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Ausgabe:

1982

Spalte:

423-424

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Utzschneider, Helmut

Titel/Untertitel:

Hosea, Prophet vor dem Ende 1982

Rezensent:

Wallis, Gerhard

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Seite 1

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423

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 6

424

ein willkommenes Korrektiv dar, dessen sich die Strukturalisten
nicht begeben sollten. Sie würden solcher teilweise recht gekünstelten
und ans Spekulative grenzenden Auslegung eher entraten können.
Halle (Saale) Gerhard Wallis

Utzschneider, Helmut: Hosea. Prophet vor dem Ende: Zum Verhältnis
von Geschichte und Tradition in der alttestamentlichen Pro-
phetie. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1980.255 S.,gr. 8' = Orbis Biblicus et Orientalis
31. Geb. sfr52.-.

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1979 von der
Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München als
Dissertation angenommen. Für den Typoskriptdruck wurden einige
Ergänzungen und Verbesserungen vorgenommen. Die Untersuchung
greift das in jüngster Vergangenheit mehrfach erörterte Problem auf,
ob nämlich die alttestamentlichen Propheten Inhaber eines Amtes
oder Vertreter einer Institution seien oder aber die großen, freien, unmittelbar
an den göttlichen Auftrag gebundenen Einzelgänger. Um
dieses Thema erfolgreich bearbeiten zu können, verschafft sich der
Autor nach einer ausführlichen Darstellung der bisherigen, meist
jedoch nur gelegentlichen Berührung dieser soziologischen Fragestellung
(S. 18—47), eine neue, seiner Meinung nach tragfähige Grundlage
für eine solche Darstellung. Er findet sie in den gesellschaftstheoretischen
Monographien von P. L. Berger, R. Berger und T. Luckmann
(s. S. 14, Anm. 2; Bibliographie S. 240), auf die hier jedoch nicht
näher eingegangen werden kann.

U. macht darauf aufmerksam, daß die Propheten des Alten Testaments
gemeinsame „typische" Merkmale aufweisen; diese Typik
wurde von den Zeitgenossen auch als solche erkannt, wenn auch
unterschiedlich gewertet. Dies spricht dafür, daß im Prophetentum
eine institutionale Erscheinung vor uns steht, deren Akteure die Propheten
gewesen sind. Schon die vielfache Verwendung des Plurals
„Propheten, rfbi'im" spricht für eine solche, die Zeiten überdauernde
, „diachrone" Erscheinung. Diese Institution ist nun wieder verflochten
in die anderen, mehr oder weniger verfassungsrechtlichen
Einrichtungen Israels, das Königtum, die Notablen, die Priesterschaft
und das Volk. Dabei ist zwischen dem Verfassungsanspruch und der
Verfassungswirklichkeit insofern zu unterscheiden, als im Laufe der
Zeit die traditionalen Einrichtungen unterschiedlich realisiert, Ideale
nie eigentlich verwirklicht werden konnten. So entwickelte und wandelte
sich die Institution bei gleichbleibendem Grundbestand mit den
Zeitläuften, sie war „diachron", ihrer jeweiligen Gegenwart indessen
„synchron", indem sie die der Zeit gemäßen Gestalten suchte und
fand.

Auf diesem Hintergrund werden einige Stücke des Hosea-Buches
besonders aufgearbeitet: Kap. 1-3 (S. 54-65), 8,1-14 (S. 105-110),
9,1-9 (S. 155-185), 10,1.8 (S. 110-119), 12,1-15 (S. 186-230), sowie
einzelne Stellen 1,4 (S. 69-80), 7,3-7 (S. 80-86). In allem hat der Prophet
Hosea die Zeitgeschichte der zweiten Hälfte des achten vorchristlichen
Jahrhunderts so verstanden und gedeutet, daß die „fortschreitende
Paralyse der Herrschaftsformen des Nordreiches, insbesondere
des Königtums" (S. 232), das Reich von innen und die Bedrohung
durch die „assyrische Hegemonie- und Annexionspolitik"
(ebd.) von außen her gefährdeten und damit das Ende heraufbeschworen
. Die verantwortlichen Institutionen Königtum, Richtertum, Prophetentum
, Volk haben es nicht vermocht, die „theokratische Ordnung
", wie sie der Prophet sah, zu erhalten und zu gewährleisten.
Allen diesen Strukturen ist der Prophet wohl eingebunden, ihnen
jedoch nicht subordiniert. Aus der „diachronen" Substanz heraus
mußten die Propheten der „synchronen" Situation gegenübertreten.

Recht kurz geht der Autor nur auf die Textgestalt ein, indem er
daraufhinweist, daß bei den Textbearbeitern und Kolporteuren auch
immer wieder das soziale Umfeld in Rechnung gesetzt werden muß.

Alles in allem sicher eine recht originelle Darbietung, die zwischen
der völligen institutionellen Bindung und der totalen Freiheit des

Prophetismus von Verfassungsordnungen einen neuen Einblick in die
unterschiedlichen Ausprägungen dieses Phänomens im Alten Testament
gewährt. Dabei ergeben sich eine ganze Reihe von guten und
diskussionswerten Einzelbeobachtungen, die hier freilich nicht im
einzelnen gewürdigt werden können. Sicher wird man nicht mit allem
so ganz einverstanden sein können. Aber darin liegt dann auch eine
methodische Problematik der gesamten Untersuchung. Der Autor
möchte grundsätzliche Fragen beantworten. Dennoch ist das gesamte
Buch auf den Propheten Hosea zugeschnitten. Es bleibt nicht aus, daß
U. immer wieder Querverbindungen zu anderen Prophetenbüchern
oder geschichtlichen Darstellungen zu ziehen sich genötigt sieht, die
Aussagen des Propheten Hosea aber zugleich stets in vereinseitigender
Raffung sehen muß. So kann man zeitweise die Bedeutung von
subtilen Erörterungen schwer erkennen. Dies ist nicht allein die
Schwäche einer Erstlingsarbeit, das ist in der Anlage und Zielstellung
begründet. Aufs Ganze aber ist U. Ideenreichtum und Fleiß zu bescheinigen
, was auch die umfangreiche Bibliographie (S. 239-252)
zeigt, von der allerdings relativ wenige Titel in den Fußnoten begegnen
. U. setzt sich im wesentlichen mit der einschlägigen Literatur
auseinander.

Ohne den Wert dieser Arbeit mindern zu wollen, sei noch auf
einige Mängel hingewiesen. Dem Band ist ein Zettel mit Berichtigungen
beigegeben, die die offensichtlich „sinnentstellenden Versehen"
anmerken sollen. Aber das Buch enthält noch eine Reihe weiterer
errata, die teilweise nicht weniger irreführend sind; dies gilt für den
deutschen wie den hebräischen und griechischen (S. 17) Text. Nun
mag dies mit dem Typoskriptverfahren begründet werden können,
das keinerlei Druckkorrekturen zuläßt. Andererseits ist es erfreulich,
daß eine Dissertation, die im Sommer 1979 vorgelegen hat, zu Ostern
1980 (Vorwort, S. 10) schon der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden kann. Aber dafür muß dann auch der Zoll an die Eile gezahlt
werden. Man wird da überlegen müssen, wie man das Verfahren
zukünftig besser gestaltet. Immerhin aber sei dem Vf. für seine lesenswerte
und anregende Arbeit gedankt.

Halle (Saale) Gerhard Wallis

Crenshaw, James L.: Samson. A secret betrayed, a vow ignored. London
: SPCK 1978. 173 S. 8'. Lw.£6.95.

Das Buch, Ertrag langer Beschäftigung mit der Simsongestalt (vgl.
The Samson Saga ZAW 1974), ist durch das Interesse des Vf. am Rätsel
(Riddle IDB Suppl. 1976), dem Verhältnis verschiedener Bezugsebenen
zueinander, motiviert. Nach einer Ubersetzung gibt eine Einleitung
(S. 15-26) Ziel und methodische Grundsätze an, wobei auch
auf den Symbolcharakter vorkommender Namen verwiesen wird
(z. B. Delilah - layelah - erotisches Motiv). Die Geschichte, selbst
kein Sonnen- oder Kulturmythus, übernimmt Züge aus beiden und
verbindet sie mit z. T. überhöhten geschichtlichen Ereignissen. Der
Gegenstand ist Simson, geistreich, mit Sinn für fair play, seine
Geburt, seine Erfolge als Held und als Liebhaber, die Schicksalswende
, Verlust Gottes und seiner Kraft, sein Ende. Die Aufnahme
unter die Richter ist das Werk des Deuteronomisten. .

Bibelwissenscdaft und Dichtung haben immer ihren Zugang zu dieser
Geschichte gesucht. Mit seiner Methode eines „Ästhetischen Kritizismus
" sucht Vf. sie aus der Perspektive ihres Erzählers zu verstehen
. Ist der Weg dazu auch weithin verbaut, wird doch versucht,
durch „imaginative Rekonstruktion" und durch den Vergleich verwandter
Motive in verschiedenen Zusammenhängen diesen Zugang
zu finden, und die Brücke vom Einst zum Jetzt zu schlagen.

Vier Geheimnisse, ihr Ineinander von Verborgenheit und Suchen
nach Aufklärung, sind zu bedenken. Der Engel gibt das Geheimnis
seiner Herkunft preis, Simson verrät die Lösung seines Rätsels und
das Wunder seiner charismatischen Begabung; selber wird er in Gaza
der Pläne seiner Gegner gewahr.

Die so entwickelten Gedanken und gesteckten Ziele werden dann
in vier Kapiteln entfaltet: Literarische und Stilistische Traditionen