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Ausgabe:

1982

Spalte:

554

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Evangelisation in der Dritten Welt 1982

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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553

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 7

554

melodienhaften und poetischen Charakter der jeweiligen Textstelle
hervorhebt. Daran schließt sich die Auslegung an, die wiederum mit
Belegen aus der Poesie durchsetzt ist. Ein so schwieriger Begriff wie
der der Epiphanie z. B. bekommt dadurch Leuchtkraft, daß das
assoziative Denken in die Exegese mit hineingenommen wird. Das
sieht dann so aus: „Indessen, was heißt heute: Gottes Epiphanie bei
den Erniedrigten und Elenden dieser Erde verkündigen? An wen
denke ich da eigentlich? - Wenn ich großspurig sage: Ich denke an das
ganze Ensemble der Opfer von Armut und Ausbeutung, Haß und
Herrschsucht, Konsumterror und kleinbürgerlicher Konvention,
Produktionszwang und Profit - wem wäre mit solchen Abstraktionen
schon viel geholfen? Ich möchte sagen: Ich denke an den jungen
behinderten Mann, dessen Welt zusammenbricht, wenn seine Mutter
einmal nicht mehr ist; ich denke an die ausgehungerten und apathischen
Gestalten der Sahel-Zone, ich denke an den rauschgiftsüch-
tigen Sohn der Familie M.; ich denke an die Gefolterten in den Gefängnissen
Südamerikas oder Südkoreas; ich denke an die depressive
Frau Z„ die sich an keiner Blume mehr'freuen kann; ich denke an die
Frau des Alkoholikers W., die sich vpr den Augen ihrer Kinder zusammenschlagen
lassen muß......" Diese Betrachtung schließt

dann aber nicht mit einer euphorischen Hochstimmung, wonach das
alles nicht so schlimm sei, sondern - und hier wird die Echtheit des
Buches ganz deutlich - mit dem Choral aus dem Weihnachtsoratorium
von Bach: „Brich an, o schönes Morgenlicht, und laß den Himmel
tagen! Du Hirtenvolk, erschrecke nicht, weil dir die Engel sagen:
daß dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein, dazu
den Satan zwingen und letztlich Frieden bringen" (S. 33 f)-

So ist es nur logisch, wenn das 4. Kapitel, das dem Problem der
Sprache gewidmet ist und die Überschrift „Die Poesie und die Predigt
" trägt, als der eigentliche Höhepunkt des Buches angesehen werden
muß. „Wer predigt, ist ganz nahe am Wort: Am Wort, das ihn
anspricht, und am Wort, das er ausspricht. Wer predigt, ist ganz nah
am Wort: Am Wort, das wie Feuer, wie Felsen, wie Flaum sein kann.
Der Umgang mit dem Wort fordert zur Verantwortung heraus. In
dieser Hinsicht ist der Prediger mit dem Schriftsteller zu vergleichen"
(S. 820- In der Tat, Richard Riess erweist sich hier als Meister der
geistlichen Sprache in der Begriffswelt unserer Tage, die er vom
Symbol her ableitet. So geht er in diesem Kapitel das Problem von
Schuld und Sünde an. „Ausbruch aus der Tiefe" geschieht einleitend
mit einer Betrachtung über den Frühling. „Mit der Faszination vor
dem Frühling wird die Freude am Leben gefeiert: Daß etwas ist. Daß
etwas wird. Daß es weitergeht und weiterhin gilt, das Versprechen
Gottes an Noah: Solange die Erde steht, soll nichts aufhören ..."
(S. 87). Abrupt geradezu wird daneben „der Stachel des Todes oder
die Schönheit der Seifenblasen" gestellt. Ist also Freude nur Utopie?
Ist Leben doch nichts anderes als der existent gewordene Mythos von
Sisyphos? Dieser unlösbare Gegensatz kann nur durchgestanden werden
in der Frage nach Vergebung und Schuld. Hier wird nichts verdrängt
, hier wird auch nichts weganalysiert, sondern festgestellt:
„Meine Schuld gehört zu mir". Über die Kenntnisnahme des unfrommen
Schicksals der Schuld geht der Schritt über die Schwelle,
d. h. über das „ewige Spiel der Schuldverschicbung", wie es Adam
und Eva oder Kain und Abel spielen, über Judas und die Verleugnung
des Petrus hin zur neuen Identität. Mit Conrad Ferdinand Meyers Gedicht
„Huttens letzte Tage" wird der Weg gewagt: „Denn statt des
einen leiden unser zwei: mein dorngekrönter Bruder steht mir bei".
Da werden denn auch die häufig zitierten Träume zu Seifenblasen,
wie der Traum von der Erlösung durch die menschliche Gesellschaft
oder der von der unendlichen Schöpfung. Aber nichts ist es mit vorschnellen
billig-frommen Lösungen! „Träumen und trauern gehen
zusammen .... Manche Träume müssen sterben, sofern ich sie am
Tod - und das heißt auch am Leben vorbeizuträumen suche. Die
Träume des Glaubens - durch die Liebe und das Leiden verwandelt -
gleichen vielmehr einer Geburt, die neues Leben unter Schmerzen an
den Tag bringt. Sie gleichen auch dem Warten auf den Morgen, mit
dem die Finsternis der Nacht zu Ende ist" (S. 150).

Für meine Begriffe vermag das letzte Kapitel „Spiritualität" die
Dichte der vorhergehenden Kapitel nicht ganz zu halten. Aber auch
hier ist der Gottesdienst der Kirche als Vision einer gefeierten Versöhnung
von beeindruckender Gestaltungskraft.

Der Kritiker wird aufgefordert, als Rezensent Kritik zu üben. Ich
kann mich eigentlich kaum erinnern, jemals so wenig Möglichkeit zu
Kritik gefunden zu haben, wie bei der wiederholten Lektüre dieses
Buches. Für mich ist diese Arbeit der Beginn einer neuen literarischen
Spiritualität, die sowohl der theologischen Fundiertheit, als auch der
seelsorgerlichen Verantwortung gerecht wird.

Lübeck Hans-Joachim Thilo

Bertsch, Ludwig, u. Felix Schlösser [Hrsg.]: Evangelisation in der
dritten Welt. Anstöße für Europa. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1981.128 S. 8* = Theologie der Dritten Welt, 2. Kart. DM 22,-.

Das Buch enthält die Vorträge von der Konferenz deutschsprachiger
katholischer Praktischer Theologen 1980 in Wien. „Evangelisation
" wird hier im weiten Sinn verstanden, etwa wie „missionarischer
Gemeindeaufbau". Nachdem Walbert Bühlmann einleitend
die Entwicklung der so verstandenen Evangelisation seit dem II. Vaticanum
skizziert hat, folgen vier Modellschilderungen aus der Dritten
Welt. Aus Zaire wird über die Einsetzung von Laien als ehrenamtliche
Gemeindeleiter berichtet, aus den Philippinen von missionarischen
Aktivitäten der Laien, aus Brasilien von den ca. 60 000 Basisgemeinden
, und aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas von einer neuen
Bedeutung der Arbeit mit der Bibel. Allen Berichten gemeinsam ist
die Aktivierung der Laien und die Betonung der ganzheitlichen Arbeit
, die oft zu Konflikten mit der ausbeutenden und unterdrückenden
Klasse führt. Die neue Verbindung von Spiritualität und Diakonie
drückt sich in großer Lebensnähe der Gottesdienste und im Hören auf
die Bibel aus. Allein in Belo Horizonte arbeiten ca. 900 Bibelkreise, zu
denen fast nur arme Bevölkerungsgruppen gehören.

Adolf Exeler nimmt die Impulse aus der Dritten Welt auf, um
„Wege einer vergleichenden Pastoral" zu zeigen. Er fordert eine kon-
textuelle Theologie und eine „demütige Selbstbesinnung der nordatlantischen
Universitätstheologie", die sich aus ihrer „fast hoffnungslosen
Verkopfung" befreien muß. Scharf kritisiert er die sakralistische
Verengung im Leben der eigenen Kirche. - Die „Anstöße für Europa"
konkretisiert auch ein die Ergebnisse der Arbeitskreise zusammenfassender
Bericht von Felix Schlösser. Eindrücklich belegt das Buch
die Einsicht, daß Mission in sechs Kontinenten keine Einbahnstraße
mehr ist und daß Praktische Theologie den ökumenischen Horizont
nicht ohne Schaden übersehen kann.

E. W.

Baden, Hans Jürgen: Das Erlebnis Gottes. Was bedeutet uns die Erfahrung
der Mystik? Freiburg-Basel-Wien: Herder 1981. 170 S. kl. 8" = Herderbücherei
, 852. DM 7,90.

Barkenings, Hans-Joachim: Bruderschaft mit den Juden? Debatte über den
Dialog mit den Juden (Pastoraltheologie 70,1981 S. 211-217).

Biemer, Günter, u. Hermann Kochanek [Hrsg.]: Menschenbild und Gottesbild
in der Bibel. Schauen, lernen und meditieren mit Bildern von R. P. Litzen-
burger. Stuttgart: Rath. Bibelwerk 1981. 148 S. m. 15 z. T. färb. Abb. 8°. Kart.
DM 26,80.

Brakelmann, Günter: Praktische Theologie und Zeitgeschichte (PTh 70,
1981 S. 71-73).

Cornehl, Pctcr: Theorie und Praxis kirchlichen Handelns als Horizont einer
praktisch-theologischen Zeitschrift (PTh 70.1981 S. 28-49).

Degen, Johannes: Herausforderung für eine Kirche von morgen (PTh 70,
1981 S. 49-61).

Fendt, Leonhard, u. Karl-Friedrich Wiggermann: Erste Briefe aus dem evangelischen
Pfarramt (PTh 70,1981 S. 305-314).

Göpfert, Michael, u. Christian Modehn [Hrsg.]: Kirche in der Stadt. Erfahrungen
, Experimente, Modelle in europäischen Großstädten. Stuttgart-
Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1981. 160 S. 8'= Urban-Taschenbücher,
652:T-Reihe. Kart. DM 18,-.