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Ausgabe:

1982

Spalte:

606

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Plato, Pseudo-Plato

Titel/Untertitel:

Axiochus 1982

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 8

606

ihnen zuliebe Beobachtungen unterdrückt oder manipuliert oder andere
theoretische Ansätze apriorisch ausgeschaltet werden.

Methodisch wichtig ist die im 2. Aufsatz ausgeführte Grundeinsicht
, daß die urchristlichen Texte nicht dazu geschrieben wurden, um
uns sozialgeschichtliche Informationen zu geben. Daraus ergibt sich
einerseits das methodische Problem, solche Informationen dennoch
aus den Texten herauszufiltern und zugleich selbstkritisch im Bewußtsein
zu behalten, daß ein umfassendes Bild der sozialen Lage
und Motivation „des" Urchristentums niemals wird gewonnen werden
können, wie sich andererseits die hermeneutische Einsicht ergibt, daß
das Abklopfen der Texte auf sozial wissenschaftlich verwertbare Aussagen
nicht zu verwechseln ist mit exegetischer Interpretation dieser
Texte, die dem ihnen eigenen Anliegen gerecht würde. - Wichtig ist
weiter der grundsätzliche Verzicht auf kausal-genetische „Erklärung"
urchristlicher Aussagen aus ökonomischen Bedingungen. Theißen
bemüht sich, die Beschreibung der Bedingungen der Möglichkeit
geschichtlicher Vorgänge und ihrer Bezogenheit auf gesellschaftliche
Sachverhalte nicht mit ihrer kausal-deterministischen „Herleitung"
zu verwechseln. Dabei wird man ihn behaften dürfen, auch wenn sich
in der Durchführung gelegentlich der Eindruck von Grenzüberschreitungen
in dieser Hinsicht einstellen mag.

So dürfte Theißen mit seinen Ausführungen in Teil I eigentlich das
Nötige getan haben, um Vorurteile gegen die Aufnahme sozialgeschichtlicher
Fragestellungen in das Arsenal neutestamentlicher Forschung
abzubauen (manchen Andeutungen ist zu entnehmen, daß er
solchen Vorurteilen verschiedentlich ausgesetzt ist). Wer die Glaubensaussagen
des Urchristentums, die eine sachgemäße Interpretation
seiner Texte erhebt, nicht dem Anschein aussetzen will, sie hätten
mit irdisch-geschichtlicher Wirklichkeit nichts zu tun oder seien nur
sekundäre Widerspiegelungen von eigentlich realen, geschichtlichen
Sachverhalten, der sollte sich auch gegen den sozialhistorischen
Aspekt des urchristlichen Kerygmas nicht versperren. Daß soziologische
Fragestellung in sich keine „theologische" Methode ist, ist kein
Einwand gegen ihre Anwendung auf das Neue Testament - genauso
wenig wie bei den „profanen" Methoden der Philologie, der Religionsgeschichte
, der Literaturwissenschaft usw. Eher läßt sich umgekehrt
sagen: Keine mit sachlichen Gründen auf die urchristlichen
Texte angewendete Methode ist untheologisch, sofern sie sich nicht
selbst ideologisiert und damit den Blick auf die konkrete Wirklichkeit
des Urchristentums verbaut, statt ihn unter neuen Aspekten freizulegen
.

Niemand wird erwarten, daß eine sozialgeschichtliche Auswertung
urchristlicher Überlieferung gleich im ersten Anlauf allseitig befriedigende
, quasi „abschließende" Ergebnisse erbringt. Dennoch scheint
mir, daß Theißens Arbeiten - gerade auch wegen ihrer methodischen
Bemühung um theoretische Nichtfestgelegtheit - einige recht real
erscheinende Ergebnisse erzielt haben, die mehr einleuchten als etwa
der Versuch der Kritik von W. Stegemann (in: W. Schottroff-W. Stegemann
[Hrsg.], Der Gott der kleinen Leute, Bd. II, 1979,94-120), der
aus der von Theißen zur Begründung der Wandercharismatiker-
These herangezogenen Jesus-Tradition auf Trägerschichten schließen
will, die von vornherein unterhalb des Existenzminimums lebten,
während Theißen an sozial verunsicherte unter-mittlere Schichten
denkt, die den Aufbruch in die ungesicherten Verhältnisse wandernder
Prediger im Anschluß an Jesus bewußt vollziehen. Dies scheint
mir dem Auffordcrungscharakter der Besitzverzichtssprüche weit
eher zu entsprechen als Stegemanns Deutung. Wenn es freilich um die
von Theißen betonte Kontinuität zwischen Jesu eigener Lebensform
und derjenigen solcher nachösterlichen Wanderprediger (die Theißen
betont als Einzelne versteht) geht, wird man vermeiden müssen, das
Bild Jesu nun ausschließlich von dieser (wesentlich in Q repräsentierten
) Linie der nachösterlichen Jesus-Tradition her zu entwerfen. Der
soteriologische „Horizont" Jesu war wohl doch weiter als der dieser
radikalen, aber zugleich auch höchst exklusiven und so zur Selbstbestätigung
neigenden Wandercharismatikcr. Das würde sich vermutlich
auch mit Hilfe sozialgcschichtlichcr Fragestellungen ergeben,

wenn sie auf andere Stränge der Jesus-Tradition (bes. Gleichnisse,
lukanisches Sondergut usw.) noch intensiver angewendet würde. Hier
müßte weitere Arbeit ansetzen. - Ein anderes wichtiges Arbeitsfeld
scheint mir das der urchristlichen Eschatologie zu sein, die bei
Theißen nach meinem Eindruck im Ansatz noch zu stark als bloße
Variante jüdischer Apokalyptik, mit gleichem soziologisch-nationalhistorischen
Hintergrund, erscheint. Hier spielt freilich zugleich die
Frage herein, ob - und wie lange - man „das" Urchristentum als Einheit
, und zwar als Sondergruppe innerhalb des Judentums, ansehen
kann. M. E. ist mindestens in 3er vorpaulinischen Linie mit sehr
früher Einsicht in die innere Trennung vom Judentum und zugleich
mit einem radikalen Neuansatz in der Eschatologie zu rechnen.

Aber solche Anmerkungen wollen den Eindruck nicht schmälern -
im Gegenteil! -, daß die von Theißen und anderen (vgl. jetzt auch den
von Wayne A. Meeks herausgegebenen Sammelband von Aufsätzen
amerikanischer Forscher: „Zur Soziologie des Urchristentums", 1979
[Theologische Bücherei 62]) vertretene Arbeitsweise lohnend sein
dürfte, indem sie zunächst für unsere historische Erkenntnis des
Urchristentums, dann aber - rückwirkend - auch für die theologische
Interpretation der neutestamentlichen Texte und für ein realitäts-
bezogenes Verständnis des Christuskerygmas neue Einsichten verspricht
.

Naumburg Nikolaus Walter

Hershbell, Jackson P. [Ed.]: Pseudo-Plato, Axiochus. Chico, CA:
Scholars Press 1981. VIII, 90 S. 8' = Texts and Translations, 21.
Graeco-Roman Religion Series, 6. $ 13.50.

Vorgelegt wird nach dem Muster der verdienstvollen Reihe der
Text, eine Übersetzung sowie ein in Anmerkungen gefaßter Kommentar
zu dem pseudoplatonischen Dialog, dessen Thema der Trost
mit Blick auf das Sterben ist. Eine ausführliche Einleitung informiert
über den allgemeinen Charakter des Werkes, seinen Inhalt und seine
vermutliche Entstehung. Es ist ein charakteristisches Beispiel des philosophisch
-religiösen Synkretismus der ausgehenden Antike, das platonische
, epikuräische, kynische und stoische Gedanken verbindet
mit alten religiösen, besonders mythischen Elementen. Es gehört dem
mittleren Piatonismus zu und ist im 2. oder 1. Jh. v. Chr. in der Nachfolge
der (verlorenen) Schrift Crantors „Über die 7 rauer" entstanden.
Der Text folgt dem der Ausgabe von J. Souilhe, Piaton. Oeuvres Com-
pletes XIII 3, Paris 1930. Abgeschlossen wird das Heft durch eine ausgewählte
Bibliographie sowie Indices zu Namen (moderne Namen
sind freilich - trotz der Überschrift - nicht darin enthalten), antike
Belege und griechische Termini, die von E. O'Neil verfaßt sind.

T. H.

Newman, Robert C: The Synoptic Problem! A Proposal for HaYidling both
Internal & External Evidence (WThJ 43, 1980 S. 132-151).

Oeing-Hanhoff, Ludger: „Der in Gottesgestalt war..." (ThQ 161, 1981
S. 288-304).

OToole, R. F.: Activity of the Risen Jesus in Luke-Acts (Bibl 62, 1981
S. 471^198).

Perdue, Leo G.: Paranesis and the Epistle of James (ZNW 72, 1981
S. 241-256).

Perkins, Pheme: Gnostic Christologics and the New Testament (CBQ 43,
1981 S. 590-606).

Rathke. Heinrich: Nachfolge Christi im Dienst am Nächsten und an der Welt
(Römer 12,1 -2.3-8.9-21)(SOrth 1981, Heft 9 S. 43-53).

Riesner. Rainer: Präexistenz und Jungfrauengeburt (Theol. Beitr. 12, 1981
S. 177-187).

Rochais, Gerard: Le regne des mille ans et la seconde mort: origines et sens.
Ap 19,11 -20,6(NRTh 113,1981 S. 831-856).

Rüger, Hans Peter: NAZAPEß/NAZAPA NAZAPHNOl'/NAZS1PAlOX
(ZNW 72,1981 S. 257-263).

Schnider. Franz, Werner Stcngcr: „Mit der Abstammung Jesu Christi verhielt