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Ausgabe:

1982

Spalte:

588-589

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Transitions and transformations in the history of religions 1982

Rezensent:

Haufe, Günter

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587.

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 8

588

zumindest oberflächliches Lesen den Eindruck vermittelt, Professoren
seien (oder waren?) Leute, in deren Leben es in der Hauptsache um
Berufungen, Rezensionen und Wohnungen geht, wobei" sie alles sehr
eigenwillig vom eigenen Standpunkt bzw. dem ihrer Schule oder
Schülerschaft sehen (einschließlich ihrer politischen - z. T. höchst
ahnungslosen - Stellungnahmen).

Doch eine gründliche Beschäftigung mit den vorgelegten ■ Brieftexten
(erleichtert durch die ausführliche Einleitung - fast eine Lietz-
mann-Biographie) führt bald zu der Einsicht, daß Hans Lietzmann
zwar auch in dem eben skizzierten Sinne Professor war (ein Wissenschaftsorganisator
dazu, an vielen Stellen von großem Einfluß, mit
vielen Instanzen in Verbindung stehend), daß man aber das Eigentliche
seines Lebens und Werkes damit noch nicht trifft. Aland hat
seinen Lehrer als Patristiker bezeichnet und drei „Sektoren" genannt,
in die sich dessen „Arbeits- wie ... Lebenskreis" gliedere: Philologie,
Geschichte, Theologie (58 f). Aufschlußreich ist dabei die Bemerkung
Alands, bei Harnack sei der Sektor Theologie größer gewesen als bei
Lietzmann. Dies ist sicher zutreffend, denn es war Harnack, der das
öffentliche Gespräch mit Karl Barth 1923 aufnahm und u. a. schrieb:
„weder auf meine noch auf Ihre Theologie kommt etwas an, sondern
allein darauf, wie das Evangelium recht gelehrt wird. Wenn Ihre
Weise zur Herrschaft gelangen sollte, wird es aber überhaupt nicht
mehr gelehrt, sondern ausschließlich in die Hand der Erweckungs-
prediger gegeben, die ihr Bibelverständnis frei schaffen und ihre
eigene Herrschaft aufrichten"1. Lietzmanns Urteil über die „Bärth-
sche Richtung" ist noch schärfer als Harnacks: sie „wird sich binnen
kurzem infolge ihrer wissenschaftlichen Leistungsunfähigkeit totlau-
fen"(506). Auf diese Richtung bezieht sich wohl auch, was Lietzmann
über die „dialektischen Lorbeeren" schreibt, die man ohne Griechisch
und Latein erwerben kann (662). Seine Abneigung gegen die neue
theologische Entwicklung nach Barths „Römerbrief' resultiert wohl
zunächst aus der Sorge um die Wissenschaftlichkeit der evangelischen
Theologie, z. T. aus der Sorge um deren Verstehbarkeit (667).
Das zeigt die Auseinandersetzung um die Aufnahme von Beiträgen
Ernst Fuchs' und Ernst Lohmeyers für die von Lietzmann verantwortete
ZNW. Er beteuert, daß er Wert auf die Mitarbeit „dialektischer
Theologen" in der ZNW legt; aber er bringt keine Aufsätze, die er
nicht selber verstehen kann (667). Daß kein letzter theologischer Dis-
sensus zwischen Barth und L. bestehen muß, wird aus einer Antwort
aus dem Jahr 1933 deutlich. Lietzmann war brieflich gefragt worden,
was nach seiner Meinung die Substanz des Evangeliums sei: „Da kann
ich nur antworten: ,Gotteserkenntnis durch Jesus Christus'" (727). Im
folgenden kommt es dann sogar zu einer positiven Würdigung der
theologischen Entwicklung der letzten 20 Jahre (freilich wird da Lietzmann
vornehmlich an Holl und die sog. Luther-Renaissance denken2)
und zu einer Distanzierung von Harnacks „Wesen des Christentums".
Dieser wichtige Brief ist am 21. 1. 1933 geschrieben. Die Folgezeit
bringt für den im Grunde unpolitischen Gelehrten liberal-konservativer
Gesinnung eine Fülle widersprüchlicher Erfahrungen und
Reaktionen, die eine genauere Analyse verdienten, als sie in dieser
Rezension gegeben werden kann. Zweierlei sei aber festgehalten:
Lietzmann steht in vielem der Bekennenden Kirche nahe, ohne
jedoch jede ihrer Entscheidungen bejahen zu können und ohne deren
Theologie zu teilen. - Seine kritische Einstellung gegenüber Karl
Barth bleibt bestehen (806)3. Die Beurteilung der kirchlichen und kirchenpolitischen
Lage schwankt zwischen Optimismus und Pessimismus
(882,890,980).

E. Nordens Frage (im Brief an Lietzmann S. 978: „... bei L[ietz-
mann] weiß ich nur das nicht, ob er 2/3 Theologe+ '/3 Philologe ist
oder '/j Theologe + 2/} Philologe") wird man auch nach gründlicher
und kritischer Lektüre dieser Briefsammlung nicht abschließend
beantworten können, aber soviel läßt sich gewiß sagen: Hans
Lietzmann repräsentiert eine Ausprägung evangelischer Theologie,
die ihre Wurzeln in der Zeit vor 1914 hat, die durch die Theologische
Neubesinnung nach 1918 infragegestellt, aber nicht „erledigt" wurde,
die nach 1933 eigentlich ganz oder wenigstens eindeutiger auf die

Seite der Bekennenden Kirche gehört hätte (wenn dies nicht geschah,
dann sind die Gründe dafür in manchem ähnlich geartet wie bei dem
sonst kaum mit Lietzmann vergleichbaren Jochen Klepper). Für heutige
evangelische Theologie gehört Lietzmann und gehören die meisten
seiner Briefpartner zu ihrer Geschichte, ihrer Vergangenheit. Gerade
jüngere Leser werden viele kritische Fragen an jene Generationen
haben, auch und gerade an ihre Zeitanalysen und -progno$en!
Wir alle sollten uns aber auch den Fragen stellen, die uns aus diesen
Texten entgegenkommen: Glaube und Wissenschaft, Theologie und
Philologie, Kirchengeschichte und Weltgeschichte - um nur einiges zu
nennen. Darüber hinaus legen es besonders Brieftexte nahe, über den
Zusammenhang von Persönlichkeitsstruktur und theologischem Profil
nachzudenken. " ,

Es bleibt zu hoffen, daß diese Briefe Jiicht oberflächlich, sondern
gründlich und kritisch gelesen werden, als historisches Material sui
generis. Dann hat sich nicht nur die in diese Ausgabe investierte editö-
rische Arbeit gelohnt, sondern auch der begrüßenswerte besondere
Einsatz des Verlages.

Leipzig Ernst-Heinz Amberg

1 A. v. Harnack: Offener Brief an Herrn Professor K. Barth ..., jetzt abgedruckt
in: Anfange der dialektischen Theologie Teil I(=Theol. Bücherei Bd. 17)
München 1966, S. 333.

2 Aland nennt als einen der Grunde dafür, daß die Luther-Renaissance nicht
„zum vollen Tragen" kam, die zeitgleiche „von Karl Barth machtvoll ausgelöste
Bewegung der .dialektischen Theologie'" (90).

3 Immerhin stehen Barths und Lietzmanns Namen rieben anderen unter
einer Erklärung des Jahres 1934, betreffend Bekenntnis und Ordnung der
Kirche (134).

[Kitagawa, Joseph M.:] Transitions and Transformations in the
History of Religions. Essays in Honor of Joseph M. Kitagawa^ ed.
by F. E. Reynolds and Th. M. Ludwig. Leiden: Brill 1980. IV,
285 S., 1 Porträt gr. 8° = Studies in the History ofReligions, 39. hfl
96.-.

Die dem bekannten japanischen, jetzt in New York wirkenden
Religiönswissenschaftler gewidmete" Festschrift vereinigt neun Beiträge
, die exemplarisch das Phänomen von Übergang und Umbildung
in der Religionsgeschichte behandeln. Der Leser lernt, wie zentral und
komplex zugleich dieses Phänomen in Vergangenheit und Gegenwart
ist.

Die ersten zwei Beiträge betreffen die Transformation nationaler
• religiöser Traditionen. Theodore M. Ludwig analysiert die religiöse
Situation in Israel in der neubabylonischen und frühpersischen Periode
(25-55). Das Ungenügen der Exodus-Tradition angesichts der
neuen politischen und kulturellen Bedingungen wird ebenso aufgezeigt
wie ihre Umbildung durch die Exilspropheten. - Frank E. Reynolds
und Regina T. Clifford wenden sich dem speziellen religiössozialen
Ideal des klassischen Theravada-Buddhismus zu, das in
Entsprechung zu dem von Buddha entdeckten kosmischen Dhamma
(Gesetz) bestimmt ist durch das Gegenüber von Laien und Mönchen
(56-88). Seine Ausprägung in der hauptstädtischen, staatlichen und
dörflichen Ordnung als Dhamma-Reich wird dargestellt und seihe
unterschiedliche Rolle bei der nationalen Integration in Burma und
Thailand während der letzten Jahrzehnte herausgearbeitet.

Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit Übergängen und Umbildungen
im Islam. Frederick M. Denny untersucht die Entwicklung
von Exegese und Rezitation als klassische Formen der Koran-
Frömmigkeit (91-123). Als Ergebnis zeigt sich, daß die Rezitation zur
Uniformität tendiert, die kommentierende Interpretation dagegen zur
Variabilität, wodurch die dem Islam eigene Dialektik von Kontinuität
und Transformation erklärt ist. - Earle H. Waugh stellt Modelle
und Modifikationen im Wirken des Imam in Nordamerika heraus,
beispielhaft verdeutlicht an der um 1900 in Edmonton (Kanada)
durch Emigranten begründeten muslimischen Gemeinde (124-149).