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Ausgabe:

1982

Spalte:

25-27

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Westermann, Claus

Titel/Untertitel:

Genesis 12-50 1982

Rezensent:

Zobel, Hans-Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 1

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Aber auch wenn vieles, was die Skandinavische Exegetenschule
und andere am Mythos orientierte Bibelinterpreten dem Alten Testament
an gemeinorientalischen Strukturen meinen entnehmen zu
können, vor den Kriterien einer philologisch-historischen Exegese
nicht standhält, behält es für ein hintergründigeres Verstehen der
Bibel dennoch seine Bedeutung: die behaupteten Mythenmotive liegen
gleichsam nicht an der Oberfläche; das myth-and-ritual-pattern
erfüllt sozusagen das Unterbewußtsein der alttestamentlichen Autoren
. Haben wir aber einmal erkannt, wie wenig unsere eigenen Bewußtseinsleistungen
ohne das Ausloten ihres unterbewußten Hintergrundes
überhaupt wertbar sind, können wir uns auch in der Exegese
nicht damit begnügen, immer nur nach den bewußten Intentionen
der Verfasser zu fragen; dies gerade wäre ein zu oberflächliches Verständnis
, das auf wirkliche Einfühlung verzichtet. Vielmehr erweist
sich auch hier ein Teil der Wahrheit gerade an der Sorgfalt, die er aufwendet
, um sich zu verbergen. Allerdings läuft die Interpretation bei
der Suche nach solch nuancierenden Wahrheiten auf verschiedenen
Ebenen immerauch Gefahr, ins Vieldeutige zu verfließen; die herme-
neutische Problematik insbesondere vervielfältigt sich nach dem
Maße der in den Texten vorgefundenen Rezeptionsebenen. Um zunächst
nur deren zwei zu unterscheiden: einerseits sind einschlägige
Mythenmotive aus den bewußt geklärten Vorstellungen, aus den in
gedanklicher Auseinandersetzung gebildeten Konzeptionen der alt-
testamentlichen Autoren weithin verbannt; die den Vorstellungen
und Konzeptionen zugrundeliegenden Strukturen sind andererseits in
einem gewissen Maße mythisch geblieben, samt einem Teil des Lebensgefühls
. Mythisch im Sinne einer Unterbewußtseinsrezeption ist
es, wenn Arnos die Kriterien seiner sozialen Anklage längst obsolet
gewordenen Ordnungsmustern einer Nomadengesellschaft entnimmt,
obwohl Anklagen und Ankündigungen bewußt Zustände bzw. Ereignisse
der geschichtlich determinierten Gegenwart meinen: für den
mythischen Zeitbegriff liegt das Normative allemal in einer „Urgeschichte
", in der alle gegenwärtigen Verhältnisse gestiftet wurden;
die „Urgeschichte Israels" aber hat es mit der heilen Prototypenwelt
einer Nomadengesellschaft zu tun. Mythisch ist es ferner, wenn sich
Deuterojesaja die Befreiung der Exulanten nicht anders denn als eine
Art Wiederholung des alten Exodus aus Ägypten vorstellen kann: ein
ins Unterbewußte abgesunkener Mythos der Wiederkehr des Gewesenen
wird historisiert, indem das prototypische Ereignis in ein nahe
bevorstehendes Geschichtsereignis verpflanzt wird. Nicht mehr „Ent-
myth(olog)isierung" tut uns not, die allemal nur aufgrund ihrer Inkonsequenzen
auf die Bibel anwendbar ist, sondern eine neue Positivwertung
des Mythos; dabei lohnt es, speziell darüber nachzudenken,
wie viel von dem, was das Alte Testament auch uns Heutigen noch zu
sagen hat, wenn schon nicht einem „Kultmuster" so doch allgemeiner
der Kategorie des Festlichen zuzuschreiben ist, einer Kategorie,
die für uns noch nicht einmal restlos ins Unterbewußte versunken ist.
Möge das vorliegende Werk dazu verhelfen, die Intentionen der Skandinavischen
Exegetenschule, auch wenn ihre pauschalierenden Einzelergebnisse
bei den Akten bleiben, unter neuen Fragestellungen neu
zu durchdenken! Zu bedauern ist allerdings, daß das Werk selbst
keineswegs auf die zahlreichen linguistischen, religionsphänomeno-
logischen, psychologischen und soziologischen Theoremesysteme
eingeht, die im außerskandinavischen Denken der jüngsten Zeit Tür
eine positivwertige Rezeption von Mythos und Kultus bereitstehen.

Hamburg Hans-Peter Müller

Westermann, Claus: Genesis 12-50. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1975. XXVII, 126 S. 8" = Erträge der Forschung,
48. Kart. DM 27,-.

Dieses ansprechende kleine Bändchen referiert in konzentrierter
Form über die Arbeit an den Vätererzählungen und der Joseph-
( tachichte in den letzten hundert Jahren. Vf. beginnt mit einer knappen
, manchmal nur die Autoren aufzählenden Skizze der Forschungsgeschichte
. In ihr arbeitet er zwei Linien heraus: einerseits die
Erforschung der mündlichen bis schriftlichen Traditionen von Gen
12-50 und anderseits die Erforschung der altorientalischen Umwelt,
soweit sie zur Erhellung der Vätergeschichte beizutragen vermag. Er
begrüßt damit die Forderung, daß die weitere Arbeit an diesen Genesis
-Erzählungen beide Forschungslinien miteinander verzahnen
müsse, wie es bereits beispielhaft R. de Vaux getan habe.

Gemäß diesem Programm verfährt der Vf., indem er sich in einem
ersten Hauptteil (S. 14-68) den Traditionen von den Vätern zuwendet
. Er fängt methodisch richtig mit der literarischen Gestalt der
Vätererzählungen und ihrer Traditionsgeschichte an. Er stellt fest,
daß die überlieferungsgeschichtliche Forschung, wie sie von M. Noth
inauguriert wurde, an die Literarkritik anknüpfte, daß sie aber
H. Gunkels Neuansatz unbeachtet gelassen habe. Damit stellt sich für
W. die Aufgabe, Gunkels Erbe wieder zum Tragen zu bringen. Das
geschieht, allerdings in einer recht kritischen Auseinandersetzung mit
ihm, bei der Darlegung und Erörterung der Ergebnisse der Erforschung
der vorliterarischen Traditionen. W. zeigt auf, daß alle Versuche
, die Gattungen der Vätererzählungen zu bestimmen, zu keinem
überzeugenden Ergebnis geführt haben. Sein eigener Neuansatz achtet
auf den von der jeweiligen Erzählung umfaßten Menschenkreis.
Daraus folgt: Es gibt Familien- und Stammeserzählungen. Im Blick
auf die Bestandteile der Vätererzählungen wird dieses Ergebnis erhärtet
; denn die Erzählungen, Aufzählungen und Verheißungen lassen
zwei bzw. drei Traditionslinien erkennen. Die eine ist auf die Erzväterzeit
begrenzt, die andere weist hinüber auf die weitere Volksgeschichte
, und eine dritte Linie ist auf das Entstehen der israelitischen
Stamme ausgerichtet. Demzufolge ergibt sich abermals, daß
alle Traditionsstücke entweder in den Bereich der Familie oder den
des Stammes gehören. Darüber hinaus entstammen einige auch dem
Bereich des Volksganzen Israel. Im einzelnen kreisen die Abraham-
Erzählungen um die Thematik der Verheißung; sie sind ursprünglich
Familienerzählungen, in denen es um das Miteinander von Eltern
und Kindern geht. In den Jakob-Erzählungen - eigentliche Isaak-
Erzählungen gibt es nicht - steht das Thema „Segen Gottes und sein
Mitsein" im Mittelpunkt; auch sie sind Familienerzählungen und behandeln
das Zusammenleben von Brüdern. In gleicher Weise wird die
Joseph-Erzählung charakterisiert. Auch sie müßte als „Familienerzählung
, die aber zugleich einen politischen und einen theologischen
Aspekt hat" (S. 630, interpretiert werden.

Der zweite und mit 24 S. kürzeste Hauptteil (S. 69-93) befaßt sich
mit der Erforschung von Umwelt und Zeit der Erzväter. Angesichts
der Literaturfülle entschließt sich Vf. dazu, den Weg der Forschung
auf den einzelnen Gebieten: die Zeit, Lebensweise und Namen der
Erzväter an den wichtigsten Arbeiten zu skizzieren. Insgesamt rät Vf.
zu äußerster Vorsicht und großer Behutsamkeit im Umgang mit dem
altorientalischen Vergleichsmaterial und neigt dazu, sich mit soziologischen
und phänomenologischen Vergleichen zu begnügen.

Der letzte ebenfalls kleinere Hauptteil (S. 97-123) behandelt die
Erforschung der Religion der Erzväter. Zunächst werden die Hauptphasen
der Forschung dargestellt. Dann wird der weitere Gang der
Diskussion erörtert, wobei die Problematik von Väterreligion und El-
Religion sowie ihr zeitliches Zueinander herausgestellt wird. Schließlich
werden neuere Arbeiten zur Väterreligion vorgeführt. Hierbei ist
hervorzuheben, daß außer der Gottesvorstellung auch der Kult der
Väter gebührende Beachtung erfährt. Gesondert werden am Schluß
noch behandelt die Geschichte der Erforschung der Väterverheißungen
und des Väterbundes.

Das Bändchen bietet eine gut gegliederte, übersichtlich gestaltete
Fülle von Informationen. Stets wird klar unterschieden zwischen
dem. was weithin anerkannt, und dem, was strittig ist. Selbst der Eingeweihte
und an der Erforschung zumindest von Teilbereichen der
Ciencsis Beteiligte ist darüber erstaunt, wie wenig trotz intensiver Arbeit
bisher sicher ist, wie oft unangemessene Fragestellungen in die
Irre geführt haben und wie sehr sich manchmal die Forschung im