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Ausgabe:

1982

Spalte:

450-453

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Grabmann, Martin

Titel/Untertitel:

Gesammelte Akademieabhandlungen 1982

Rezensent:

Selge, Kurt-Victor

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

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historische Kontext der Äußerungen oder Entwicklungen in den
Auflassungen der einzelnen „Radikalen". Die Schriften der Autoren
des 16. Jahrhunderts werden allzusehr wie Werke eines theologischen
Systematikers unserer Zeit verwendet. Das geschieht zudem noch
vom Standpunkt der älteren konfessionell und stark apologetisch
bestimmten Täuferforschung aus. Die Auseinandersetzung mit
Stayers historischer Analyse der Anfänge des Zürcher Täufertums
gibt hierfür genug Belege (219-226: Täuferischer Pazifismus: Überlebensstrategie
oder Prinzip der christlichen Existenz). Der teilweise
überholte Forschungsstand spiegelt sich vor allem in der Verwendung
von Quellenausgaben (für Bucer, Hubmaier, Müntzer) und Sekundärliteratur
. Die Titelangaben sind in einem ungewöhnlichen Ausmaß
fehlerhaft, wie überhaupt die Druckfehlerquote nicht gerade
niedrig ist. Über die Entscheidung, die Arbeit für den Druck nicht
insgesamt auf den Forschungsstand der Gegenwart zu bringen, kann
man zumindest geteilter Meinung sein. Als "a breakthrough in
Anabaptist search" (Williams) kann sie keinesfalls gelten.

Berlin Siegfried Bräuer

Menke, Karl-Heinz: Vernunft und Offenbarung nach Antonio
Rosmini. Der apologetische Plan einer christlichen Enzyklopädie.
Innsbruck-Wien-München: Tyrolia-Verlag 1980. 309 S. 8' = Innsbrucker
theologische Studien, 5. Kart. ÖS 390.-.

Antonio Rosmini-Serbati (1797-1855) kann als einer der letzten
Universalgelehrten gelten; sein Schaffen als Philosoph, Theologe,
Philologe, Jurist, Pädagoge und Politiker soll in einer von
M. F. Sciacca initiierten 80-bändigen Ausgabe vorgestellt werden. Im
deutschen Sprachraum ist er, wenn überhaupt, nur aufgrund der
Indizierung durch Leo XIII. bekannt (36). 1821 als Priester geweiht,
gründete er 1828 das Institutum Caritatis, eine 1839 päpstlich
bestätigte Ordenskongregation aus Priestern und Laien mit weiblichem
Zweig. 1848 als Vermittler zwischen Rom und Piemont und
als Reisebegleiter des Papstes tätig, wurde er von Kardinal Antonelli
aus dem Vatikan verdrängt. 1849 wurden seine kirchlichen Reformschriften
indiziert, 1854 seine philosophischen Schriften nach Überprüfung
freigegeben. 1887 wurden von Leo XIII. in dem Dekret Post
Obitum vierzig Sätze seines philosophisch-theologischen Werkes
verurteilt (zusammengefaßt in 11 Irrtümern; 230- Rosmini-Serbati
blieb bis heute umstritten; vom Ontologisten, Plagiator des deutschen
Idealismus, Theosophen bis zum „verkannten Heiligen" reichen die
Beurteilungen. Der Kontext der vorliegenden Dissertation ist der
Versuch, Rosminis Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie
in der Transparenz zu unserer Problemsituation darzustellen.
Dem ist eine Einführung in die Rosmini-Forschung und in Anliegen
und Aufbau der Arbeit vorangestellt (15ff). Teil I weist die „christliche
Enzyklopädie" als Versuch aus, Vernunft und Religion in einer
»deontologischen Apologetik" in der Bewegung von der Transzendenz
zur Immanenz und gleichzeitig von der Immanenz zur
Transzendenz gleichsam befriedet zu sehen (47ff). Teil II führt dieses
Grundanliegen dann detailliert aus, indem das Gesamtwerk Rosminis
unter dieser Fragestellung durchgegangen wird (124ff).

Die Genese des Rosminischen Denkens zeigt, daß „die in einer
bestimmten Spiritualität wurzelnde Grundüberzeugung von der
Nichtigkeit der reinen Vernunft einerseits und der Kraft einer alle
Wirklichkeit in ihrer Einheit erkennenden religiösen Vernunft
andererseits" im Vordergrund steht und nicht der Systemgedanke der
Idee des Seins (= Ontologismus). In einem ersten Schritt (1820-1850)
versuchte Rosmini von der theozentrischen Spiritualität der Jugend-
Jahre ausgehend, das Verhältnis von ratio und revelatio induktiv (in
Abgrenzung zum Traditionalismus und Immanentismus) zu bestim-
men; er behandelt im „Nuovo Saggio" diese regressive Denkform:
Natürliche Vernunfterkenntnis und übernatürliche Glaubenserkenntnis
stehen auf der Basis paralleler logischer Strukturen in einer
»Konvenienz" von Natur und Übernatur, im Sinne negativer

Theologie (200). Aber mit der Analyse der Strukturen der Vernunft
einerseits und der Glaubenserkenntnis andererseits und der Feststellung
der relativen Autonomie beider Bereiche war die Frage nach
dem ontologisch-metaphysischen Vorrang einer der beiden Bereiche
noch nicht ausreichend genug geklärt; der erkenntniskonstitutive
Primat der Ontologie vor der Psychologie muß deutlich sein, so in der
„Teösofia" nach 1850. Rosmini wendet jetzt die progressivsynthetische
(deduktive) Denkform an in der Frage nach dem Zusammenhang
von Vernunft und Offenbarung, Natur und Gnade, Philosophie
und Theologie, um die regressive Bewegung von der Immanenz
zur Transzendenz („Ideologie") in die umgekehrte Richtung
„von der Transzendenz zur Immanenz" („Theosophie") zu integrieren
und eine besondere Gestalt „christlicher Apologetik" zu
ermöglichen. Unter Voraussetzung der christlichen Offenbarung wird
das Zueinander von Natur und Gnade philosophisch so dargestellt,
daß mit der Erkenntnis der Kohärenz von übernatürlicher und
natürlicher Wirklichkeit auf die Notwendigkeit der Wahrheit des
Geoffenbarten geschlossen werden kann. Man spricht von deonto-
logischem Verfahren (griech.: to deon = das Notwendig-Seiende).
„Der .regressive' und der progressive' Denkweg bilden gleichsam
einen .circulus deontologicus' - in dem Sinne, daß sich der ,regressiv'
in seinem Wesen, Ursprung und Sinn unerklärliche Mensch progressiv
' in der Selbstoffenbarung des trinitarischen Gottes ,die Bedingung
der Möglichkeit' seiner selbst erkennt und zugleich mit dieser Erkenntnis
einer Kohärenz von Natur und Gnade die geoffenbarte
Wirklichkeit glaubend bejaht. Mit Blick auf diesen ,circulus deontologicus
' haben wir Rosminis Bemühen um eine adäquate Zuordnung
von Vernunft und Offenbarung als ,deontologische Apologetik'
bezeichnet" (286).

Menke hat mit dieser Dissertation die erste Studie zur Genese von
Rosminis Gesamtwerk vorgelegt. Leitend war die Frage, inwieweit
Rosmini von vornherein eine christliche deontologische Apologetik
intendierte in Abhebung von Neuthomismus, Newman und Blondel
(264ff). Für evangelisches Denken ist dreierlei bemerkenswert: 1. Die
umfassende und zugleich detaillierte Darstellung des leider weithin
unbekannt gebliebenen Rosminischen Denkens. - 2. Die Rehabilitierung
des bis dato des Ontologismus, Pantheismus und Nesto-
rianismus angeklagten Rosmini (Denzinger 1891 ff) mittels seiner
Theorie der „deontologischen Apologetik". - 3. Es fehlt u. E. der
Aufweis der (möglichen) Konsequenzen dieses Denkens für die
gegenwärtige katholische Theologie; schmerzlicher noch ist die
Binnenorientierung ohne jegliche Diskussion mit der evangelischen
Theologie (was vielleicht im System von Rosmini mitbegründet liegt,
dann aber heutzutage kritisch angemerkt werden müßte). Dadurch
soll aber das Lob für diese bemerkenswerte Dissertation, der man
theologiegeschichtlich und systematisch interessierte Leser wünscht,
keineswegs geschmälert werden.

Stadt Rehburg Uwe Gerber

Grabmann, Martin: Gesammelte Akademieabhandlungen, hrsg.
vom Grabmann-Institut der Universität München. Einleitung von
Michael Schmaus. Verzeichnis der benutzten Handschriften,
Personen-, Orts- und Sachregister von Christoph Heitmann.
Paderborn-München-Wien-Zürich: Ferdinand Schöningh 1979.
2 Bde. XXXII, 2220 S. gr. 8" = Münchener Universitätsschriften,
Fachbereich Katholische Theologie: Veröffentlichungen des Grabmann
-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie,
und Philosophie, N. F. 25 I/II. Lw. DM 220,-.

Mit dem Oberpfälzer Bauernsohn Martin Grabmann (1875-1949)
hat die Neuscholastik, näherhin der Neuthomismus der 2. Hälfte des
19. Jahrhunderts, einen der fruchtbarsten Erforscher der Scholastik in
unserem Jahrhundert hervorgebracht. An der Wiege stand die katholische
Selbstbehauptung im Jahrhundert einer von anderem Glauben
getragenen Wissenschaft; am Ende stand und steht bis heute eine