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Ausgabe:

1982

Spalte:

471-473

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Etica y teologia ante la crisis contemporanea 1982

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

472

Frage nach der christlichen Norm beteiligt. In kritischer Auseinandersetzung
mit der Situationsethik von J. Fletcher wird die
alleinige Konzentration auf das Liebesgebot als nicht ausreichend
abgewiesen und dafür die Rückwendung zu dem von der christlichen
Ethik nie aufgegebenen Motiv der Imitatio Christi als zentraler Norm
empfohlen.

Die Stärke der Darstellung liegt in der relativ knappen und übersichtlichen
Nachzeichnung wesentlicher Positionen der Geschichte
der biblisch-christlichen Ethik. Freilich wird fast jeder Leser
irgendwo für ihn bedauerliche Lücken entdecken oder hier und da die
Akzente anders setzen mögen. Bedauerlich bleibt gleichfalls die
geringe Benutzung deutschsprachiger Spezialliteratur. Schwer verständlich
ist, daß nicht alle Zitate durch genaue Quellenangaben
belegt werden. Doch muß man wohl dem Vf. zugute halten, daß sein
Werk aus Vorlesungen erwachsen ist.

Greifswald Günter Haufe

Etica y Teologi'a ante la crisis contemporanea. I Simposio Inter-
nacional de teologi'a. Ediciön preparada por la Comisiön Cientifica
del Simposio (J. L. Illanes [Director], P. G. Alves de Sousa,
T. Lopez, A. Sarmiento). Pamplona: Ediciones Universidad de
Navarra, S. A. 1980. 661 S. gr. 8" = Colecciön teolögica, 25.

Im April 1979 verantstaltete die 1969 gegründete theologische
Fakultät der Universität Pamplona ihr erstes internationales Symposium
mit über 100 Teilnehmern aus 20 akademischen Zentren des
In- und Auslandes. In 4 Aroeitsgruppen (Person und Freiheit, Person
und Gesellschaft, Ethik und Personalismus, Ethik und Sexualität)
diskutierte man 3 Tage lang über zahlreiche Vorträge größeren oder
kleineren Umfangs, die in diesem dickleibigen Sammelband vollständig
dokumentiert sind. Die Redner waren in erster Linie
Theologen, dazu Kulturwissenschaftler und Soziologen aus Spanien,
ganz besonders vom Tagungszentrum, aber auch Italiener, Franzosen
, Bundesdeutsche und andere. Die nicht auf Spanisch gehaltenen
Vorträge sind hier in spanischer Übersetzung geboten.

Man sollte bei der Lektüre beachten, daß die Universität von
Navarra im Geist des „Opus Dei" gegründet wurde, das in der
Endphase der Franco-Herrschaft in Spanien bestimmenden geistigen
Einfluß ausübte. Der nach den Grundsätzen dieser militanten katholischen
Laienorganisation lehrende Josemaria Escrivä de Balaguer,
Gründer der Universität, wird immer wieder zustimmend zitiert.
Ansonsten bestimmen Thomas-Zitate und reiche Wiedergaben von
Dokumenten des II. Vatikanums das Bild, ebenso Verlautbarungen
aller Päpste unseres Jahrhunderts. Johannes Paul II. kommt sehr oft
zu Wort, u. zw. sowohl mit vor seinem Pontifikat verfaßten Büchern
als auch mit seiner ersten Enzyklika „Redemptor hominis" und
seiner Eröffnungsansprache auf dem III. CELAM-Kongreß in
Puebla. Man bekennt sich zu den Ergebnissen des II. Vatikanums,
verwahrt sich aber gegen das, was man als nachträgliche Verfälschung
des Konzils im Sinne eines immanenten Humanismus und Säkularismus
betrachtet (Philippe Delhaye). Auch sonst bemüht man sich
um klare Fronten, wobei aus einer eindeutigen Grundposition alle
Verwerfungen zwingend folgen. Diese können hart sein, sind aber nie
oberflächlich. Die Überzeugungen der kritisierten Denker werden
meist ausführlich referiert. Der Verwerfung verfallen viele Philosophen
der Neuzeit. Kant sieht man gegen seinen Willen am Anfang
eines Irrweges, und auch Hegels verhüllter Immanentismus kommt
kaum besser weg (J. A. Illanes, W. Strobl). Schon Grotius verfällt
wegen seines Prinzips „etsi Deus non daretur" der Ablehnung (A. de
Fuenmäyor). Von den idealistischen Philosophen unseres Säkulums
wird Max Scheler ebenso kritisiert (U. Ferrer) wie Sartre und
Merleau-Ponty (J. Cantista). Auch katholische Theologen geraten
gelegentlich in die Schußlinie, besonders Küng und Schillebeeckx
(L. J. Eiders).

Dabei kann man nicht von einer Uniformität des Kongresses
sprechen. Ein Vergleich der Referate deckt z. B. beträchtliche

methodologische und inhaltliche Unterschiede in theologischer und
gesellschaftlicher Hinsicht auf, besonders zwischen Spaniern und
NichtSpaniern, aber auch zwischen den Spaniern selbst. So ist
Delhaye geprägt von einem gegen Mißverständnisse abgesicherten
christlichen Personalismus, während andere Redner eher auf die
Gefahren des Personalismus hinwiesen. Das naturrechtliche Denken
überwiegt bei weitem, aber es hat seine eigene Note, wenn Vittorio
Mathieu das Naturrecht dynamisch interpretiert und großen Wert
darauflegt, daß es per definitionem im Gegensatz zu allen positiven
Gesetzen nicht abschließend formulierbar ist, so daß es geschichtlich
wandelbar ist und schöpferische Suche ermöglicht. Eine Minderheit
denkt heilsgeschichtlich; die Folge ist hier ein viel größerer Bezug auf
die Bibel beider Testamente. Die Redner aus der BRD, besonders
Wilhelm Weber, Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften in
Münster, und Josef Stallmach, Philosophie-Professor in Mainz, sind
- was nicht verwundert - für die pluralistische Gesellschaft bei aller
Kritik im einzelnen offener als die meisten spanischen Wissenschaftler
. Trotzdem ist für die Ausführungen eine erstaunliche
Übereinstimmung in der Grundposition kennzeichnend, die die
Unterschiede zurücktreten läßt. '

Das Symposium stellte sich der tiefen geistigen und sittlichen Krise
seiner Umwelt, freilich so, daß es diese als ein gesellschaftsüber-
greifendes Phänomen interpretierte. Im Mittelpunkt steht die
kritische Diagnose der Situation in der heutigen westlichen Welt,
besonders in den letzten 15 Jahren. Man beklagt tief den schnellen
Verfall des Empfindens für Grundwerte und die Verfälschung echter
Freiheit, die immer Verantwortlichkeit impliziert und von der
Wahrheit (Christus!) und dem Gehorsam gegen das Naturgesetz und
damit gegen die metaphysisch begründete Finalität des Menschen
nicht zu trennen ist, in spätbürgerliche Libertinage nach dem trügerischen
Leitbild einer sociedad permisivista, die auf objektive
ethische Normen verzichtet und nur noch den Hedonismus als
individuelles Movens kennt, so den Menschen seiner Personalität
beraubend. In besonderem Maße wird auch hier der Bereich der
Sexualethik aufs Korn genommen, wobei Pauls VI. Enzyklika
„Humanae vitae" im Zusammenhang mit zahlreichen bischöflichen
Verlautbarungen auf nationaler Ebene wegweisend bleibt. Ich stimme
dieser Kritik auf weiten Strecken zu und freue mich, daß die katholische
Weltkirche den verderblichen Unsinn nicht mitmacht, mit
dem schmückenden Beiwort einer modernen Geschlechtsauffassung
zu versehen, was die Bibel schlicht als Hurerei bezeichnet. Freilich
wäre nun doch im einzelnen viel stärker zu differenzieren, als es hier
geschieht, und fruchtbare Neuerkenntnisse müssen von verderblichen
Irrwegen säuberlich geschieden werden, auch wenn sich dann kein
geschlossenes Bild mehr ergibt. Es wäre überhaupt über die pluralistische
Gesellschaft abwägender zu urteilen, wie dies am ehesten bei
Weber und Stallmach erfolgt. Vor allem aber darf nicht übersehen
werden, daß diese Kritik gesellschaftlich gesehen von „rechts"
kommt. Entsprechend fallen zwar des öfteren kritische Bemerkungen
über den Faschismus in seiner deutschen und italienischen, aber eben
nicht in der iberischen Spielart. Und wo die Kritik auf die heutigen
sozialistischen Staaten ausgedehnt wird, kommt man über die
bekannten Klischees nicht hinaus, und das alte Totalitarismus-
Konzept wird aufs neue bemüht. Auch Stallmach meint, im Sozialismus
werde um einer vollkommenen Zukunft willen Freiheit und
Glück der konkreten Zeitgenossen bedenkenlos vollständig geopfert,
was der Rez. glücklicherweise nicht bestätigen kann.

Die theologische Begründung der Grundhaltung jedoch ist ernst zu
nehmen, freilich auch geduldig zu diskutieren. Es verwundert nicht,
daß sie vom Naturrechtsdenken ausgeht, wonach die dem Menschen
eingestiftete Rechtschaffenheit und Zielrichtung auf Gott - beides in
unauflöslicher Einheit gesehen - Universalität beanspruchen müsse.
Auch mir scheint, daß christlicher Glaube und das ihm entsprechende
Ethos alle Menschen angeht und betrifft. Doch der
triumphalistische Geist, in dem dies dargetan wird, überzeugt mich
nicht, denn kirchengeschichtliche Erfahrungen mahnen zur -