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Ausgabe:

1982

Spalte:

437-438

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Berschin, Walter

Titel/Untertitel:

Griechisch-lateinisches Mittelalter 1982

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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Seite 1

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437

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

438

für diesen Versuch einer Aktualisierung der Alten Kirche zu danken.
Derartige Publikationen sind selten. Sie werden von Christen einer
immer auch „Jungen Kirche" erwartet.

Heidelberg Reinhart Staats

Kirchengeschichte: Mittelalter

Berschin, Walter: Griechisch-lateinisches Mittelalter. Von Hieronymus
zu Nikolaus von Kues. Bern-München: Francke 1980. 363 S.
gr. 8*.

Mit dieser wichtigen Publikation beabsichtigt B., die „Literaturgeschichte
des lateinischen Mittelalters" sub specie graecitatis zu
überprüfen, wobei der zeitliche Rahmen, wie der Untertitel ausweist,
bereits ein großes Vorhaben anzeigt. B. beginnt mit einem Forschungsbericht
(Kap. 1), verbindet die Rolle der drei „heiligen
Sprachen" mit dem .Fundus' des Griechischen im Abendland
(Kap. 2), um dann zum .philosophischen und theologischen Hellenismus
in der lateinischen Spätantike' vorzustoßen („Interpretatio
christiana", „Vetus Latina" und „Vulgata", Augustinus) (Kap. 3).
Das vierte Kapitel ist „Ökumene" betitelt. - Die Kap. 5-12 sind vor
allem diachron aufgebaut. Auf das .Gotische Italien' (5) (vor allem die
Bibel bei den Goten, Boethius, Symmachus, Cassiodor und Dionysius
Exiguus behandelnd) folgen weitere knappe, doch stets inhaltsreiche
Kapitel, so (6) über „Das frühbyzantinische Italien und die Seeländer
des Westens". Hier wird das Griechisch mancher Okzidentalen, so
das des Beda Venerabiiis, teilweise erheblich unterschätzt. Es ist
gewiß verdienstlich, wenn B. vor allem von der wichtigen Position
der Bilinguen für die sprachliche Ausbildung her ansetzt, doch wird
so die Rolle der - offiziellen oder nichtoffiziellen - Lehrer, ohne die
man in fast keinem Fall auskam, unterschätzt. Auch kann man aus
mehr oder minder zahlreichen Übersetzungs- und Interpretationsfehlern
nicht zwingend auf Unkenntnis schließen; und letztlich
rezipiert jede Epoche Traditionsgut auf unterschiedliche Weise,
wobei auch die großen Geister sich normalerweise den pragmatischen
Gegebenheiten (fast könnte man sagen: den Sachzwängen) nicht entziehen
können.

In Kap. 7 werden das „merowingische Gallien" sowie „Karolingerhöfe
" behandelt, in 8 „Karolingische Klöster" und in 9 „Italien im
9. und 10. Jh." Nicht nur Ausklang, sondern wichtige Einschnitte
stellen die Kap. 10 („Die Ottonische Epoche"), 11 („Hohes Mittelalter
: Von der Mitte des 11. Jh. bis zur Eroberung Konstantinopels
durch die Lateiner [1204]") und 12 („Spätmittelalter - Frühhumanismus
") dar. Die Spanne reicht hier also etwa von der Anta-
Podosis („Vergeltung") des Liudprand von Cremona - mit zahlreichen
, dem lateinischen Text einverleibten griechischen Wendungen
(die ein gekünsteltes, ja manieriertes, möglicherweise an
byzantinischen Vorbildern geschultes Verständnis widerspiegeln) -
bis hin zu den Werken des Nikolaus von Kues, der vor allem Piaton
fortsetzte, ohne im stärkeren Umfang Gräzist oder gar - wie Hieronymus
- dreisprachig (jedenfalls nicht im Hinblick auf die „heiligen
Sprachen") zu sein. Des Kusaners Grundgedanke von der „coinci-
dentia oppositorum" ist, von B. freilich nicht gewürdigt, aus der Entwicklung
der folgenden Jahrhunderte schon wegen des dialektischen
Bezuges nicht wegzudenken.

Historisch-politisch würde man manche Andeutung oder Passage
noch exakter aufgebaut wünschen. Insgesamt stellt sich B.s Buch
jedoch als eine respektable Arbeit dar, welche die Rolle der „heiligen
Sprachen" und insbesondere die Beziehung zwischen Griechisch und
Latein im Okzident auf vielfältige Weise neu beleuchtet.

Halle (Saale) Hans-Joachim Diesner

Doornik, N. G. M. van: Katharina von Siena. Eine Frau, die in der
Kirche nicht schwieg. Aus dem Niederl. v. L. Linn. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1980. 248 S. 8* geb. DM 32,-.

Das Buch vereint Vorzüge einer streng wissenschaftlichen Arbeit,
die auf historischen Quellen aufbaut, mit denen eines historischen
Romans, der weitere Leserkreise ansprechen will. Hauptzeuge ist der
Dominikanergeneral Raimund von Capua, der 1376 vom Papst den
Auftrag erhielt, Katharina von Siena und ihre Mitschwestern zu
führen. Doornik hat sich erfolgreich bemüht, „genau zwischen den
mitgeteilten Tatsachen und den von Raimund hinzugefügten Erklärungen
zu unterscheiden" (232). Auch andere Überlieferungen
werden ausgewertet, - bis hin zu dem „Prozeß von Castello", durch
den nach 1411 die Heiligsprechung Katharinas erreicht werden
sollte. Vor allem aber stützt sich D. auf die Dokumente der Katharina
von Siena selbst: Ihre Briefe und Gebete sowie ihren „Dialog". Die 3
Teile sind nach den Hauptschauplätzen überschrieben: I: Siena
(12-88), II: Avignon (89-144), III: Rom (145-225). Reiche kulturgeschichtliche
Informationen werden eingearbeitet. Vor allem aber
kommt die kirchengeschichtliche Lage jener Jahre 1370-80 in den
Blick. Auf diese Weise wird Katharina nicht so sehr als „Heilige" von
der Welt abgehoben, sondern ihre Wirkung in ihrer Umwelt wird
nüchtern gesehen. Katharina hatte zwar Beziehungen zu vielen angesehenen
Persönlichkeiten, zumal zu den Päpsten der Zeit. Aber ihre
Erfolge waren unterschiedlich. Mehrfach ließ sie sich in politische
Zusammenhänge hineinziehen, die sie nicht überschauen konnte. Die
oft vertretene Ansicht, Katharina habe den Papst Gregot IX. 1376
zur Rückkehr von Avignon nach Rom veranlaßt, hält D. für unbewiesen
. Gregor hatte dieses Ziel ohnehin, Katharina hat ihn in seiner
Absicht nur noch bestärkt (133-44).

Der Untertitel „Eine Frau, die in der Kirche nicht schwieg", spielt
eine wichtige Rolle. So behauptet D.: „Im Verlauf der Jahrhunderte
würde auch Paulus seine Meinung über die Frau in der Kirche
geändert haben. Auch er würde sich mit der Kirche des zwanzigsten
Jahrhunderts identifiziert haben, die Katharina den Titel gab: Doctor
ecclesiae - Lehrerin der Kirche" (58). Als 1378 das Papstschisma
zwischen Rom und Avignon ausbrach, hielt Katharina zum römischen
Papst „als inspirierende und tröstende Frau" (189). D. fährt
fort: „Hierarchie und Theologie, pastorales und kirchliches Recht
bedürfen in ihrer ungehinderten Männlichkeit eines mehr barmherzig
ausgerichteten, intuitiven und gefühlsbetonten weiblichen Elements"
(189). Eine Beziehung zur Gegenwart fehlt nicht: „Die Vorwürfe, die
Katharina der Kirchenführung entgegenhalten konnte, ohne einen
Rüffel befürchten zu müssen ... würden in der Kirche unserer Tage
gewiß mit Erstaunen quittiert werden"(189). Andererseits freut sich
D., daß das Papsttum heute anders aussieht als vor 600 Jahren.
Damals begann „das allmähliche Verlangen nach einer anderen
Form des Papsttums - weniger diktatorisch und stärker von einem
milden evangelischen Geist durchdrungen" (166). Die Zeit der
Katharina dagegen war „noch nicht völlig von dem übertriebenen
Papstkult befreit, der seit Gregor VII. üblich war" (213). Das Papstschisma
1378-1415 hätte nie stattgefunden, „wenn man dem
Bischofskollegium einen selbständigen Platz eingeräumt hätte" (215).
Von Katharina aber meint D. sagen zu können: „Ein Blick in die
Akten des Zweiten Vatikanischen Konzils würde sie erfreut haben"
(217). .Man kann solche Bemerkungen des holländischen Katholiken
gut verstehen, auch wenn man sie zuweilen hinterfragen möchte.
Jedenfalls betont D. mit Recht die „merkwürdige Tatsache, daß eine
einfache Frau aus dem Volk davon überzeugt war, daß ihre Ratschläge
dem Papst von Nutzen sein würden und daß sie diese auch
ohne Hemmungen erteilte" (213). Dahinter steht die außergewöhnliche
Frömmigkeit der Katharina: „Was sie für unsere eigene
Welt, für unsere Kirche in der Krise so interessant macht, ist ihre
Existenz .zwischen Gott und Welt', - die harmonische Einheit ihrer
mystischen und weltlichen Aktivitäten. Katharina ist eine Frau, die
auch in unserer heutigen Kirche nicht schweigen darf' (11). Auch
evangelische Leser können dieses Buch mit Gewinn lesen.

Rostock Gert Haendler