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Ausgabe:

1982

Spalte:

392-393

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wolff, Gottfried

Titel/Untertitel:

Zeiten mit Gott 1982

Rezensent:

Heidrich, Peter

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

392

sondern verweist seine Leser auf die Notwendigkeit einer solchen ...
keine Praxis nach Vorschrift... weil es uns darum geht, daß der
Leser an seinem speziellen Arbeitsplatz Kirche aufgesucht wird ..."
(Kleemann 80- Band 1 soll dem „Praxisfeld Theorie" gewidmet sein;
seine Leser werden von Kleemann ironisch als jene bezeichnet, die
sich aufgrund von „solchen Gewohnheiten" theologische Begründung
und Autorisierung durch Zitate erhoffen und in der Theorie
„wohlfühlen" (9).

Der Inhalt des vorliegenden Bandes, den K. Wegenast eingeleitet
hat, ist grob nach den für alle Bände erarbeiteten Rastern A: Verkündigung
und Kommunikation, B: Bildung und Sozialisation, C:
Seelsorge und Diakonie, D: Leitung und Organisation gegliedert. Im
vorliegenden Band wird Abschnitt A mit „Formen persönlicher
Frömmigkeit" näher bestimmt. Er enthält u. a. Beiträge von
W. Neidhart („Gebet und Andacht"), T. Stählin („Ökumenische
Spiritualität"), R. Volp, M. Mezger und J. Henkys zum Verhältnis
von Kunst und religiöser Erfahrung. Zu „Gottesdienst, Feier und
Gespräch" schreiben K-H. Bieritz, W. Teichert und W. Döbrich/
W. Koeppen. Umgang mit Massenmedien, Volksreligiosität und religiösen
Sondergemeinschaften wird mit zwei Beiträgen behandelt,
bevor im Hauptabschnitt B, den P. C. Bloth verantwortet, religiöse
Bildung und Sozialisation ins Blickfeld gerückt werden. R. Tschirch,
B. Buschbeck, W. Neidhart und H. Ruhrberg liefern Beiträge. Ressort
C „Seelsorge und Diakonie" wird von H. Schröer organisiert und
eingeleitet. Das Stichwort „Selbsterfahrung" hat er auch selbst
geschrieben, „Hilfen zum Gespräch" liefert H. Lemke, A. Stein verhandelt
„Schuld-Vergebung-Beichte", K-B. Hasselmann schreibt
über „Nachbarschaft/Nachbarschaftshilfe", und A. Hollweg schildert
anschaulich, was er unter „Gruppendynamik" versteht. Abteilung
D „Leitung und Organisation (Autoritäten und Gruppe)" wird
von K.-F. Daiber redigiert und von F. W. Lindemann eingeleitet.
Man findet hier die Stichwörter „Elternhaus und Nachbarschaft
" (L.-L. Herkenrath), „Freunde" (H. Steinkamp), „Lehrer"
(D. Baacke), „Religiöse Gruppen und Subkulturen" (M. Schibilsky)
und „Spontangruppen" (R. Traitler).

Es ist unmöglich, hier die einzelnen Beiträge kritisch zu würdigen.
Sie sind - angesichts der Fülle von Themen und Autoren ist das auch
nicht verwunderlich - unterschiedlicher Qualität. Die Autoren
konnten ja bei der Abfassung auch nicht den Zusammenhang, in dem
ihr Beitrag erscheinen würde, überblicken oder sich gar damit identifizieren
. So ist ein Sammelsurium von verwirrender Mannigfaltigkeit
entstanden, das gleichzeitig imponiert und abschreckt. Eine Linie
ist schwer erkennbar. Der „pragmatisch-situative" Ansatz, durch den
die Herausgeber der Realität „tagtäglich gelebter Kirche" gerecht
werden möchten, läßt dies nicht zu. Allerdings wird man die von
Kleemann (7) aufgestellte Alternative von (ironisierten) „Höhen
historisch-systematischer Kategorien gegen die Niederungen kirchlicher
Praxis" und das Bleiben „auf dem Boden tagtäglich gelebter
Kirche" kaum teilen, auch wenn nicht zu bestreiten ist, daß im alltäglichen
akademischen Betrieb diese scheinbare Alternative durch
die häufige unsachgemäß-eifersüchtige Konkurrenz der theologischen
Disziplinen tatsächlich auftritt - zum Schaden der Sache, um
die es geht.

Was ist das für ein interessantes Buch, und wie soll man damit
arbeiten? „Die Wiederkehr von Themen . .. auf derselben Ebene,
aber unter wechselnden Zielen, ist... das verwirrende, jedoch kennzeichnende
Merkmal einer pragmatisch-situativen Einstellung" (9).
„Die Matrix [das Koordinatensystem von Handlungszielen und
Handlungsfeldern: D. St.] könnte auch wie eine Art Text gelesen
werden, in welchem aus vielen einzelnen Handlungsfaden eine Erzählung
der Praxis Jesu [Christi? D. St.] heute entsteht" (9). Um es
offen zu sagen: Mir ist das zu gewollt.

Wer sollen die Leser sein? Die Herausgeber sind offenbar nach dem
Motto verfahren: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen."
(Goethe). Wem also wird hier etwas gebracht? Studenten? Sie scheinen
mir etwas überfordert, schon mangels Erfahrung, aber auch angesichts
der pluralistischen Vielfalt, die didaktisch - trotz anschaulicher
Beispiele und Fallberichte - nicht immer genügend aufbereitet ist.
Pfarrer? Sie lesen sowieso wenig, und dann gewiß nicht dieses umfassende
Werk unterschiedlichster Couleur. Hochschullehrer? Sie sind
auf dieses Handbuch nicht angewiesen, werden es aber dennoch als
eine Art umfassender Momentaufnahme der Situation in ihrem Fach
begrüßen und jedenfalls nolens volens anschaffen, berücksichtigen
und zitieren. Nichttheologen? Religionslehrer lesen Unterrichtshilfen
, aber kaum religionspädagogische Grundsatzerwägungen, von
aktuellen Zeitschriftenartikeln einmal abgesehen. Kirchenvorsteher
interessieren sich für Haushaltspläne und Lokalpolitik, praktische
Frömmigkeit, die mehr oder weniger vorhandene Orthodoxie ihrer
Pfarrer usw., kaum aber für ein HPTh. Lektoren und Prädikanten
lesen Gemeindeblätter, vielleicht noch die „Evangelischen Kommentare
" und die regelmäßig erscheinenden Predigthilfen bzw. -vorlagen
für Lesegottesdienste ihrer Landeskirche. Kantoren? Wenn's hochkommt
, werden sie im Buchladen M. Mezger zu „Musik als Ausdruck
religiöser Erfahrung und Gemeinschaft" (96 ff) nachschlagen
und das Handbuch vermutlich nicht kaufen. Bibliothekare? Sie
werden dieses Buch natürlich als Standardwerk anschaffen, gewissenhaft
katalogisieren, gelegentlich zum Fotokopieren einzelner Artikel
ausleihen und vielleicht schon bald in die historische Unterabteilung
der Disziplin überführen können.

Zusammenfassen läßt sich ein erster ambivalenter Eindruck mit
K Wegenast (30): „Weil noch vieles im Fluß ist, vieles noch in einem
Status nascendi oder aber in einem Prozeß des Absterbens, ergeben
die Beiträge des Bandes nicht immer ein einheitliches Bild, aber doch
einen Eindruck von dem, was ist, und von dem, was möglicherweise
werden könnte oder müßte."

Marburg Dietrich Stollberg

Wolff, Gottfried: Zeiten mit Gott. Evangelische Exerzitien. Stuttgart:
Calwer 1980. 147 S. 8° = Calwer Theologische Monographien.,
Reihe C: Prakt. Theol. u. Missionswissenschaft, 6. Kart. DM 19,-.

Das Buch ist die überarbeitete Fassung einer Leipziger Dissertation
. Die Thematik evangelischer Exerzitien ist im Rahmen akademischer
Theologie noch nicht geläufig, aus praktischem Bedürfnis
sind manche Programmschriften dazu entstanden! Unter den Erfahrungsberichten
wären Arbeiten von J. Rötting und R. Deichgräber/O.
Hanssen heranzuziehen gewesen.

Auch das vorliegende Buch ist zum größten Teil Erfahrungsbericht
, zumal aus verschiedenen Kirchen. Die konfessionelle Problematik
ist dabei ausgeklammert worden. Am meisten berücksichtigt
wurde die Anglikanische Kirche mit ihrer Retreat-Bewegung.
Wer noch nie Exerzitien erlebt hat, wird hier bis in viele Einzelheiten
informiert werden. Exerzitienhäuser in England, aber auch in Frankreich
, Skandinavien werden mit ihrem Programm und ihrer Methode
vorgestellt. Das alles ist instruktiv. Der Überblick über Retraitenangebote
in der DDR und in der BRD bleibt unvollständig, da gerade
über solche Versuche nicht immer ein literarischer Nachweis geführt
wird.

Kriterien für die Eignung eines Exerzitienleiters wünscht man sich
ausführlich erörtert, die Bemerkung, der Leiter müsse über die Probleme
schweigender Tage Bescheid wissen, ist recht knapp. Happichs
bildhaften Stufen steht Vf. skeptisch gegenüber, eigenartiger Weise
nicht dem Happich-Schüler Ritter (Happich war übrigens Internist);
skandinavischen Methoden wird hingegen ihre Bildhaftigkeit nachgerühmt
, auch viele Themen der addresses sind bildhaft. Die Kriterien
für die Bewertung anderer Wege sind nicht immer einsichtig: ist
Einfachheit und Natürlichkeit ein Argument für die Christlichkeit, so
wäre dem Zazen gegenüber eine Ablehnung zu erwarten, die aber
unter Verweis auf Lassalle nicht erfolgt. Aus einem Buchtitel allein
die Legitimation für evang. Mystik abzuleiten, wird nicht jeden überzeugen
. Psychohygienische Gesichtspunkte mögen für Retraiten eine