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Ausgabe:

1982

Spalte:

433-435

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dassmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Der Stachel im Fleisch 1982

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

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„Wundern", sondern von seinen „Machttaten" die Rede), 2. die
Summarien von Jesu Heiltätigkeit (Konzentration auf Jesus und auf
seine Beziehung zum Volk und zu den Kranken des Volkes; generalisierende
Tendenz: jede Krankheit wird geheilt; implizierte Christo-
logie: Jesus heilt als Messias die Wunden Israels), 3. die einzelnen
Heilungstaten Jesu (entscheidend sind die Dialoge zwischen Jesus
und den Betroffenen; Hauptthemen sind die Vollmacht Jesu und der
Glaube der Menschen; die Heilung weckt nicht den Glauben, sondern
der Glaube erbittet und erhält sie; Glaube ist hier das schlichte
Vertrauen auf die Macht Jesu), 4. die Machttaten Jesu, abgesehen von
Heilungen (sie werden durch Jesu Initiative gewirkt; die Jünger bekommen
Anteil an Jesu Vollmacht bzw. an deren Wirkungen; der
Glaube ist darauf gerichtet. Hinzuweisen ist hier auch auf die symbolische
Interpretation, die Vf. für die [ausdrücklich mit Vorbehalt den
Machttaten Jesu zugeordnete] Perikope Mt 17,24-27 gibt: Die
Menschenfischer, die alles verlassen haben [4,19], haben Geld für die
Tempelsteuer von jenen zu bekommen, die sie für das Evangelium
gewinnen), 5. Kontroversen um Jesu Machttaten (sie werden primär
nicht zu apologetischen Zwecken verwendet, sondern unterstreichen
Jesu Bedeutung und bereiten seine Verwerfung durch das offizielle
Israel in Jerusalem vor), 6. die im Zusammenhang mit den Machttaten
Jesu verwendeten christologischen Titel (gegen eine Überbewertung
des Davidssohntitels wird betont, daß für Mt der Gottessohn,
der zugleich der gehorsame Gottesknecht ist, bedeutsam ist; vgl. den
Anm. 1 genannten Aufsatz).

Vf. hat mit seiner Studie die exegetischen Bemühungen von
H. J. Held um die Erarbeitung des matthäischen Verständnisses der
Wundergeschichten vertiefend weitergeführt. Besonders zu vermerken
ist die Einbeziehung von Beobachtungen zur Struktur einzelner
Perikopen bis hin zur Silbenzählung (im Anschluß an J. Smit
Sibinga); dadurch werden auch von der Gestaltung her die Intentionen
der matthäischen Erzählungen über die Machttaten Jesu deutlich
.

Berlin Christian Wolff

' Vgl. besonders: Gottes Sohn als Diener Gottes. Messias, Agape und
Himmelsherrschaftnach dem Matthäusevangelium, StTh 27 (1973) S. 73-106.

Dassmann, Ernst: Der Stachel im Fleisch. Paulus in der frühchristlichen
Literatur bis Irenäus. Münster/W.: Aschendorff 1979. XII,
335 S. 8 Kart. DM 28,-.

Das Thema der Paulusrezeption im frühen Christentum liegt offenbar
irgendwie „in der Luft", wie schon das etwa gleichzeitig erarbeitete
und gleichzeitig erschienene (wenngleich einen spezielleren
Leserkreis ins Auge fassende) Werk von A. Lindemann zeigt (Paulus
•m ältesten Christentum - Das Bild des Apostels und die Rezeption
der paulinjschen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis
Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979). Das hängt wohl damit zusammen
, daß sich in der Forschung eine gewisse Einigkeit in der Frage
der Unechtheit einer ganzen Reihe von Briefen des Corpus Paulinum
(Eph, Kol, 2Thess, Past) herausgebildet hat, wonach dann die Geschichte
der Paulusrezeption bereits im NT selbst beginnt (vgl. unter
diesem Gesichtspunkt ein Werk wie: Paulus in den neutestament-
l'chen Spätschriften - Zur Paulusrezeption im Neuen Testament,
hrsg- v. K. Kertelge, QD89, 1981), und mit der im gleichen Zusammenhang
aufgebrochenen Frage des Frühkatholizismus im NT, die
wiederum eine der Quellen der jüngsten Debatte um den Kanon bzw.
den Kanon im Kanon ist. Vielleicht spielt auch eine Rolle die durch
die neue (dem Nag-Hammadi-Fund verdankte) Quellenlage gegebene
Möglichkeit, die Paulusrezeption der christlichen Gnosis zu überprüfen
bzw. erst jetzt richtig in den Griff zu bekommen (jedenfalls hat
S|ch E. Dassmann auch andernorts gerade zu diesem Teilthema geäußert
: Paulus in der Gnosis, JAC 22, 1979, 123-138; und vgl. neuerdings
vor allem K. Koschorke: Paulus in den Nag-Hammadi-Texten

- Ein Beitrag zur Geschichte der Paulusrezeption im frühen Christentum
, ZThK78, 1981, 177-205). Der besondere Impuls zum Ergreifen
dieses Themas ist jedenfalls bei Dassmann (wie auch bei
Lindemann) die Infragestellung des vielstimmigen kritischen Konsensus
hinsichtlich des Gegenstandes, den man (mit den Worten
Lindemanns) etwa so zusammenfassen kann: „Paulus habe in der
nachpaulinischen Kirche nur einen sehr geringen'Einfluß besessen.
Insbesondere die rechtgläubige' Kirche der ersten zwei Jahrhunderte
habe das geistige Erbe des Heidenapostels vergessen oder gar verleugnet
; sie habe es im Gegenteil den vor allem gnostischen Häretikern
überlassen. Erst die für die Kirche überaus bedrohliche Häresie
Marcions habe hier endlich zu einer Tendenzwende geführt: Die
marcionische Kanonisierung der Paulusbriefe habe die Kirche zur
erneuten Beschäftigung mit Paulus gezwungen. Im Widerstand gegen
Marcion habe sie sich daran erinnert, daß die Paulusbriefe ja ein Teil
ihrer eigenen Tradition seien und nicht einfach dem Gegner überlassen
werden dürften. Nur so seien diese Briefe, nun allerdings eingebettet
in den Rahmen eines durch konservative (.frühkatholische')
Schriften ergänzten Kanons, erhalten geblieben und hätten ihre in der
Kirchengeschichte teilweise revolutionäre Wirkung ausüben können
" (Paulus im ältesten Christentum, S. 1).

Ziel und Ergebnis des Buches von Dassmann ist nun aber nicht ein
ganz anderes Bild, sondern nur „ein vernünftiges Maß" in der fraglichen
Angelegenheit, nämlich „das vielzitierte Verschweigen des
Paulus und die daraus abgeleiteten Schlüsse auf ein vernünftiges Maß
zu reduzieren" (S. 318). Hinsichtlich der Behandlungsweise liegt das
Werk in der Mitte zwischen einer (problemorientierten) Untersuchung
und der Darstellung eines geschichtlichen Prozesses bzw. es
wird versucht, beides zu verbinden. Und geschrieben ist es von vornherein
für einen größeren Kreis von Lesern, woraus sich ergibt:
„Beschränkung des wissenschaftlichen Apparates, Auswahl der angegebenen
Literatur, weitgehender Verzicht auf fremdsprachige
Texte, dafür wörtliche Zitation der Quellen auch im größeren
Zusammenhang" (S. VII). Übrigens ist diese Ankündigung D.s hinsichtlich
der Literatur fast zu bescheiden; denn die Angaben, die
er bringt, sind sehr instruktiv und wertvoll. Die beiden Hauptteile der
Durchführung sind: (II.) „Paulus im Neuen Testament und bei den
Apostolischen Vätern" (S. 22-173) (mit den Abschnitten: Paulus in
der Apostelgeschichte; Paulus im Lichte des Johannes?; Neutesta-
mentliche Schriften in paulinjscher Tradition [Kolosser- und Ephe-
serbrief; Hebräerbrief; Erster Petrusbrief]; Der.erste Klemensbrief;
Didache und Matthäusevangelium; Antipaulinische Tendenz im
Neuen Testament? [Jakobusbrief; Zweiter Petrusbrief]; Ignatius von
Antiochien; Polykarp von Smyrna; Pastoralbriefe) und: (III.) „Das
Ringen um Paulus im zweiten Jahrhundert" (S. 174-315) (mit den
Abschnitten: Markions häretischer Paulinismus; Gnostisches Interesse
an Paulus; Verschweigen des Paulus [Tatsächliches Verschweigen
; Absichtliches Verschweigen?]; Apologeten; Paulus in der
apokryphen Literatur [Paulusfreundliche Apokryphen; Judenchristlicher
Antipaulinismus und paulusfeindliche Apokryphen]; Meliton
von Sardes; Irenäus von Lyon). Mir will es übrigens so scheinen, als
könne man in diesen beiden Hauptteilen hin und wieder bzw. an
wichtigen Stellen so etwas wie eine gegenläufige Bewegung spüren,
nämlich als würde die Paulus-Präsenz in III ein wenig hoch-, und die
Paulus-Nichtpräsenz in IV ein wenig heruntergespielt, und als verhalte
es sich umgekehrt mit der Rolle der Theologie des Paulus in III
und IV. Daß dem Ganzen noch (mit IV.) ein Abschnitt „Ergebnis"
(S. 316-320) folgt, erfüllt die Erwartungen des Lesers und wird man
begrüßen (wie auch das Register sowohl der Stellen als auch der
Namen, Orte, Sachen [S. 321-332.332-335]). Eine leichte Überraschung
kann dagegen - wenigstens auf den ersten Blick - das allem
vorgeschaltete Kapitel (I.) mit dem Titel: „Paulus und die Mitte des
Evangeliums" (S. 1-21) bereiten. Beim zweiten Blick wird aber klar,
daß es darin um nichts geringeres als die Definierung der sachlichen
Relevanz dieses historischen Themas geht. Es geht um die Frage, wie
wichtig Paulus ist, den man verschweigt oder eben nicht verschweigt,