Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1982

Spalte:

617-619

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Sparn, Walter

Titel/Untertitel:

Leiden, Erfahrung und Denken 1982

Rezensent:

Koch, Traugott

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

617

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 8

618

Der zweite Teil der Untersuchungen des Vf. wendet sich der Beurteilung
des menschlichen Leidens im allgemeinen vom Leiden Gottes
her zu (vgl. S. 195ff). Das Leiden des Menschen vollzieht sich in der
Welt, deren „Sinn" und „Ziel" der Bund ist (vgl. S. 214ff). Der Bund
als die vollzogene Versöhnung Gottes mit dem Menschen muß deshalb
auch sowohl als das „Ziel" wie als „der Sinn und das Geheimnis
des Weltleidens" verstanden werden (S. 218). Unter dieser Voraussetzung
kommt das Leiden des Menschen einmal „im Kontext des
Widerspruchs Gottes gegen das Elend" (vgl. S. 220ff) und zum
anderen „als Erwartung und Erinnerung des Leidens Gottes" (vgl.
S. 303 ff) zur Sprache.

Der Kontext des Widerspruchs Gottes gegen das Leiden ist bei
Barth Gottes Verneinung des Nichtigen und seiner „Leidensexponenten
Sünde, Übel und Tod" (S. 220). Der Vf. betont nachdrücklich
, daß diese „Leidensexponenten" bei Barth in keiner Weise als zur
guten Schöpfung Gottes gehörig angesehen werden dürfen (vgl.
S. 249). Sie sind wie das Nichtige selbst unter Gottes Nein nur zum
Vergehen bestimmt (vgl. S. 268, 289). Probleme beretet dem Vf. freilich
diese einseitige Zuordnung des Leidens zum Nie nigen die Rede
Barths von der „Schattenseite" der Schöpfung. Er beklagt, daß es hier
bei Barth zwischen dem Nichtigen und jener Schattenseite „immer
wieder zu befremdend fließenden Übergängen" komme (S. 360). Die
Güte der Schöpfung soll also Leidenslosigkeit implizieren, weshalb
der Vf. beiläufig auch bestreitet, daß der Tod mit Barth als gute,
kreatürliche Grenze des Menschseins angesehen werden kam (vgl.
S. 362, Anm. 802). Vielleicht steckt jenes Interesse an einer von aller
Problematik der Endlichkeit gereinigten Güte der Schöpfung auch
hinter der mir letztlich unverständlich gebliebenen Behauptung des
Vf., Barth habe ein „anhypostatisches Wirklichkeitsverständnis" (vgl.
S. 82, 260 u. ö.). Das hieße ja, der Mensch teile nach Earth die
Existenzweise Gottes, so daß die Selbständigkeit des Men: chen im
Gegenüber zu Gott, auf die Barths Analogielehre zielt, tangurt wäre.
Hier führt jenes Interesse an der Vollkommenheit der Schöpfung zu
Unausgeglichenheiten der Interpretation, die fragen lassen, ob es gut
ist, im deutlichen Unterschied zu Barth die so widersprüchliche und
vielfältige Wirklichkeit des Leidens des Menschen von nur einem
systematischen Prinzip her in den Blick zu nehmen.

Stringenter bringt der Vf. dagegen das zur Geltung, was er im Anschluß
an Barth den „Leidenssinn" nennt. Es geht nicht um einen
Sinn, der dem Leiden immanent ist. Vielmehr muß man nach Barth
das menschliche Leiden als Abbild und Zeichen des Gerichtes Gottes
über das Nichtige verstehen (vgl. S. 307ff). Indem es Zeichen dieses
Gerichtes ist, weist es zugleich auf die Überwindung des Leidens hin,
so daß die „Leidenssinndeutung nicht in eine Leidenverherrlichung
umschlagen" kann (S. 323). Der Vf. sieht richtig, daß Barths Umgang
mit der Theodizeefrage darum nicht zufällig die Pointe hat, Gott in
seinem Kamp/ gegen das Elend als gerechtfertigt zu verstehen. Nicht
ein Abfinden mit dem Leiden, sondern ein „christologisch begründete
^) Optimismus des Glaubens" ist die Haltung gegenüber dem
Leiden, auf die Barth zielt.

In einem sehr knapp gehaltenen „Fazit als Anwendung" betont der
Vf. darum auch, daß der Glaubende von Christus mitten im Leiden
zur Liebe der leidenden Welt und zu der ihm möglichen Tat im
Kampf gegen das Leiden befreit wird. Der in der christlichen Tradition
so verbreitete Gedanke von der Notwendigkeit des Leidens für
den Menschen zum Zwecke seiner Erziehung zum Guten hat in
diesem Fazit keinen Platz. Damit hat der Vf. - trotz der im einzelnen
an ihn zu richtenden Fragen - die wesentliche Intention von Barths
Verständnis des Leidens zur Klarheit gebracht.

Berlin WolfKrötke

Sparn. Walter: Leiden - Erfahrung und Denken. Materialien zum
Theodizceproblem. München: Kaiser 1980. 284 S. 8* = Theologische
Bücherei, 67. Studienbücher. Lw. DM 38,-.

Ein anspruchsvolles, höchst respektables Werk! Was es enthält, das
sagt der Haupttitel schwerlich und der Untertitel nur teilweise. Denn
es bringt nicht nur „Materialien" - d. i. Texte - „zum Theodizee-
problem", sondern in den etwa gleich umfangreichen Kommentaren
zu den Texten zugleich einen kenntnisreichen, problem-bewußten
und prägnant formulierten Abriß der Geschichte dieses Problems:
von Piaton und den Anfängen der christlichen Theologie bis in die
Gegenwart.

Nach einem einführenden Paragraphen mit thematischen, allgemein
bibliographischen und methodisch-didaktischen Hinweisen
dokumentiert und erläutert der Autor die neuzeitliche Thematik der
„Theodizee" von Leibniz über Kant und Hegel bis zu Schopenhauer
und Nietzsche. In diesem 1. Teil (wie in dem folgenden 2.) wird man
die Textauswahl, aber auch die problem-geschichtlichen Einleitungen
zu den wiedergegebenen Konzeptionen sowie die den Paragraphen
jeweils abschließenden „Arbeitshinweise" (mit einer sehr gediegenen
speziellen Bibliographie) nur als kompetent und höchst instruktiv
bezeichnen können. Die knappe Charakterisierung der einzelnen
Konzeptionen ist m. E. vorzüglich.

Freilich wird man fragen können, ob Hegels Konzeption nicht mißverständlich
gekennzeichnet ist, wenn sie eine „Theodizee der Geschichte
" genannt wird - und dies in dem Sinne, daß „die Geschichte
das Forum" sei, „vor dem die Einheit der Wirklichkeit und die Wirklichkeit
der Freiheit eingeklagt wird" (67). Ist Hegels „Forum" nicht
vielmehr der - selbstverständlich genau zu bestimmende, weil sich
selbst differenzierende - „Geist"? Doch vor allem läßt die relativ
umfangreiche Wiedergabe „Schopenhauers" und „Nietzsches" erkennen
, was erst im vorletzten Paragraphen (über „Luther") vom
Autor formuliert wird; er hält das Theodizee-problem für „apore-
tisch" (216.218.225). Erst von dieser These her dürfte auch verständlich
werden, warum der Autor den Fortgang der Problemgeschichte
(die Ausbildung der philosophischen „Theodizee" bie Leibniz und
hernach ihre Ablösung durch die Kritik- und Postulatentheorie
Kants, aber auch Piatons und Augustins Lehre) so stark durch
geschichtliche „Krisen" angetrieben sieht (cf. 21.43.144.164).

Didaktisch vermutlich geschickt, jedoch sachlich nicht ohne
Schwierigkeiten folgt auf den der Neuzeit gewidmeten 1. Teil ein
zweiter „der Tradition": von Piaton, Augustin und Thomas v. Aquin
zu Luther. Bei dieser Anordnung drängt sich zunächst die Frage auf:
Was soll nach Nietzsches Zersetzung der Theodizee-thematik und
insbesondere des „Piatonismus" noch der Rekurs auf Piaton selbst?
Nun, es ist zu erkennen, daß die parallele Plazierung von Nietzsche
und Luther (cf. 216) und der Abschluß der gesamten Thematik mit
Luther vom Autor beabsichtigt ist. Doch bedürfte eine derart gewichtige
Entscheidung nicht der expliziten Begründung? Der Autor wiederholt
die oft gehörte These, durch Luthers Rechtfertigungslehre sei
das Theodizee-thema bereits in seiner Fragestellung (in der „Aufstellung
dieses Problems") überholt: „An die Stelle der Rechtfertigung
Gottes" (sc. durch den Menschen; cf. 224) „tritt die Rechtfertigung
durch Gott" (221). Gesetzt, es sei so: Wozu sich dann mit Leibniz, Kant
und Hegel beschäftigen? Besteht der Sinn der nach-lutherischen Theologie
und Philosophie (vermutlich: bis heute) nicht vielmehr gerade
auch darin, die von Luther entdeckte Rechtfertigungs-gewißheit von der
„natürlichen Theologie" Luthers - vom Nominalismus eines willkürlich
und darum blind notwendig handelnden Gottes - zu befreien?

Der Schlußparagraph, „Anhang" tituliert, gibt überaus kundige
und nützliche „Hinweise zur Revision des Problems in der Gegenwart
": Hinweise aus der gegenwärtigen Theologie und Philosophie,
aber auch aus den empirischen Humanwissenschaften. Er schließt mit
einer Skizze der „theologischen Aufgaben" angesichts (1.) der „nach-
theistischen Situation" (2640, (2.) der verstärkten Akzentuierung der
gesellschaftlichen Praxis und der „Sprache des Leidens" (2660 und
schließlich (3.) der Suche nach einer .konkreten' Theologie, welche
die Erfahrung des Leidens in dessen Allgemeinheit reflektiert (2690-

Dies problem-schwere und doch in seiner Weise zweifellos gelungene
Werk soll auch pädagogischen Ansprüchen genügen: es gibt