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Ausgabe:

1982

Spalte:

455-457

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirche in Indien 1982

Rezensent:

Lehmann, Arno

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

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überhaupt keine Frage, daß die vielen hier zusammengetragenen
Fakten - übrigens auch, solche, die die (kirchliche) Reaktion auf die
Apostel und Propheten betreffen - eine wichtige Bereicherung
bedeuten hinsichtlich des Wissens, das wir gerade vom 19. Jahrhundert
haben und das oft genug weniger komplett ist als wir meinen.
Letzteres zeigt dieser bisher ausgeblendete Sektor christlicher
Kirchen- und Gesellschaftskritik in aller Deutlichkeit. Künftiges
Forschen sollte daher diesen Sektor nicht vergessen.

Verständlicherweise wird die Literatur in Auswahl geboten, und man sollte
daher nicht um Titel rechten; aber vermißt wurde doch z. B. Martin
Schmidt/Josef Butscher, Art. „Adventisten", in: TRE, Bd. 1, Berlin - New
York 1977, S. 454-462, oder Einar Anderson, Ich war ein Mormone, Konstanz
1967; auch fehlt die Selbstdarstellung der Mormonen aus: Was glauben die
andern? 27 Selbstdarstellungen, hrsg. von K. Eberhardt, Gütersloh 1977,
S. 113-123; dieses Buch wird übrigens 'S. 109, 206, 310 bibliographisch
ungenügend zitiert. Auf S. 206 trifft das Gleiche zu für Kurt Hutten, Seher-
Grübler-Enthusiasten, Stuttgart 101966, wobei hier, wie auch bei Konrad
Algermissen, Konfessionskunde, zu fragen ist, ob nicht die letzte Auflage
empfohlen werden sollte. - S. 376 werden die Abbildungen als durchnumeriert
vorausgesetzt; das entspricht nicht den Tatsachen.

Wenn das Buch überhaupt einen gravierenden Mangel haben
sollte, so ist es eigentlich nur der, daß man es sich noch ausführlicher
wünschte. Den bisherigen Rahmen öffnend und das so nachdenkenswerte
historische Zeitgemälde abrundend, wäre es jedenfalls
sehr zu begrüßen, wenn sich Verfasser und Verlag bei der schon jetzt
vielerseits erwarteten 2. Auflage zur Aufnahme weiterer religiöser
Gemeinschaften verstehen könnten.

Nachtrag

Die erfreulich rasch nachfolgende 2. Auflage kam dem Druck voranstehender
Rezension zuvor. Wie angezeigt, handelt es sich nicht
einfach um eine Nachauflage, sondern um eine erweiterte und zudem
an zahlreichen Stellen überarbeitete Ausgabe. Die Zahl der Gemeinschaften
wurde vergrößert um die Darstellung der Internationalen
Vereinigung Ernster Bibelfoscher/Zeugen Jehovas. Diese Komplettierung
kann man natürlich nur bejahen, und insofern nimmt man
auch in Kauf, wenn darum der Bestand der Textbeilagen zu den
einzelnen Gemeinschaften leicht reduziert werden mußte. Über die
größeren und kleineren Eingriffe in den Text ist hier nicht näher zu
sprechen; ein verändertes Urteil findet sich über Ellen G. White
(S. 228 f), und auch Neuestes konnte noch aufgenommen werden, wie
etwa, daß das Apostelamt Jesu Christi jetzt Gaststatus in der Arbeitsgemeinschaft
christlicher Kirchen in der DDR besitzt. Oben
genannte Corrigenda sind gegenstandslos geworden. Nur ein Votum
möchte man unbedingt noch anknüpfen: Sicher gab es zwingende
Gründe, das Orts- und das Bibelstellenregister aus dem Band herauszunehmen
. Doch Leser wie Buch wurde damit kein guter Dienst
erwiesen. Ja, es wäre dem „Obst" sogar angemessen, wenn er bei einer
weiteren Auflage noch zusätzlich ein Sac/iregister erhielte.

Leipzig Gerhard Graf

Gräfe, Hugald [Hrsg.]: Evangelische Kirche in Indien. Auskunft und
Einblicke. Erlangen: Verlag der Ev.-Luth. Mission 1981. 427 S. m.
12 Ktn, 16 Taf. 8" = Erlanger Taschenbücher, 51. Kart. DM 32,-.

Dieses Buch ist eine erstmalige Erscheinung: es bietet eine Fülle
von zuverlässigen Fakten, Auskünften und Einsichten, wie man sie
bisher so nicht beisammen hatte. Es ist eine Antwort auf die wunderliche
Frage jenes Ordinarius für Kirchengeschichte, was denn eigentlich
die Missionsgeschichte mit der Kirchengeschichte zu tun habe.

Neben dem Herausgeber, der selbst 15 Jahre als Kirchenge-
schichtler an einem theologischen College in Indien tätig war,
schreiben viele Inder mit und stellen ihre Kirchen vor, u. zw. in
einem erfreulich lesbaren Stil.

Der Inhalt ist erstaunlich umfassend. Auf den S. 12-61 gibt Gräfe
erwünschte Auskünfte über das große Land, seine Völker und Bevölkerung
, die Sprachenwelt, über politische und wirtschaftliche
Fragen und die 8 Religionen Indiens, mit einer Zeittafel über die
indische Religionsgeschichte.

Ein kirchengeschichtlicher Überblick wird in Teil II gegeben: Das
Zeitalter der Thomaschristen, der katholischen Christen, der evangelischen
Christen, also auch der Anfänge der Tranquebar-Mission,
wobei entgegen ungezählter Falschangaben festgehalten wird, daß die
ersten Missionare „ohne Franckes Beteiligung" angeworben und
ausgesandt worden sind (81); den Schluß bildet eine Materialfülle
über das Ökumenische Zeitalter. Da erfährt der Leser viel über die
selbständigen Kirchen, über die Christen im säkularen Staat, über
neue Trennungen und Einheit der Christen, mit vielen Zahlen.

Teil III (125-276) bietet, zumeist von Indern verfaßt, Auskunft und
Einsichten in Gestalt und Profil der verschiedenen evangelischen
Kirchen. An erster Stelle stehen da das Werden und die Erfahrungen
der großen Kirche von Südindien, auch über die Mission dieser
Kirche, die Rolle der Frau („in allen Gremien und Ausschüssen der
Kirche wenigstens ein Viertel der Mitglieder Frauen sein müssen",
S. 139), die Finanzen u. a.

Es folgen die Kirchen von Nordindien, die Syrische Mar-Thoma-
Kirche, die der Methodisten und der Baptisten und der Pfingstler.

Dem Informationsbedürfnis über die deutschsprachigen evangelischen
Partnerkirchen, „besonders der lutherischen Kirchen",
wird Rechnung getragen (183-265). Den Anfang macht natürlich die
Tamilische Ev.-Luth. Kirche (TELC). Über alle 10 Kirchen wird
berichtet; von der Geschichte, der Struktur und Verwaltung, dem
Gemeindeleben, ihrer Missionstätigkeiten, über Publikationen,
soziale Arbeiten, das Kastenwesen und andere soziale Übel, das
Verhältnis zu NichtChristen und anderen evangelischen Kirchen, die
Selbständigkeit und „einheimische Theologie". Da wird sehr freimütig
gesprochen - mancher rosarote Glanz der Jungen Kirchen geht
dabei drauf. Diese Beiträge enthalten eine beachtliche Informationsfülle
, die hier nicht dargestellt werden kann. Ausführungen über
den Gesamtprotestantismus, den Nationalen Kirchenrat Indiens und
die Evangelische Allianz beschließen dieses Kapitel.

Sah man sich schon bisher als Gast an einer theologisch reich
besetzten Tafel, so verstärkt sich das theologische Element noch mehr
in Kap. IV: Gelebter christlicher Glaube. Da ist die Rede von der
««vollendeten Aufgabe im großen Indien: Die Christen bilden nur
eine „kleine Minorität". „Weite Gebiete sind vom Evangelium kaum
berührt". Gefordert wird eine „indische christliche Theologie", und
„solch eine Theologie muß Christologie sein" (281). Über dieses
Thema liest man sodann ab S. 284: „Einheimischer Ausdruck des
christlichen Glaubens". Wie schön, daß in diesen Ausführungen auch
zu lesen ist „Wahre christliche Einheimischwerdung wird aggressiv
christo-zentrisch sein und wird Zeuge sein für die Zusammenfassung
aller Dinge in Christus" (294).

Dieses Thema wird weitergeführt S. 301 f: „Dialog und Partnerschaft
zwischen Hindus und Christen". Auch da wird eine zu westliche
Bindung und Abhängigkeit beklagt: das gilt „auch hinsichtlich
der Ausformung ihrer theologischen Gedanken, der Struktur ihrer
Kirchentümer, dem Stil ihrer Architektur, der Gestalt ihrer Liturgie
und Musik und, was vielleicht noch wichtiger ist, im Blick auf ihre
geistige und emotionale Ausrichtung" (304). Ein „westliches Erbe"
scheint auch zu sein, „daß es evangelische Dozenten der Theologie
gibt, die ,Religionsgeschichte', einschließlich des Studiums des
Hinduismus, als ein Randgebiet am Lehrplan der indischen theologischen
Ausbildung bezeichnen" (310). Auch über das Kapitel
Jugend und ihre Kirche wird gehandelt. Als gerade für Indien wichtig
muß der Beitrag über die Frauen in der Kirche bezeichnet werden
(320-329): das will ganz gelesen sein. Dem Rez. fällt auf, daß weder
hier noch sonst im Buch erwähnt wird, als eine „missionarische
Priorität" und Ruhmesblatt für die allerersten Missionare, daß sie
bereits ein Jahr nach ihrer Landung (1706) eine „Mägdchen-Schule"
in Tranquebar aufgetan haben, weil sie an einigen Kindern „gar feine
ingenia" entdeckt hatten.