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Ausgabe:

1982

Spalte:

426-428

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Bickerman, Elias J.

Titel/Untertitel:

Studies in Jewish and Christian history 1982

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

426

(S. 27-64), Leidenschaft oder Charisma (S. 65-98), Die Rätsel
(S. 99-120), Die tragische Dimension (S. 121-148). Ein Nachwort;
Das Geheimnis ist heraus (S. 149-151) bildet den Abschluß.

Originalität wie Problematik des Buches sind m. E. am besten vom
Kapitel „Tragische Dimension" zu entfalten. Der Leidenschaft Sim-
sons für die Frauen der Philister korrespondiert Gottes Ablehnung,
der mit Simson geradezu den Streit mit ihnen sucht (14,4). Daraus ergibt
sich, ungeachtet der Bemühung um Gerechtigkeit für die Philister
und auch komischer Aspekte (S. 127ff) die tragische Schicksal-
haftigkeit, die Einsicht in die Undurchschaubarkeit (ambiguity?) der
Ereignisse, die Unkontrollierbarkeit der Kräfte, die Simson wie seine
Gegenspieler bewegen. Dazu werden auch über die Simsongeschichte
hinausgehend (Jephta) die unausweichlichen Folgen vorschneller und
falscher Entscheidungen dargestellt. Die Durchführung dieser Linie
scheint nicht immer ohne sentimental psychologische Einträge möglich
zu sein (vgl. etwa das Schicksal des na ar von 16,26, oder der verschmähten
kleinen Schwester der etwas häufig Jovely' genannten
Timnitin). Entscheidend ist schließlich der Abschnitt „Ein gebrochenes
Gelübde" (S. 129 ff). Simson verleugnet sein Nasiräat; das macht
ihn zu einem negativen Helden (S. 126), zum „anti-hero" (S. 130);
der wahre Held der Geschichte ist Jahwe (aber läßt sich das nicht von
jeder alttestamentlichen Geschichte sagen?). Simsons Tod bricht wieder
aus dem Tragischen heraus, und führt ihn in die Gegenwart des
allwirkenden Gottes zurück, mit der die Geschichte begann. In diesen
Themenkreisen, Bruch des Gelübdes, Konflikt zwischen Sohnestreue
und Frauenliebe, erschöpft sich die Simsongeschichte nicht, sie weist
über sich hinaus auf das Geheimnis von Gottes Mitleid.

Daran schließt sich (From Saint to tragic Hero) ein kurzer Überblick
über das verschiedene Verständnis, das die Simsongestalt gefunden
hat. Er beginnt mit der positiven Würdigung bei Jesus Sirach und
Josephus, verfolgt diese Linie hin zu den christlichen Interpreten bis
zu denen, die in einzelnen Zügen eine Präfiguration der Geschichte
Christi, u. U. in Simson sogar einen Typ Christi gesehen haben. Darüber
werden aber auch die negativen Züge seiner sexuellen Zügel-
losigkeit nicht verschwiegen. Das schließt mit einer Darstellung von
Miltons Samson Agonistes und einer Charakterisierung seiner Darstellung
und seiner Absichten.

Die Kapitel 1-3 sind Hinführung und Vorbereitung auf dieses Ergebnis
, sind z. T. auch wohl von diesem her gestaltet. Kap. 1 vermerkt
literarisch-stilistische Traditionen (Vermächtnis eines Sterbenden
) und Formen (Gebete, Siegeslieder, Rätsel, Heldentaten usw.).
Dazu werden Herausgebererweiterungen und Darstellungsmotive
referiert und besprochen. Da aber konkrete Ereignisse zu Motiven
werden und Traditionen bilden, nicht Traditionen Ereignisse postulieren
müssen, scheint mir die Folgerung dieses Kapitels (S. 64) etwas
überzogen: die Sage beabsichtige, Unterhaltung zu schaffen und negative
Beispiele zu vermitteln. Soweit sie historische Elemente enthält,
seien diese für ihre Zwecke zufällig (sie).

Den Gedanken: Unterhaltung und Belehrung führt das Kapitel
Leidenschaft oder Charisma weiter aus. Der Blick zielt darin auf die
Klärung der Priorität der Verpflichtung zur Offenheit (Eltern-Braut
14,16) die in Spannung zueinander stehen. In diesem Zusammenhang
spielt der Begriff n-g-d in den verschiedenen Situationen eine ausschlaggebende
Rolle (Engel - Manoah, Simson - die verschiedenen
Frauen)... Im letzten geht es darin um eine Beurteilung der verschiedenen
Frauengestalten (Simsons Mutter, die ideale israelitische Frau),
°zw. Simsons Liebesbeziehungen zu ihnen (die auf Schönheit gegründete
Ehe, the lovely Timnitin S. 77), die außereheliche körperliche
Liebe usw.). Das scheint zu Eintragungen in den Text, vermutlich zu
■Moralischen Überbewertungen von Nebenzügen zu führen. Der letzte
Abschnitt (Rätsel) bemüht sich um die Bestimmung ihres erotischen
Hintergrundes und ihre Beziehung zum großen Zusammenhang.

Ein interessantes Buch, das mich zu neuem Nachdenken über Fragen
angeregt hat, die ich für mich geklärt glaubte. Überzeugend, wenn
auch nicht neu, ist die Betonung, daß Gott selbst der Held der Geschichte
ist. Gewiß muß auch die Simsongeschichte im Rahmen der

universalen, von Menschen oft nicht zu durchschauenden Geschichtsführung
Gottes verstanden werden. Dann bleibt aber zu fragen
, ob der eher literarische Begriff „Tragik" noch passend ist, ob
man im strengen Sinn noch von Unterhaltung und Belehrung reden
darf.

Gewiß ist es das Recht, ja die Pflicht jeden Lesers und jeder Generation
, den Zugang zu biblischen Texten auch im Lichte neuer Beobachtungen
zu suchen. Dabei ist die Gefahr einer Überbewertung
von Einzelbeobachtungen, auch des Eintragens eigener, vom Texte
nicht geforderter Deutungen nie ganz zu vermeiden. Vf. ist sich ihrer
bewußt, erliegt ihr aber häufig (S. 66: glaubst du, daß die paar Tage in
meinen Armen die gleichen Rechte, die mein Vater hat, gaben; S. 91
die Dirne in Gaza: sie war vielleicht als Dirne nicht besonders gut,
weil Simson sie so schnell verließ).

Diese Beispiele ließen sich vermehren; wichtiger als Einzelbeobachtungen
ist die grundsätzliche Frage, in welchem Umfang der Ex-
eget, wenn er sie schon nicht vermeiden kann, zu solchen Umakzen-
tuierungen, psychologisierenden Einträgen und Erweiterungen berechtigt
ist. Oder, wie weit der Ansatz gilt, daß biblische Texte das
sagen, worauf es ihnen ankommt, und was sie nicht sagen, ihnen auch
nicht wichtig ist. Die Gestalt Simsons steht im Rahmen der frühen
Geschichte Israels; sein Ergehen, so sonderbar und befremdlich es
sein mag, ist eine andere Seite des göttlichen Bewahrtwerdens. An
dieser Stelle stellt der Rez. wieder seine Übereinstimmung mit dem
Vf. fest. Aber eine stärkere Berücksichtigung dieses geschichtlichen
Rahmens hätte s. E. manches zum Verständnis der Geschichte aus
der Perspektive des Autors, und auch zur applicatio auf den Leser
heute beitragen können.

Bei aller Anerkennung der geleisteten Arbeit und des großen
Scharfsinnes, der für sie aufgeboten wurde, bleibt manchmal der Eindruck
eines exegetischen Pyrrhussieges.

Basel Hans Joachim Stoebe

Fohrer, Georg: Studien zu alttestamentlichen Texten und Themen
(1966-1972). Berlin-New York: de Gruyter 1981. IX, 212 S. gr. 8*
= Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft,
155. Lw. DM 84,-.

Der Society of Biblical Literature hat G. Fohrer die vorliegende
Sammlung von sechzehn Aufsätzen als Dank für die Verleihung der
Ehrenmitgliedschaft gewidmet. Die Arbeiten stammen größtenteils
aus internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften und aus Festschriften
, wurden aber sämtlich überarbeitet und ergänzt. An bisher
noch nicht veröffentlichten Abhandlungen sind zwei interessante
Studien über traditionell wenig beachtete, aber wichtige Themen altisraelitischer
Gesellschafts- und Lebensauffassung hinzugetreten:
„Die Familiengemeinschaft" und „Krankheit im Lichte des Alten
Testaments" (161-187).

K..-H. B.

Judaica

Bickerman, Elias: Studies in Jewish and Christian History, II. Leiden
: Brill 1980. VIII, 405 S., 2 Taf. gr. 8' = Arbeiten zur Geschichte
des antiken Judentums und des Urchristentums, IX. Lw. hfl 160.-.

Bot Band I der Sammlung von Aufsätzen B.s insbesondere solche
zum Bereich Septuaginta', so fügen sich die 16 Arbeiten in Band II -
mit dem Gesamtthema Judaica - unter mehreren spezielleren
Gesichtspunkten zusammen. Zur Frage der Echtheit vor allem bei Josephus
zitierter amtlicher Schriftstücke über der Judenschaft gewährte
Privilegien werden zunächst Maßstäbe gesetzt in «Une que-
stion d'authenticite: Les Privileges juifs» (S. 24-43)2. Eingehend
untersucht werden dazu «La Charte seleucide de Jerusalem»
(S. 44-85)3, d.i. Jos ant 12, 138-144, weiter «Une proclamation