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Ausgabe:

1982

Spalte:

447-449

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Beachy, Alvin J.

Titel/Untertitel:

The concept of grace in the radical reformation 1982

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

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gramm la). Von den anderen Jesusgestalten ist der eschatologische
eindeutig in allen Quellen in seiner Richterfunktion fest verankert,
auch wenn in den iranischen Versionen eine iranische Umschreibung
xradesahr-yazd („Weisheits-Welt-Gott") und in den koptischen
„Großer Glanz" dafür stehen kann. Beim Seelenaufstieg tritt er als
Richter, Psychopomp und Lichtgestalt auf (140ff, bes. Koptica). Der
historische Jesus ist rein doketisch verstanden worden (was nicht
„ohne jegliche Realität" bedeutet, wie R. 120 meint). Die Stellvertretung
durch Simon scheint nur eine Eintragung der Häresiologen
zu sein (sie ist in den Originalquellen m. W. nicht belegt). Umstritten
war das Alter des Jesus patibilis und von F. C. Baur schon als typisch
westlich-nordafrikanische Ausprägung bezeichnet worden. R. gibt zu,
daß diese Formulierung nur bei Augustin vorliegt, die Idee der leidenden
Seele in der Natur im Bilde der Passion Christi aber sicher
älter ist und wohl auf Mani zurückgeht; dies läßt sich jetzt durch den
CMC am besten beweisen (91 ff). Trotzdem handelt es sich m. E. um
eine Anpassung an christliche Verhältnisse, wie das ganze (symbolische
) Verständnis der Kreuzigung zeigt (97!). „Jesus das Kind"
oder „Knabe" ist als aktiv, selbstbewußt gewordenes Element der
Weltseele Teil der Salvator-salvandus-ldee Manis, die das gnostische
Kernstück der Christologie ausmacht (103 ff, von Böhlig daher auch
als alter ego Jesu bezeichnet: Die Gnosis III, Zürich 1980, S. 58).
Davon zu unterscheiden ist allerdings der „Knabe" in den Thomaspsalmen
, der das alter ego oder eine Weise des Urmenschen ist (zu
107; vgl. Nagel, Die Thoma?psalmen, 71 f, 81 f, 89). Die eigentliche
Hauptgestalt der manich. Christologie ist der „Glanz-Jesus" als
Erlöser Adams und der seitdem fortlaufenden „Heilsökonomie". Sie
ist am deutlichsten in allen Quellen ablesbar und der tragende Pfeiler
auch der in der reichen Hymnenliteratur sich Ausdruck verschaffenden
Gemeindefrömmigkeit (vgl. bes. 79 ff, 86 ff). Hier ist die
Christologie Manis am eindeutigsten verankert.

Diese strenge Trennung der verschiedenen primären und sekundären
, deutlich ausgeprägten und nur angedeuteten oder umgedeuteten
Jesusgestalten, die die Forschung vielfach verwirrt haben, ist
ein bleibendes Verdienst der Arbeit von R. Dazu gehört auch, den
eindeutig gnostischen Charakter desselben aufgewiesen zu haben (am
Schluß 179f noch einmal ausdrücklich festgehalten). Aber noch
mehr: „Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, in der mani-
chäischen Christologie eine Linie enden zu sehen, die in Ansätzen
schon bei Paulus beginnt, über (juden-)christliches Täufertum und
christlichen Gnostizismus ... bis hin zu Mani führt, wo sie freilich in
eine Mythologie eingebettet ist, die uns phantastisch vorkommen
muß" (181). Es ist also eine Remythisierung oder Enthistorisierung in
größtem Ausmaß, die uns hier entgegentritt. Inwiefern man dies dann
noch als eine christliche Form betrachten kann, ist Ansichtssache.
Man muß damit rechnen, daß die von'R. beschworene persönliche
Beziehung Manis zu Christus (34, 115, u. o.) nicht so ernst genommen
werden muß; sie ist ein Stück in seiner Theosophie, aber wohl
nicht Kernstück, das ist sein eigenes Sendungsbewußtsein, das
schließlich alles durchzieht. Die Christologie ist nicht „das Herzstück
" (181), sondern richtiger „ein Herzstück" seiner Lehre. Immerhin
bleibt der Manichäismus (wie später der Islam) einer der wirkungsvollsten
Erben jüdisch-christlicher Tradition. Dies hat Rose
ohne Zweifel demonstriert. Sein Buch kann durchaus als ein wesentlicher
Zugang zum manichäischen System benutzt werden, wozu die
6 Diagramme, die das im Text oft kompliziert Ausgeführte prägnant
und übersichtlich wiedergeben (194-199), recht dienlich sind. Wir
wünschen dem Buch endlich die ihm so lange verwehrte öffentliche
Wirksamkeit in der Forschung.

Leipzig Kurt Rudolph

Beachy, Alvin J.: The Concept of Grace in the Radical Reformation.

Nieuwkoop: de Graaf 1977. XV, 238 S. gr. 8* = Bibliotheca
Humanistica & Reformatorica, 17. Lw. hfl 90,-.

Beachys (= B.) Arbeit entstand bereits gegen Ende der Fünfziger
Jahre als Dissertation bei George H. Williams. Der Verfasser,
inzwischen Professor am Bethel College, North Newton, veröffentlicht
seine Arbeit in der Substanz unverändert, aber mit einem
Geleitwort seines ehemaligen Mentors Williams und einem umfangreichen
Anhang (187-230), in dem er sich mit einigen Schwerpunkten
der jüngsten Täuferforschung (vor allem mit der durch
St. Ozment u. a. aufgeworfenen Frage nach dem Verhältnis der
Täufer zur Mystik und den durch J. Stayer in neues Licht gerückten
Anfängen der Schweizer Täufer) auseinandersetzt. Im Anschluß an
die Typologie von Williams wählt B. als Materialbasis für seine
Untersuchung sieben Repräsentanten der Radikalen Reformation
aus, B. Hubmaier, M. Hoffmann, P. Marbeck, D. Philips und
M. Simons als evangelical anabaptists, H. Denck als contemplative
anabaptist und C. Schwenckfeld als evangelical spiritualist. Damit
begrenzt er sich geographisch auf das Gebiet der Niederlande und
Süddeutschlands und zeitlich auf die Periode von Dencks Bekehrung
(1525) bis zur Frankenthaler Disputation (1571).

B.s zentrales Anliegen: Die sog. obrigkeitsorientierten Reformatoren
(Magisterial Reformers) vertraten auf Grund ihrer mit den
Augen Augustins betriebenen Pauluslektüre eine forensische Rechtfertigungslehre
. Demgemäß ist die Rechtfertigung eine Statusänderung
des Menschen vor Gott. Die Gnadenlehre der radikalen
Reformatoren stützt sich über Paulus hinaus auf die Evangelien,
besonders auf Joh. Bei 5 von 7 ist das Ziel der Rechtfertigung wie in
den johanneischen Schriften sowie bei Irenäus und Athanasius die
Vergöttlichung des Menschen. Gnade ist ein Akt Gottes, wodurch er
das Ebenbild Gottes im Menschen durch den Heiligen Geist erneuert
und den Gläubigen Anteil gibt an der göttlichen Natur. Die so
verstandene Gnadengabe befähigt den Menschen, höher in der
Stufenleiter christlicher Vollkommenheit aufzusteigen als es durch
die forensische Gnadenlehre möglich ist. Hubmaier und Marbeck
stützen sich nicht auf Joh. Bei ihnen ist Gnade ein Akt Gottes, der die
Gläubigen über eine ontologische Veränderung im Menschen selbst
stärker in einen neuen Status vor Gott bringt als durch eine forensische
Veränderung. Der Bruch zwischen Natur und Gnade war für
die radikalen Reformatoren nicht so abrupt wie bei Luther oder
Calvin. Während die obrigkeitsorientierten Reformatoren den
radikalen Reformatoren Werkgerechtigkeit vorwarfen, antworteten
diese wiederum mit dem Vorwurf der billigen Gnade. In Wirklichkeit
arbeiteten beide Seiten mit einem unterschiedlichen Gnadenverständnis
, ohne sich dessen bewußt zu sein. Ihre Nachkommen sind
von diesem Gegensatz noch in der Gegenwart nicht frei.

Dieses im Ansatz so andere Gnadenverständnis der radikalen
Reformatoren entfaltet B. in diffizilen Analysen anhand der Aussagen
der 7 genannten und im einzelnen nach Herkommen und
Ausprägung recht unterschiedlichen Vertreter in je einem Kapitel
über die Anthropologie (35-61), die Christologie (62-86), die Ekkle-
siologie (87-128), die Hermeneutik (129-152) und die Ethik
(153-172). In einer ausführlichen Zusammenfassung (173-179) stellt
B. noch einmal seine Ergebnisse gut gegliedert zusammen.

So verdienstvoll der Nachweis des unterschiedlichen Ansatzes im
Gnadenverständnis zwischen den „Magisterial Reformers" und den
von B. unter die radikale Reformation subsumierten reformatorischen
Schriftstellern im einzelnen ist, er ruft dennoch eine Reihe
von kritischen Fragen hervor. Das Rechtfertigungsverständnis der
„Magisterial Reformers" wird wie ein einheitlicher Block behandelt,
dementsprechend auch deren Anthropologie usw. Eine derartige
Typisierung führt zu erheblichen Unscharfen. Gleiches gilt für die
Gnadenlehre der 7 radikalen Reformatoren. Die Zusammenhänge
waren im einzelnen sicher noch komplizierter als sie sich in B.s
Darstellung aufnehmen. Die unterschiedliche biblische Begründung
ist nur ein, wenn auch wesentliches Element, das zu beachten ist. Die
Tradition, aus der die einzelnen Vertreter kommen, ist kräftiger in
Ansatz zu bringen als das bei B. (z. B. im Falle von Denck, 71 u. ö.)
geschieht. Nahezu gar nicht beachtet sind der jeweilige konkrete