Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1982

Spalte:

614-615

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hardy, Alister

Titel/Untertitel:

Der Mensch, das betende Tier 1982

Rezensent:

Gensichen, Hans-Peter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

613

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 8

614

Ontotogie, die sowohl Husserls Reduktion der Ontologie auf Egologie
und Epistemologie als auch die methodische Inkohärenz der Marcel-
schen Ontologie vermeidet..Andererseits geht es ihm unter Zurückweisung
der Jasperschen Philosophie des tragischen Scheiterns
darum, gegenüber aller Negativität die ursprüngliche Affirmation des
Seins im menschlichen Dasein zur Geltung zu bringen. Er tut dies
aber gerade nicht in Gestalt einer affirmativen Ontologie, die das Böse
verharmlost. Dessen Wirklichkeit und die Faktizität von Sünde und
Schuld lassen sich nicht bestreiten. Aber im Horizont der ursprünglichen
Seinsbejahung werden sie transzendiert von der eschatologi-
schen Hoffnung auf eine immer noch größere Freiheit, Vergebung und
Güte. Ricoeurs Ontologie ist beherrscht von der Logik des ,um wieviel
mehr'. Sie ist weder archäologisch noch teleologisch, sondern eschato-
logisch orientiert.

Van Leeuwen zeigt dies, indem er zunächst in Kap. II (Finitude and
the Desire to be) in Form einer Analyse von L'Homme Faillible
Ricoeurs Verankerung der ontologischen Problematik in einer reflexiv
sich entwerfenden Anthropologie aufweist. Die Frage nach dem
Sein und die Frage nach dem, der nach dem Sein fragt, lassen sich
nicht trennen. Doch der Mensch in seinen verschiedenen Bezügen zur
Welt, zu anderen und zu sich selbst ist sich nicht direkt zugänglich.
Reflexives Selbst- und Seins-Verständnis ist daher auf den hermeneu-
tischen Umweg der Interpretation der vielfältigen Manifestationen
menschlichen Wissens, Handelns und Gefühls verwiesen. Während
der Mensch aber im Wissen und Handeln dem Sein gegenübersteht,
manifestiert sich im Gefühl die Tiefenstruktur menschlicher Existenz,
seine Zugehörigkeit zum Sein. Die symbolischen und metaphorischen
Manifestationen des Gefühls sind so von fundamentaler ontologischer
Bedeutung. In ihnen kommt nicht nur der Konflikt zwischen der vitalen
Begierde nach Lust und der spirituellen Suche nach Glück zur
Darstellung; sie bringen auch das ontologische Gefühl der Partizipation
und die daraus resultierende Erwartung und Hoffnung auf einen
sinnvollen Gesamthorizont des Lebens zum Ausdruck. Vor allem sie
gilt es daher zu interpretieren.

Ricoeurs in Kap. III (Language and Being) gründlich analysierte
hermeneutische Theorie erweist sich so nicht als Abschweifung vom
ursprünglichen Plan der Philosophie de la Volonte, sondern als integrales
Moment seiner ontologischen Bemühung. Der Mensch spricht
über die Welt und spricht ihr so im Wissen und Handeln Sinn zu:
Ricoeurs Hermeneutik ist daher in Abgrenzung gegen den Strukturalismus
primär am Diskurs und am Text orientiert. Der Mensch kann
zu sich selbst nur über eine Interpretation der Zeichen und Symbole
des Menschen kommen: die Aneignung des Sinns von Texten wird
folglich in Auseinandersetzung mit der von Dilthey repräsentierten
hermeneutischen Tradition zum Hauptproblem. Die Tiefenstruktur
menschlicher Existenz manifestiert sich vor allem in den komplexen
Symbolen des menschlichen Gefühls: in Auseinandersetzung mit
Heidegger, Derrida, Freud und Hegel steht die Hermeneutik des symbolischen
und metaphorischen Diskurses somit zwangsläufig im Mittelpunkt
des Interesses.

Der sich im symbolischen Diskurs ausprägende Existenzkonflikt
aber führt zum Konflikt der Interpretation und nötigt zur Konzentration
auf das in Kap. IV (Evil - Choice or a Power of Being) thematisierte
Problem des Bösen. Der Weg der Interpretation käme nicht zum
Ziel, wenn er der Realität des Bösen auswiche oder bei ihr stehen
bliebe. Die .Hermeneutik des Bösen' wird so zum Prüfstein der
Ricoeurschen Affirmation eines Mehrwerts von Sinn über die Sinnlosigkeit
. Ausgehend von La Symholique du Mal charakterisiert van
Leeuwen die drei Ebenen der Primärsymbole, der Mythen und der
Spekulation und Ricoeurs philosophische Interpretation derselben im
Verhältnis zu Kant und Hegel. Das Böse läßt sich weder auf Schuld
reduzieren und damit ethisch als notwendiges Moment menschlicher
Freiheit einsichtig machen noch teleologisch als vorübergehendes
Moment einer dialektischen Geschichte zur vollendeten Harmonie
interpretieren. Es begegnet vielmehr immer zugleich als Verhängnis
und als Schuld, so daß in der Zweideutigkeit menschlicher Existenz

nur die eschatologische Hoffnung artikuliert werden kann, daß trotz
allem das Böse nur das vorletzte Wort ist.

Wert und Grenzen dieser Arbeit liegen klar auf der Hand. Sie ist
eine eindringliche Darstellung von Ricoeurs Denken, keine Auseinandersetzung
mit ihm. Kritische Andeutungen finden sich allenfalls
gelegentlich in Anmerkungen versteckt (S. 84 Anm. 41 u. 44; S. 97,
Anm. 93); und auch die Interpretation der Philosophen, mit denen
Ricoeur sich auseinandersetzt, wird nicht in Frage gestellt. Das aber
hat Konsequenzen für ein adäquates Verständnis Ricoeurs. Ich greife
nur einen Punkt heraus: Ricoeurs spannungsreiches Verhältnis zu
Schleiermacher sowohl in seiner Anthropologie als auch in seiner
Hermeneutik bleibt gänzlich ungeklärt. Der von van Leeuwen in
L 'Homme Faillible diagnostizierte Bruch mit dem Kantschen Modell
transzendentaler Reflexion beim Übergang zur Analyse des Gefühls
(S. 49ff) trägt unübersehbar Schleiermachersche Züge. Doch obgleich
die Gesprächspartner Ricoeurs sonst immer sorgfältig aufgezeigt
werden, wird dies hier mit keinem Wort erwähnt. Ähnlich wird bei
der Analyse von Ricoeurs Hermeneutik Schleiermacher ausschließlich
aus der Perspektive Diltheys und Gadamers als Vertreter einer
Hermeneutik des,Einfühlens' und .Nacherlebens' präsentiert (S. 800-
Doch wenn Ricoeur diese Tradition mit ihrer Gleichsetzung des Sinns
eines Textes mit der Intention seines Autors kritisiert, dann findet sich
Schleiermacher eher auf der Seite des Kritikers als auf der seiner kritisierten
Interpreten. Gerade weil van Leeuwens gründliche Studie zum
Verhältnis Ricoeurs und Schleiermachers schweigt, fordert sie dazu
auf, dieser Frage intensiver nachzugehen.

Tübingen Ingolf U. Dalferth

Hardy, Alister: Der Mensch - das betende Tier. Religiosität als Faktor
der Evolution. Übers, v. H. Haug. Stuttgart: Klett-Cotta 1979.
221 S.8'. Kart. DM28,-.

Sir Alister Hardy (geb. 1896) war bis zu seiner Emeritierung als
maritimer Ökologe tätig, hat sich aber zunehmend einer „Ökologie
des Menschen", d. h. für ihn: einer ganzheitlichen Anthropologie, die
auch die Gefühls- und Verhaltensseite berücksichtigt, zugewendet.

Es geht ihm darum, das „ungestillte und frustrierte Verlangen" des
Menschen nach Religion „durch eine Sinngebung ::u befriedigen, die
mit der modernen wissenschaftlichen Sicht in Harmonie steht"
(S. 15). Seine Hauptthese ist, daß „die Beziehung des Menschen zu
dem, was er Gott nennt, eine biologische Tatsache ist" (S. 148), „biologisch
so real... wie die Sexualität" (S. 11) - also naturwissenschaftlich
gut beglaubigt. Zur Stützung dieser These zieht Hardy - im
Sinne einer „stark erweiterten Biologie" (S. 13) - Theorien oder
Schlußfolgerungen aus Verhaltensforschung, Psychologie und Para-
psychologie heran, die zwar in manchen Fällen zu wenig von der
breiten Mehrheit der Wissenschaftler beachtet, oft aber wohl zu Recht
übergangen werden, weil sie abwegig oder kurzschlüssig und den
zugrundeliegenden Sachverhalten nicht angemessen sind. Aber auch
abgesehen davon, wie man sie werten mag, leisten sie m. E. nicht das,
was sie leisten müßten. Das hat zwei Gründe: I. will Hardy nicht nur
für die Religiosität des Menschen, sondern auch die Existenz Gottes
naturwissenschaftliche Belege darbieten (engl. Titel: The Biology of
God - A scientist's study of man the religious animal)! Aber das ist
doch zweierlei und muß, falls beides möglich ist, auf verschiedenen
Argumentationsebenen geschehen! Bei Hardy geht das aber durcheinander
. 2. lassen sich sicher Quantität und Qualität des religionsbiologischen
Materials noch erhöhen; Hardy bringt oft nur Dinge, die
„irgendetwas" mit Religiosität zu tun haben. So wird sich z. B. über
Religiosität als Faktor der Menschenevolution (nicht nur als ein Bestandteil
in ihr) mehr eruieren lassen angesichts der neuen Offenheit,
die die Verhaltensforschung in den letzten Jahren bezüglich der Faktorenfrage
gebracht hat.

Dieses Buch (und auch die anderen Schriften Hardys) ist möglicher-