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Ausgabe:

1982

Spalte:

535-538

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dülmen, Richard van

Titel/Untertitel:

Die Utopie einer christlichen Gesellschaft 1982

Rezensent:

Pältz, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 7

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sehen, sondern im altchristlichen Teil. Dort figuriert er als Ausgangspunkt
der alexandrinischen Theologie, deren wichtigste Glieder Barnabas
und Clemens von Alexandrien sind (389—497).

Der stark systematisierenden, letztlich auf Origenes als perspektivischen
Punkt zustrebenden Darstellung mag es zuzuschreiben sein,
daß das Gesamtbild allzu geradlinig erscheint. Daß die Geschichte der
altchristlichen Opfertheologie je länger je mehr bestimmt ist durch das
Zurücktreten des eschatologischen Erfüllungsgedankens und seine
Ersetzung durch spirituelle Umprägung, wird noch weniger als seinerzeit
bei Wenschkewitz zum Problem. Hier ist der hermeneutische
Ansatz, dem der Vf. folgt, angefragt.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

1 Publizierte Fassung: Angelos 4,1932,70-230.

2 Sprache und Ritus im altisraelitisohen Kult. Zur „Spiritualisierung" der
Kultbegriffe, im Alten Testament, WMANT 19, Neukirchen 1965; (vgl. Rez.
ThLZ93,1968 Sp. 908-911).

3 The Temple and the Community in Qumran and the New Testament,
SNTS 1,Cambridge 1965 (vgl. Rez. ThLZ91,1966 Sp. 830-832).

4 Seine deutschen Lehrer waren Joh. Betz und Rud. Schnackenburg.

5 Daß daneben auch ein Beitrag zum Opfercharakter der Eucharistie geleistet
werden soll, wird explizit erst im Anhang deutlich (498-508).

6 Eine weitere Studie des Vf., Christian Sacrifice: Origen of Alexandria, ist
angekündigt (2).

7 Die Bibliography (523-5351 führt nur die zitierten Titel auf. Daß dabei ein
für die Problemstellung so wesentliches Werk wie die Trierer Dissertation von
Anton Arens, Die Psalmen im Gottesdienst des Alten Bundes, TThSt 11, Trier
1961 (vgl. Rez. ThLZ88,1963 Sp. 312-314) übersehen werden konnte, berührt
schmerzlich. t

8 Die Schlüsselstelle ist Lev 17,11, die einschließlich verschiedenen Übersetzungen
ausführlich besprochen wird (127-134).

' Die Tempelrolle konnte in der 1972 abgeschlossenen Arbeit nicht mehr
herangezogen werden.

Dülmen, Richard van: Die Utopie einer christlichen Gesellschaft. Johann
Valentin Andreae (1586-1654). 1. Teil. Stuttgart: From-
mann-Holzboog 1978. 295 S. 8° = K,ultur und Gesellschaft, 2,1.
Kart. DM 68,-; Lw. 78,-.

J. V. Andreae (= A.), den der Vf. als eine Schlüsselfigur der deutschen
Geistes- und Sozialgeschichte des 17. Jh. versteht, wird in dieser
kenntnisreichen, gründlichen, sorgfältig belegten und nicht nur für
den Spezialforscher lesenswerten Darstellung, deren erster Teil hier
anzuzeigen ist, im umfassenden politisch-sozialen und kulturellen
Kontext seiner Zeit begriffen. Der Autor, der mit dieser Monographie
seine früheren Veröffentlichungen und Editionen zum Werk A.s -
unter Auswertung von dessen handschriftlichem Nachlaß — fortsetzt,
unternimmt den Versuch, die verbindende und prägende ,Mitte' im
vielseitigen Lebenswerk A.s zu bestimmen. Mit dieser Zielsetzung
trifft der Vf. eine ohne Zweifel treffende methodische Vorentscheidung
, denn auch das Lebenswerk A.s dürfte sich weder von den einzelnen
Gestaltungselementen, die auf dessen Formung eingewirkt haben,
noch von der Wirkungsgeschichte her (im Zusammenhang mit späteren
analogen Bewegungen, die unter anderen geschichtlichen Bedingungen
entstanden, oder mit solchen Gruppen, die - wie die Rosenkreuzer
- seine Intentionen nur partiell rezipiert haben) adäquat
bestimmen lassen. Die Bedeutung A.s wäre nur unzureichend
beschrieben, wenn man ihn einseitig entweder als Pansophen und Begründer
des Rosenkreuzermythos oder als orthodoxen Kirchenmann
verstünde. Van Dülmen, der mit Recht von der Überzeugung ausgeht,
„daß ein bedeutsamer Zusammenhang von A.s Rosenkreuzerspiel
über seine Versuche der Gründung einer christlichen Gesellschaft zu
einer Kirchenreform in Württemberg besteht", sieht diesen Zusammenhang
in der „Idee der Verwirklichung einer christlichen Gesellschaft
" (S. 13); hier artikuliere sich ein neuzeitlicher, gesellschaftlicher
Gestaltungswille, ausgerichtet auf das Praktischwerden von
Wissen und Glauben.

In vier Kapiteln entwirft der Vf. eine anschauliche, Leben, Wirken
und literarisches Werk als Ganzes begreifende, Gesamtdeutung: I. Die
frühbarocke Gesellschaft und die Krise des christlichen Bewußtseins.
II. Jugendjahre: Familie - Bildung - Reisen. III. Das Spiel der Rosenkreuz
-Bruderschaft oder die Curiositas der gelehrten Welt. IV. Chri-
stianopolis oder das Wahre Christentum.

Da der Vf. in seinem Beitrag über A. in TRE Bd. II, 680ff Werdegang
und Werk A.s in den Grundzügen zusammenfassend charakterisiert
hat, kann hier auf eine summarische Darstellung der Vita A.s
verzichtet werden.

Obwohl die Forschung weiterhin auf die in dieser Untersuchung
eingehend beschriebenen Stufen und Phasen in A.s Entwicklung zu
achten haben wird, um Wandlungen und Korrekturen im Denken A.s
nicht zu gering zu bewerten, wird das Hauptaugenmerk auf das
Gesamtwirkungsfeld der A. bestimmenden Kräfte und Einflüsse zu
richten sein. Die forschungsgeschichtliche Bedeutung dieser Untersuchung
besteht vor allem darin, daß sie „A.s Reformwerk im Zusammenhang
sowohl der literarisch-gelehrten Bewegung, der kirchlichreligiösen
Entwicklung wie der politisch-territorialen Geschichte
Württembergs im frühen 17. Jh." (S. 13) dargestellt und interpretiert
hat. In diesem weiten Rahmen wird die Tragweite der großen Themen
, für die sich bereits der junge A. engagiert hat, erkennbar: die Idee
der Universalreformation, einer Vollendung der Reformation der
christlichen Lehre durch eine solche des christlichen Lebens, die in
A.s Konzeption einer Erneuerung der Gesellschaft im Geiste eines
lebendigen Christentums einmündet; die Idee der christlichen Bruderschaft
, eines Bündnisses zur Verwirklichung des praktischen Christentums
; das neue Wissenschaftsideal, das Christentum und moderne
Naturwissenschaft (Paracelsus, Kepler) zu vereinen sucht.

In der Auslotung des geistigen Umfelds kommt der Vf. zu Ergebnissen
, die auch über die A.-Forschung hinaus beachtenswert sind, so
wird im Kap. IV/1 auf J. Arndt und dessen „Wahres Christentum",
auch auf den Streit um Arndt, sachkundig und das Verständnis von
Arndts Bemühungen um eine ,Reformation des Lebens' fördernd, eingegangen
. Arndt, dem „Herold des wahren Christentums", verdankt
A. nach seinem Selbstzeugnis, daß er sich „von der oberflächlichen
Theorie der Religion . . . zur wahren Praxis und einem tätigen Glauben
durch Gottes Gnade . . . erhob" (S. 115). Ein besonderes Schwergewicht
haben die u. a. dem Verständnis von A.s Christianopolis
(1619) und Theophilus (1622, gedruckt 1649) gewidmeten Ausführungen
im Kap. IV/2: „Die ,Societas christiana' und das Modell einer
christlichen Gesellschaftsordnung" und IV/3: „Christliche Bildung
und Wissenschaftsprogramm". In diesem Zusammenhang geht der
Vf. u. a. auf den geschichtlichen Kontext und die Resonanz von A.s
Sozietätsprojekten (J. A. Comenius, S. Hartlib) ein (S. 148ffji. Zum
Abschluß wird A., mit W. Ratke (Ratichius) und Comenius Wegbereiter
der modernen Pädagogik, auch hinsichtlich seiner Bedeutung
als pädagogischer Schriftsteller gewürdigt (S. 191 ff).

Im Anhang sind ergänzend zum Verzeichnis der Schriften A.s (99
Titel) zwei Dokumente abgedruckt: 1. A.s „Christianae societatis
imago" (1620), die Programmschrift einer zur Reform von Wissenschaft
, Kirche und Gesellschaft im Geiste eines erneuerten Christentums
verbundenen Sozietät von Gelehrten. 2. Ein Bericht der Universität
Tübingen an Hzg. Friedrich v. Württemberg v. 10. 6. 1622, der
über das Vorgehen gegen den des „Weigelianismus" verdächtigten
Kreis um den Buchhändler Wild Aufschluß gibt.

Der Untersuchung van Dülmens dürfte eine grundlegende Bedeutung
für die weitere Arbeit am Werk Anzukommen. Auch der Pietismus
-Forschung wird eine genauere Bestimmung des kirchen- und
sozialgeschichtlichen Ortes A.s dienlich sein. (Vgl. auch J. Trautwein,
Religiosität und Sozialstruktur untersucht anhand der Entwicklung
des württembergischen Pietismus, Stuttgart 1972; für die Analyse der