auch das Anliegen des Vf. ein,
für die Schule des Samkhya einen .naturalistischen' Ursprung und
cinen engen Zusammenhang zwischen diesem System und Lokayata
zu erweisen. Ein letztes Kapitel ist dem Jinismus und Buddhismus
gewidmet.

Den Abschnitt über China eröffnet eine Darstellung der frühen
chinesischen Religion, worauf den Anfängen des Rationalismus in der
Ch'un Ch'iu Periode nachgegangen wird. Nach einer Würdigung der
humanistischen und rationalistischen Tendenzen bei Konfuzius wird

dargestellt, wie im frühen Taoismus die mystische Weltsicht einem
,pantheistischen Naturalismus' weicht und die Voraussetzung zur
Entwicklung von Wissenschaft und Technologie in China schafft. Ein
weiteres Kapitel stellt die Weiterentwicklung des Konfuzianismus
während der Han-Dyn. in Richtung ,Naturalismus' durch Hsuh Tzu
dar. In Wang Ch'ung sieht der Vf. einen Lukrez Chinas. Ein Kapitel
über die spätere skeptische Tradition bis ins 17. Jh. n. Chr. beschließt
diesen Abschnitt.

Im Abschnitt über Griechenland folgt auf eine allgemeine Einleitung
ein Ausblick auf die frühe griechische Religion, wobei der Vf.
besonderes Gewicht auf die Auffassung von moira als einem Keim
sowohl für revidierten Theismus als auch für philosophischen Naturalismus
' legt. Aus dem Kapitel über die Ionischen Naturphilosophen
wird deutlich, wie stark diese Denker trotz ihrer .naturalistischen'
Tendenzen immer noch dem mythologischen Weltbild verhaftet sind.
In der Schule der Atomisten sieht der Vf. die Erfüllung der .naturalistischen
' Seite der griechischen Philosophie, während bei den Sophisten
der humanistische Agnostizismus hervorgehoben wird. Weiters
zeichnet der Vf. ein Bild von den Ausprägungen der .naturalistischen'
und idealistischen Strömungen und ihrer Auseinandersetzungen in
klassischer Zeit. Nach einer kurzen Darstellung der in hellenistischer
Zeit auftretenden Philosophenschulen gibt der Vf. eine ausführliche
Darstellung des Epikureismus, einer Richtung, der sichtlich seine
Sympathien gelten. Eine Darstellung der Skeptischen Schule beschließt
diesen Abschnitt.

Die Darstellung des römischen Bereichs legt nach einem kurzen
Überblick über die Ursprünge der römischen Religion das Hauptgewicht
auf Cicero und Lukrez, wobei sehr ausführlich die Darstellung
der Mittleren Akademie im 3. Buch von Cicero, de nat. deor.,
als Zusammenfassung der antireligiösen Standardargumente der
Alten Welt vorgestellt wird. In Lukrez, dem Protagonisten des Epikureismus
in der römischen Welt, sieht der Vf. den einzigen europäischen
Schriftsteller, der ein philosophisches (nicht theologisches)
System in eine große Dichtung gefaßt hat. Weiters geht der Vf.
stoisch-pantheistischen, atheistischen, agnostischen und skeptischen
Tendenzen in der frühen Kaiserzeit nach. Zum Schluß werden der
Ursprung der .naturalistischen', nichtmythologischen Weltauffassung
, die Moralkritik an der Religion, der Agnostizismus und die
Theorien über den Ursprung der Religion als für das Nachleben des
,Naturalismus' von Bedeutung zusammengefaßt.

In einem Appendix geht der Vf. kurz auf das Alte Israel ein und
sieht zunächst die Wurzeln des Säkularisierungsprozesses in der Trennung
der Natur vom transzendenten Gott und vom Menschen, in der
Verlegung der Mythologie in die zeitliche Sphäre (Auszug aus Ägypten
), in der Kritik am gottgewollten' Königtum sowie im Bilderverbot
. Sodann werden Anhaltspunkte für den Nachweis von Irreligiosität
in der Weisheitsliteratur (Spr, Ijob und besonders Koh) aufgeführt
. Für den babylonischen Raum werden Zitate aus dem Gil-
gameschepos (10. TT., aB Fg. ,M' III 1-14, die in ihrem Aussagewert
wohl oft überbewertete Rede der Schenkin), dem .Zwiegespräch
zwischen Herrn und Sklaven' (s. dazu W. G. Lamber, Bab. Wisdom,
S. 139ff), aus .Ludlul bei nemeqi' (o.e. S. 21 ff) sowie der .Babylonischen
Theodizee' (o.e. S. 63 ff) geboten. Für den ägyptischen
Bereich führt der Vf. Zitate aus der Zeit nach dem Zusammenbruch
des Alten Reiches als Belege für eine bis zum Selbstmord reichende
pessimistische und, darin eingeschlossen, hedonistische Grundstimmung
an. Einen .naturalistischen' Ansatz findet der Vf. in einem
medizinischen Papyrus (vgl. aber schon einen sumerischen medizinischen
Text aus der Zeit Ur III, bearb. von M. Civil in Rev. d'Assyr.
54, 1960, S. 57ff). Ein kurzes Nachwort, ein Index und eine 12 Seiten
umfassende Bibliographie beschließen das Werk.

Das Buch hat einen sowohl räumlich wie zeitlich erstaunlich
großen Bereich zum Inhalt; trotz mancher dadurch bedingter Verallgemeinerung
soll hier der große Wert, den synoptische Werke dieser
Art bieten, gebührend hervorgehoben und dem Vf. dafür gedankt
werden. Thrower bietet einen gut lesbaren, interessanten und an-