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Ausgabe:

1982

Spalte:

615-617

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Krause, Burghard

Titel/Untertitel:

Leiden Gottes, Leiden des Menschen 1982

Rezensent:

Krötke, Wolf

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 8

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weise der Bote einer auf Kirche und Theologie zukommenden Religionsbiologie
, die wissenschaftliche Untersuchung und positive Bewertung
von Religiosität miteinander verbindet. Es wird theolo-
gischerseits viel zu tun geben in Kritik und Förderung, zuvor aber im
Verstehen dieses Ansatzes. Er ist jedenfalls eine deutliche Anfrage an
die Theologie. Ein Übergehen dieser Anfrage, weil einem „die ganze
Richtung nicht paßt", wäre kein Zeichen wacher theologischer Existenz
. .

Im zweiten Teil des Buches geht es um die andere Seite des gleichen
intellektuell-diakonischen Grundanliegens, nämlich um einen wissenschaftlich
abgesicherten Weg zum naturwissenschaftlich belegten
Glauben, um dessen Aneignung. In Anlehnung an den amerikanischen
Religionspsychologen William James haben Hardy und
einige Mitarbeiter seit Jahren Tausende schriftliche Berichte zeitgenössischer
Engländer über ihre religiösen Erfahrungen gesammelt
und ausgewertet.

Ein Skeptiker oder Agnostiker sollte sich diesen Zeugnissen unvoreingenommen
nähern und - nac i Hardys Hoffnung - die durch sie
beglaubigte Macht ohne sacrificiam intellectus anerkennen können.
Das Ergebnis könnte ein „experimenteller Glaube" (engl, experi-
mental = gegründet auf Erfahrung, nicht auf Autorität oder bloße Vermutung
) sein, der inhaltlich gekennzeichnet wäre durch „die Gewißheit
einer wirkenden höheren Macht, die wir Gott nennen mögen"
(S. 187) und die Menschen einst, jeder auf seine Art - Gott, Nirwana,
Kwoth oder wie sonst immer genannt haben" (S. 205). Diesen
Menschheitsglauben sieht Hardy weit von den Dogmen, nicht aber
vom Geist des Christentums entfernt, und darum zählt er zu seinen
Kennzeichen auch „die Überzeugung von der Richtigkeit einer
Lebensweise, wie sie im Evangelium Jesu gelehrt wird" (S. 187).

Das Buch mündet dann evangelistisch in eine Anleitung zum Beten
des Vaterunser, das als „ein sehr altes Rezept..., eine Formel zur
Erzeugung religiöser Erfahrung" (S. 203) bezeichnet wird. - Ist diese
Formulierung mit dem evangelistischen Anliegen oder mit angelsächsischer
Eigenart zu entschuldigen? Oder muß hier nicht doch grundsätzliche
theologische Kritik einsetzen?

Wittenberg Hans-Peter Gensichen

Systematische Theologie: Dogmatik

Krause, Burghard: Leiden Gottes - Leiden des Menschen. Eine Untersuchung
zur Kirchlichen Dogmatik Karl Barths. Stuttgart: Calwer
1980. VII, 391 S. 8' = Calwer Theologische Monographien. Reihe

B: Systematische Theologie und Kirchengeschichte, 6. Kart.

DM 48,-.

Zwei Tendenzen bestimmen nach der Ansicht des Vf. die zeitgenössischen
Versuche, sich theologisch mit der Problematik des Leidens
zu befassen. Zum einen besteht eine „Tendenz zur Identifizierung
von Gott und Leiden" (vgl. S. 14 ff). Das Leiden soll als der
Ort begriffen werden, an dem Gott sich als geschichtliche Wirklichkeit
erfahrbar macht. Zum anderen besteht eine „Tendenz zur Polarisierung
von Gott und Leiden" (vgl. S. 36 ff). Gott soll so radikal als
Gegner des Leidens verstanden werden, daß er selbst nicht ganz Gott
(für uns) zu sein vermag, solange das Leiden andauert. Kündet sich
hier die Gefahr eines „.Beziehungsverlustes' zwischen Gott und Welt
im theologischen Denken" an (S. 40), so kann es das Problem der
ersten Tendenz sein, „daß Gott und Welt nicht mehr oder kaum noch
unterscheidbar bleiben" (ebd.). Gottes Unterschiedensein von der
Welt und sein „Dabeisein" im Weltgeschehen sind aber für den Vf. die
beiden unerläßlichen Bedingungen einer verantworteten theologischen
Stellungnahme zum Leiden. K. Barths Theologie trägt nach
seiner Meinung diesen Bedingungen in exemplarischer Weise Rechnung
. Sie hat deshalb für solche Stellungnahme richtungweisende
Bedeutung.

K. Barth hat das Leiden als „Implikat" (S. 86) der Geschichte
Gottes mit dem Menschen in Jesus Christus verstanden. Erst von da
aus kommt es zu einer theologischen Bewertung des menschlichen
Leidens im allgemeinen. Der Vf. gliedert demgemäß den Hauptteil
seiner Arbeit, die im Stile einer „interpretierenden Paraphrase" verfaßt
ist (vgl. S. 64), in zwei große Abschnitte. Der erste handelt von der
„Passio dei" und fragt nach der „Bedeutung des Leidens für Barths
Verständnis der Gottesgeschichte" (vgl. S. 87ff). Der zweite behandelt
die „Passio hominum" und fragt nach der „Bedeutung der Gottesgeschichte
für Barths Verständnis des Leidens" (vgl. S. 195 ff).

Beide Abschnitte dieser Erlanger Dissertation sind von dem Bemühen
gekennzeichnet, die Bewegung des Denkens Barths verstehend
mitzuvollziehen. Es sind darum von den Darstellungen und Überlegungen
des Vf. keine schlechthin neuen, überraschenden Wendungen
der Leidensproblematik zu erwarten. Das aber erweist sich
angesichts der verbreiteten Unsitte, Barths Texte als Versatzstücke
und Folie für ohnehin schon bestehende Urteile zu verwenden, eher
als ein Vorzug. Denn der Vf. treibt das Thema mit gründlicher Sachkenntnis
und mit Problembewußtsein voran, so daß seine Arbeit zugleich
als eine gelungene Demonstration der Sachbezogenheit und des
Problemgehalts der Barthschen Theologie angesehen werden kann.

Ausgehend davon, daß Gott sein Sein nach Barth im Leiden des
Menschen Jesus für uns selbst „interpretiert" (vgl. S. 99), macht der
Vf. zunächst deutlich, warum aus diesem Sachverhalt nicht die Notwendigkeit
des Leidens für Gottes Offenbarung geschlußfolgert
werden darf. Gottes Weg in das Leiden Jesu liegt für Barth vielmehr in
der Konsequenz der Bundestreue Gottes zu dem sündigen Bundesvolk
. „Es ist Gottes passionierte Menschenfreundlichkeit, die ihn auf
diesen Passionsweg führt, sein leidenschaftlicher Gemeinschaftswille,
der ihm letztlich das Leiden schafft" (S. 120). Gerade das macht nach
der zutreffenden Interpretation des Vf. schon Barths Erwählungslehre
deutlich. Diese Lehre hat mit einer „Entgeschichtlichung" des Weges
Gottes nichts zu tun. Sie expliziert im Gegenteil einen in der Passionsgeschichte
Jesu Christi selbst enthaltenen Aspekt. Es ist der Aspekt,
daß Gott gerade im Leiden das freie, souveräne Subjekt seiner Entscheidung
für den Bund mit dem Menschen bleibt (vgl. S. 149 ff). Ob es
freilich gut ist, zu behaupten, daß Barth damit die „dogmatische
Funktion" (nicht den Inhalt!) des sog. „Apathieaxioms" (W. Eiert) der
metaphysischen Gotteslehre „verteidige" (vgl. S. 194), wird man
fragen müssen. Denn der Vf. verstärkt mit dieser These die bei Barth
vor allem in KD II/l erkennbare Neigung, Gottes Freiheit im Sinne
einer potentia dei absoluta zu beschreiben. Gottes Freiheit kommt
dann als eine Art Vorbehalt seiner Liebe zur Sprache und nicht -
worauf Barth doch eigentlich zielt - als der Vollzug des Liebens und so
auch des Leidens! Dieser Vorbehalt scheint sich auch beim Vf. selbst
bemerkbar zu machen. Bei der Interpretation der äußersten Konsequenz
des Liebens Gottes, nämlich des Todes Jesu, legt er alles
Gewicht darauf, daß dieser Tod nur ein „zeitlich begrenzter" „Durchgang
" für Gott gewesen sei (vgl. S. 184 unter fragwürdiger Zitation von
KD III/1, S. 440). Nach Barth soll gelten: „Der Tod des Gottessohnes
kommt lediglich drei Tage (!) im Leben des dreieinigen Gottes vor"
(S. 185). Das Motiv dieses Verständnisses des Todes Jesu Christi ist
offenkundig, die letztliche Unberührtheit Gottes vom Todesleiden zu
wahren. Die Konsequenz ist jedoch, daß vom Tode Jesu Christi dann
eigentlich nur als von einem vergangenen und nicht von einem uns als
Gegenwart betreffenden Heilsereignis geredet werden kann, das
eschatologischen Charakter hat. Als Rückgängigmachen des Todes
Jesu hat Barth darum gerade die Auferstehung Jesu Christi nicht verstanden
. Vielmehr gilt: Das Sein Jesu Christi als Leidender und Getöteter
ist „als solches sein ewiges und also auch an jedem Tag unserer
Zeit heutiges Sein" (KD IV/1, S. 345). Insofern besteht von Barth her
die Aufgabe, den Tod Jesu als eine bleibende Bestimmung des konkreten
Vollzuges der Freiheit der Liebe Gottes zu denken. Die Ansicht
dagegen, Barth wolle in seinem Verständnis der Passion Christi ein
Anliegen der metaphysischen Gotteslehre verteidigen, verdeckt diese
Aufgabe.