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Ausgabe:

1982

Spalte:

483-489

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

Neuere Textausgaben zur älteren Kirchengeschichte 1982

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 7

484

Neuere Textausgaben zur älteren Kirchengeschichte

Von Gert Haendler, Rostock

Erhard Peschkezum 75. Geburtstag

Forschungsarbeit des Kirchenhistorikers ist weithin auf Textausgaben
angewiesen. Den Schritt von den Textausgaben zurück zu den
ursprünglichen Überlieferungen der Texte kann derjenige kaum vollziehen
, der jede Woche sein Pensum an Vorlesungen und Übungen zu
bieten hat. Mit umso größerer Freude ist festzustellen, daß der Hallenser
Kirchenhistoriker Erhard Peschke - als Emeritus von Lehrverpflichtungen
frei - sich engagiert der Überlieferung bestimmter Quellen
zugewendet hat. An späterer Stelle dieses Heftes (Sp. 539f) wird
auf den Band Streitschriften von A. H. Francke näher einzugehen
sein, den Peschke im Rahmen der Texte zur Geschichte des Pietismus
vorgelegt hat. Hier soll Peschkes Arbeit in einen größeren Zusammenhang
editorischer Bemühungen gestellt werden. Der folgende Bericht
erhebt in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit. Er stellt verschiedene
Textbände zur älteren Kirchengeschichte vor, die in letzter
Zeit bei der Redaktion der ThLZ eingegangen sind.

1. Zum Stand der Vetus Latina

Seit alter Zeit wurde der Frage nachgegangen, wie die älteste lateinische
Bibelübersetzung ausgesehen habe, die vor der Vulgata benutzt
wurde. Petrus Sabatier hatte 1743 seine grundlegende Arbeit „Biblio-
rum Sacrorum Latinae Versiones antiquae seu Vetus Italica" vorgelegt
. Seitdem haben viele Forscher an diesem Thema gearbeitet. Aus
der langen Reihe sei hier nur Hans von Soden genannt, der 1909 ein
wichtiges Teilergebnis herausbrachte: „Das lateinische Neue Testament
in Afrika zur Zeit Cyprians nach Bibelhandschriften und Väterzeugnissen
". Heute liegt eine gültige Textausgabe für die vier Evangelien
vor, die sich freilich auf Handschriften beschränkte und Zitate
bei Kirchenschriftstellern nicht einbezog'. Weitaus umfangreicheres
Materia! war gesammelt worden im Kloster Beuron, wo Bonifatius
Fischer 1945 an die Arbeit ging. 1951 - also vor gut drei Jahrzehnten
- kam es zur gemeinnützigen Stiftung Vetus Latina. Vorher schon
hatte Fischer ein „Verzeichnis der Sigel für Kirchenschriftsteller" herausgebracht
, das jetzt in 3. Auflage vorliegt2. Der bisherige Rahmen
wurde erweitert. Es werden jetzt sämtliche Schriften bis Beda und darüber
hinaus bis etwa 800 erfaßt. Man hat damit bewußt an die Arbeit
von Eligius Dekkers angeschlossen: „Clavis Patrum Latinorum". Die
Nummern dieses Werkes werden am Schluß des Bandes von Frede
aufgeführt (581-633), so daß man auch von diesen Hinweisen aus
leichter die gesuchten Quellen finden kann. Auch die Nummern aus
der Clavis Patrum Graecorum werden geboten. So wird der Einstieg
auch in weniger bekannte Quellen in einer umfassenden Weise gegeben
, die - auch ganz abgesehen von der Arbeit an der Vetus Latina -
für jeden mit patristischen Texten beschäftigten Forscher von Interesse
sein dürfte. Es soll nachher noch an einem Beispiel gezeigt
werden, wie dieser Band praktisch genutzt werden kann.

Über die Arbeit an der Vetus Latina werden einleitend umfassende
Ausführungen gemacht: „Die Beuroner Vetus Latina soll alle altlateinischen
Bibeltexte erfassen, ob sie nun in Handschriften oder in Zitaten
überliefert sind, und in einer kritischen Ausgabe vorliegen" (11).
Auch freie Zitate werden aufgenommen. Natürlich weiß man darum,
daß es ganz unmöglich ist, „alle Arten von Anspielungen in allen
Werken aller Schriftsteller in konsequent gleichbleibender Weise zu
erfassen" (12). Aber das Ziel ist in diesem Sinne gesteckt: Die Vetus
Latina ist „eine vollständige, systematische Sammlung alles dessen,
was uns von der altlateinischen Bibel, im weitesten Sinne genommen,
überliefert ist, ob direkt oder indirekt" (13). Aller Wahrscheinlichkeit
nach hat es kein einheitliches Original einer altlateinischen Bibelübersetzung
gegeben; man kann nicht „die Itala" rekonstruieren. „Das
Ziel der ganzen Arbeit an der Vetus Latina besteht also vielmehr
darin, die Mannigfaltigkeit der uns überlieferten Bruchstücke, die nur
ein Ausschnitt aus dem ehemaligen Reichtum sind, möglichst so zu

ordnen, daß das historische und genetische Neben- und Auseinander
der verschiedenen Textformen festgestellt und dargelegt wird" (13).
Trotzdem müssen die Herausgeber notwendigerweise eine gewisse
Vorentscheidung treffen, was sie als Text und was sie als Varianten
bringen. Frede betont, „daß Text und Varianten oft völlig gleichberechtigt
sind" (16). Er formuliert, es spiele „keine so große Rolle,
was in die Textzeile gesetzt und was als Varianten gedruckt worden
ist" (17). Die Benutzer müssen sich dies vor Augen halten; sie Wörden
trotzdem noch oft genug primär die Texte sehen und die Varianten
unwillkürlich erst in zweiter Linie mit in Erwägung ziehen. Einem
umfangreichen kritischen Apparat folgt ein Zeugenapparat, der an
Umfang den Text und den kritischen Apparat weit übertrifft. Der
Zeugenapparat „bietet in starr mechanischer Ordnung alle Belege, die
zu diesem Vers vorhanden sind" (18). Es liegt vor Augen, wieviel Arbeit
dafür erforderlich gewesen sein muß. Es liegt eine umfangreiche
Materialsammlung vor: Zu jedem einzelnen Vers läßt sich die Wirkungsgeschichte
des lateinischen Textes auf einen Blick übersehen.
Natürlich werden dazu vielfältige Abkürzungen verwendet, die in
dem genannten Sigelband aufgelöst werden und bei häufigerer Benutzung
immer selbstverständlicher werden.

Über einzelne Lieferungen der Vetus Latina wurde in der ThLZ
immer wieder berichtet: H. Zimmermann 95, 1970 Sp. 647-650 über
den Philipperbrief und 103, 1978 Sp. 723-725 über die Thessa-
lonicherbriefe; H. Vogels 81, 1956 Sp. 612 über den Jakobusbrief und
89, 1964 Sp. 184-185 über den Epheserbrief. In den Jahren 1980 und
1981 kamen zwei Lieferungen heraus, die von lTim5,10 bis
2Tim 2;17 reichen3. An einem Vers aus Lieferung 8 sei die Aufarbeitung
des Materials im Detail aufgewiesen. 1 Tim 6,7 lautet bei Luther:
„Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum werden wir auch
nichts herausbringen". Dieser kurze Vers wird auf S. 599f geboten;
die oberste Zeile bietet den griechischen Text (mit Varianten), darunter
bieten 4 Zeilen 4 lateinische Übersetzungen, die untereinander
nur geringfügig voneinander abweichen. Einem komprimierten philologischen
Apparat folgt der Zeugenapparat, der schon auf S. 598 beginnt
. Er bringt die Abkürzungen von 38 Kirchenschriftstellern, die
jedoch zum Teil mehrfach auf jenen Vers eingehen. So finden sich
unter der Abkürzung AU = Augustin allein 25 Stellenverweise. Die
wichtigsten Passagen werden ausgedruckt, so daß man sich gleich
ohne weiteres Nachschlagen ein ungefähres Bild machen kann, in welchem
Wortlaut und in welchem Sinne jener Vers zitiert wurde. Bei
einer so umfangreichen Aufarbeitung des Materials kann natürlich
nur mit langsamen Fortschritten der Vetus Latina gerechnet werden.
Es liegen einige Bände abgeschlossen vor: 24/1 Epheserbrief (1964 ed.
H. J. Frede);24/2 Philipper-und Kolosserbrief(1971 ed. H. J. Frede);
26/1 Katholische Briefe (1969 ed. W. Thiele); fast abgeschlossen ist
auch Band 25. Neben den Arbeiten an der neutestamentlichen Briefliteratur
läuft die Arbeit am altlateinischen Text des Alten Testaments
weiter. Hier liegt als Bd. 2 die Genesis vor (1954 ed. B. Fischer),
während zur Zeit am Text der Sapientia Salomonis gearbeitet wird:
Nach 3 Lieferungen Einleitung erschienen 1980 und 1981 zwei Lieferungen
, die bis Sap 8,8 reichen4.

2. Die Sources Chretiennes

Im Jahre 1942 wurde in Paris die Reihe „Sources Chretiennes" begründet
, die neben dem Urtext im Paralleldruck eine französische
Übersetzung bieten; die Reihe wendet sich also ganz bewußt an einen
breiteren Leserkreis im französischen Sprachraum. Das geschah
offensichtlich mit großem Erfolg, denn in 36 Jahren wurden fast 300
Bände herausgebracht! Die Einleitungen sind oft sehr ausführlich und
weiten sich mitunter fast zu Monographien aus. Die ThLZ hat über
die eintreffenden Bände regelmäßig berichtet. Die grundlegende