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Ausgabe:

1982

Spalte:

601-603

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hengel, Martin

Titel/Untertitel:

Zur urchristlichen Geschichtsschreibung 1982

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Lileralurzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 8

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Voraussetzungen. Zugleich ein Beitrag zur Erforschung des Jubiläenbuches
(Theol. Promotion, München 1979/80).

Seidel, Hans: Ps 150 und die Gottesdienstmusik in Altisrael (NedThT 35,
1980 S. 89-100).

Seybold, Klaus: Beiträge zur Psalmenforschung (ThR 46,1981 S. 1-18).
Shepherd, John J.: Man's morals and Israel's religion (ET 92, 1981
S. 171-174). '

Smith, Mark S.: Berit 'am/Berit 'ölam: A New Proposal for the Crux of Isa
42:6 (JBL 100,1981 S. 241-243).

Spencer, Aida Besancon: nvntf as Self-Reliance (JBL 100, 1981
S. 247-248).

Thiel, W.: Aus der Korrespondenz Hugo Greßmanns (ZDPV 97, 1981
S. 12-17).

Timm, St.: Die territoriale Ausdehnung des Staates Israel zur Zeit der Omri-
den(ZDPV 96, 1980 S. 20-40).

Vogels, Walter: ,,Osee - Gomer" car et comme „Yahweh - Israel". Os 1-3
(NRTh 113,1981 S. 711-727).

Waard,J.de: „Homophony" in the Septuagint (Bibl 62,1981 S. 551-561).

Wambacq, B. N.: Pesah-Massöt(Bibl62, 1981 S. 499-518).

Whitley,C. F.: The Semantic Ranges of Hesed(Bibl 62,19 i 1 S. 519-526).

Wifall.W^God's Accession YearAccordingtoP(Bibl62, 981 S. 527-534).

Zobel, H.-J.: Geschichte des Deutschen Evangelischen Ii stituts für Altertumswissenschaft
des Heiligen Landes von den Anfängen bis zum Zweiten
Weltkrieg (ZDPV 97,1981 S. 1-11).

Zurro, E.: Disemia de brhy paralelismo bifronte en Job 9,25 (Bibl 62, 1981
S. 546-547).

Neues Testament

Hengel, Martin: Zur urchristlichen Geschichtsschreibung. Stutt-
gart:Calwer 1979. 120 S. 8'=Calwer Paperback. Kart. DM 16,-.

Das Heft enthält zwei einander ergänzende Kapitel und einen
Anhang: dem grundsätzlichen 1. Kapitel über „Antike und urchristliche
Geschichtsschreibung" folgen im 2. Kapitel exemplarische Ausführungen
über „Die entscheidende Epoche der urchristlichen Geschichte
: Der Weg zur universalen Mission". Die angefügten Thesen
über „Historische Methode und theologische Auslegung des Neuen
Testaments" (zuerst in Kerygma und Dogma 19, 1973, 85-90 veröffentlicht
) stehen mit dem Vorangehenden in einem sehr lockeren Zusammenhang
und sind, obwohl in vielem überzeugend, so unzusammenhängend
und allgemein, daß sie m. E. kaum weiterhelfen; ich
gehe darum auf sie nicht weiter ein.

Die beiden Kapitel über urchristliche Geschichtsschreibung sind
dagegen äußerst lesenswert und förderlich. Im 1. Kapitel macht Hengel
zunächst auf die bruchstückhafte Erhaltung der Quellen für die
Geschichte des Urchristentums wie überhaupt für die antike Welt aufmerksam
und meint, daß „die umfangmäßige Beschränkung der vier
Evangelien oder der Apostelgeschichte letztlich durch die bewußte
Begrenzung auf eine Buchrolle begründet" sei, so daß Matthäus und
Lukas gezwungen waren, „ihre Markusvorlage teilweise erheblich zu
kürzen" (S. 15). Dazu ist freilich zu sagen, daß wir nichts davon
wissen, daß urchristliche Schriften jemals auf Rollen geschrieben
waren, da alle erhaltenen Abschriften vom frühen 2. Jh. an die Buchform
aufweisen, bei der eine räumliche Begrenzung nicht zwingend
ist. Richtig ist dagegen die Feststellung, daß es „den Historiographen
des Altertums... um die führenden Gestalten ging", während „das
Alltägliche und Selbstverständliche vernachlässigt wurde" (S. 190-
-Auch in manchen größeren Geschichtswerken beschränkte man sich
darauf, die einzelnen Ereignisse und Szenen nur locker miteinander
zu verknüpfen, ... die exakte chronologische Ordnung des Stoffes
• ■. bildete nicht die Grundvoraussetzung für jede historische Darstellung
" (S. 21 f). Obwohl Hengel der Meinung ist, daß „die fast kanonisch
gewordene Studie von Karl Ludwig Schmidt" „den Graben

zwischen den antiken Biographien und Geschichtswerken einerseits
und den Evangelien und der Apostelgeschichte andererseits doch
wohl zu tief gezogen" habe (S. 24), möchte er „das Vorbild für die
Sammlung und literarische Darbietung biographischer' Jesusüberlieferung
... eher in der alttestamentlich-jüdischen Geschichtsdarstellung
" (S. 33) suchen; „die neutestamentlichen Geschichtswerke sind
... als autoritative ,messianische Erzählungen' geschrieben, die Glauben
fordern" (S. 34). „Die ,Formung' des Evangelienstoffes wäre zunächst
einmal unabhängig von der Hypothese eines näher bestimmbaren
.Sitzes im Leben' aus dem Textzusammenhang selbst heraus
zu untersuchen" (S. 27), „die .Bedürfnisse' der Gemeinde muß man oft
gewaltsam in die synoptischen Texte hineinlesen" (S. 29), auch „der
Evangelist Markus hat den Rahmen seines Evangeliums durchaus
nicht einfach frei erfunden" (S. 27). „Das für alle Geschichtsschreibung
grundlegende Motiv der ,Erinnerung' läßt sich aus der Jesusüberlieferung
am allerwenigsten verbannen" (S. 31), „die neutestamentlichen
Verfasser verkündigen gerade, indem sie das Handeln
Gottes innerhalb eines ganz konkreten Zeitraums in der Geschichte,
an einem bestimmten Ort und durch wirkliche Menschen als Geschichtsbericht
erzählen" (S. 42). Aber gerade wenn es gilt, daß bei
„der urchristlichen Botschaft und der in ihr erzählten Geschichte
... der Hörer und Betrachter in jenes einstige Geschehen an und mit
Jesus . . . hineingenommen wird", setzt die Zuwendung zu jenem
„einstigen Geschehen ... heute - unserm Wahrheitsbewußtsein entsprechend
- die historisch-philologische Erforschung der neutestamentlichen
Quellen voraus", und Jede wissenschaftliche historische
Arbeit muß immer zugleich auch eine kritische sein" (S. 50). Für das
lukanische Doppelwerk gilt insbesondere, daß Lukas „alles rigoros
wegläßt, was sich nicht zu seinem erzählerischen Ziel fugt", und
„gleichzeitig novellistisch ausmalt, was er hervorheben will", „dagegen
kann man ihm kaum nachsagen, daß er in hemmungsloser Weise
... einfach Ereignisse produziert" (S. 56). Darum „verkennt die heute
so beliebte ,redaktionskritische Betrachtungsweise", die in Lukas vor
allem den frei produzierenden Theologen sieht, sein eigentliches Anliegen
, daß er als christlicher ,Historiker' bewußt über das den Glauben
begründende und ausbreitende Geschehen der Vergangenheit
berichten und nicht etwa in erster Linie seine ,Theologie' darstellen
will" (S. 61). Das scheint mir alles sehr bedenkenswert, und ich
stimme Hengel auch weitgehend zu. Gelegentlich scheint er mir freilich
die von ihm ausdrücklich geforderte „kritische" Fragestellung
nicht ernst genug zu nehmen: schwerlich kann man pauschal sagen:
„Wohl die allermeisten Erzählungen und Logien der Evangelien
werden - wenn auch vielleicht in veränderter Form - einen historischen
Anhalt im Wirken Jesu gehabt haben" (S. 29); und die doch
bestehenden erheblichen Bedenken gegen die Feststellungen: „Als
Autor steht hinter dem Doppelwerk wahrscheinlich doch der Arzt
Lukas" (S. 60) und: „Sehr wahrscheinlich hat Petrus einen großen
Teil der bei Markus erhaltenen Jesustradition an die Griechisch sprechende
Gemeinde vermittelt" werden allzu rasch beiseite geschoben.

Es ist dankenswert, daß Hengel diesen methodischen Überlegungen
eine konkrete Skizze der „entscheidenden Epoche der urchristlichen
Geschichte" vom Beginn der christlichen Mission bis zum Apostelkonzil
folgen läßt. Es ist freilich unmöglich, diese sehr konzentrierten
und m. E. weitgehend überzeugenden Erörterungen hier in noch
konzentrierterer Form zu referieren; es dürfte genügen, auf einige besonders
beachtenswerte Feststellungen hinzuweisen und einige Einwände
zu erheben. „Ein wenig beachtetes, jedoch auffallendes Phänomen
ist die Tatsache, daß die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen
Messias Jesus von Nazareth wenige Jahre, ja vielleicht nur
Monate nach dem gemeindegründenden Auferstehungsgeschehen ...
auch Griechisch sprechende Juden erfaßte ... Diese überraschende
Wirkung unterscheidet das Urchristentum von allen anderen jüdischpalästinischen
Bewegungen" (S. 63); „Das abgelegene, hinterwäldlerische
' Galiläa verlor rasch seine Bedeutung für die weitere Geschichte
des Urchristentums ... Alle Vermutungen über die Rolle der gali-
läischen Gemeinde für die Entstehung des Markusevangeliums füh-