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Ausgabe:

1982

Spalte:

383-385

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stickelberger, Hans

Titel/Untertitel:

Ipsa assumptione creatur 1982

Rezensent:

Link, Christian

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383

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

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logische Interesse der reformatorischen Vernunftkritik weithin gewahrt
. Allerdings verbleibt Gogarten nach Meinung des Vf. im
Banne eines idealistischen Denkansatzes, der sich in einer trans-
zendentalistischen Verengung des reformatorischen Personbegriffs
auswirkt (2660- Außerdem läßt er sich zur Absicherung des Rechtfertigungsgeschehens
dazu verleiten, eine inhaltliche Bestimmtheit
des weltlichen Handelns durch den Glauben und damit eine christliche
Ethik zu verneinen, während Luther durchaus zwischen dem
Evangelium und dem civilis usus legis ein kritisches und positives
Verhältnis sieht.

Zur Mühlen hegt die Überzeugung, daß die reformatorische Konzeption
des Zusammenhangs von Person, Werk und Vernunft, befreit
von dieser verkürzenden Interpretation samt ihrer Vor- und Seitenformen
, gerade für den neuzeitlichen Problemdruck ihre Leistungskraft
zu entfalten vermag. Allerdings reduziert der Vf. die komplexen
Sachverhalte auf bestimmte theologisch-dogmatische Grundeinsichten
und Formeln und verdeckt damit bei gleichzeitiger Ausklammerung
der vielschichtigen kirchengeschichtlichen Geschehensabläufe
mit ihren kulturell-soziologischen Folgeerscheinungen im Ergebnis
doch die erheblichen, ansonsten durchaus wahrgenommenen
Schwierigkeiten, die einer weithin unvermittelten Beziehung des reformatorischen
auf das neuzeitliche Denken entgegenstehen. Die
Probleme dieser Vermittlung, an denen sich Troeltsch abgearbeitet
hatte, kommen nur ansatzweise und am Rande zur Sprache. Das gegen
Holls Lutherrezeption vorgebrachte Bedenken kehrt sich so am
Ende auch gegen des Vf. eigene Arbeit. „Man wird nicht so unmittelbar
. . . die reformatorische Theologie als Antwort auf unsere
Fragen in Anspruch nehmen können" (201). Gilt dieser Einwand
mehr der systematischen Perspektive der vorgelegten Untersuchung,
so sichern die vorzüglichen theologiegeschichtlichen Analysen dieser
anregenden, gelehrten und klar geschriebenen Monographie ihren besonderen
Rang.

Hamburg Hermann Fischer

Systematische Theologie: Dogmatik

Stickelberger, Hans: Ipsa assumptione creatur. Karl Barths Rückgriff
auf die klassische Christologie und die Frage nach der Selbständigkeit
des Menschen. Bern-Frankfurt/M.-Las Vegas: Lang 1979.
245 S. 8' = Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen
Theologie, 38. Kart, sfr 54.-.

Es gibt eine Blindheit hinsichtlich der Erkenntnis von Wirklichkeit
, die jeder Wissenschaft verziehen werden kann, nur nicht der
Theologie, sofern sie mit ihrem Anspruch glaubhaft bleiben will, die
in Christus erschienene „neue" Wirklichkeit auszulegen und damit
die uns wohlbekannte als „alt" prädizieren zu müssen. Solcher Blindheit
erliegt die hier anzuzeigende Arbeit keinen Augenblick.
Vielmehr schärft sie das theologische Wahrnehmungsvermögen - in
auffallendem Gegensatz zu einer Sehschwäche, die auf dem von ihr
beackerten Feld der Anthropologie chronisch zu werden droht -
heilsam, indem sie gerade hier den Unterschied von „alt" und „neu"
als einen notwendigen Unterschied unnachgiebig geltend macht. Sie
begründet ihn, vom Zentrum theologisch geforderter Rechenschaft -
der Christologie - ausgehend, als Unterschied von Gott und Mensch,
Gott und Welt. Daß eine dogmatische Studie, die in ihrer Theoriebildung
strengste Maßstäbe an sich legt, unmittelbar zur Praxis reden
kann und muß, bestätigt sich dabei auf selten glückliche Weise.

„Ipsa assumptione creatur" lautet die von Augustin und Leo d. Gr.
geprägte Formel, die das Geheimnis der Menschheit Christi auf seinen
knappsten und zugleich präzisesten Ausdruck bringt: in und
durch die Annahme des göttlichen Logos wird sie als Geschöpf, als
Nicht-Göttliches, wirklich, gewinnt sie ihre kreatürliche Selbständigkeit
. Gilt die Menschwerdung Gottes als Grund und Maß unserer

eigenen Menschlichkeit, dann wird eine Anthropologie - das ist die
These des Buches, die Stickelberger in ständigem, durchaus kritischem
Gespräch mit Karl Barth entfaltet - hier ihre theologischen
Fundamente aufsuchen und ausweisen müssen. So wird die gewiß
schwierige Lehre von der An- und Enhypostasie, die in der überlieferten
Christologie eine zwar notwendige, theologisch aber „recht
unfruchtbare Anmerkung" blieb, zum Schlüssel, der den Weg in eine
„zukünftige Anthropologie" und ineins damit den Horizont eines
neuen, extrem formuliert: eines „expropriierten Menschen" zu öffnen
verspricht. Dies gegenüber den Entwürfen neuzeitlicher, „in sich
verschlossener" Humanität unter Beweis zu stellen, ist das unausgesprochene
Ziel der Arbeit.

Ansatz und Gliederungsprinzip läßt sich Stickelberger durch die
Formel des Chalzedonense, vere dem - vere homo, geben. Er interpretiert
sie, Barths Entscheidung folgend, nicht als Resultat der Vereinigung
von Getrenntem (einer „an sich" schon vorhandenen göttlichen
und menschlichen „Natur"), sondern als Folge des im Neuen
Testament bezeugten Anfangs, der in Christus verwirklichten gottmenschlichen
Einheil (unio hypostatica), die das Fragen nach dem
Wesen Gottes und des Menschen allererst in Bewegung setzt: Wir
können von Gott nur reden, „indem wir vom Menschen reden", wir
können aber „ebensosehr vom Menschen nur reden .. ., indem wir
von Gott reden" (205). Das Gefälle der Arbeit bestimmt der zweite
Gedanke: die Bewegung vom vere deus zum vere homo.

Beide Teile folgen formal dem gleichen Aufbauschema: Dogmengeschichtlicher
Einstieg (A), Interpretation und (sehr eigenständige)
Weiterführung des Barthschen „Rückgriffs" auf die klassische Christologie
. Inhaltlich erläutern sie einander wechselseitig: Der „wahre"
Gott (I) wird im Spiegel des gekreuzigten Menschen, der „wahre"
Mensch (II) wird im Spiegel des göttlichen Logos als der „ekzen-
trisch" existierende sichtbar. Wird hier eine „mythologische" Christologie
, die den Menschen Jesus einem bereits vorhandenen Gott
anzugleichen versucht, abgewiesen, so dort das moderne Bild des
autonomen Menschen ausdrücklich entmythologisiert. Nur in dieser
komplementären Bewegung ist die „Frage nach der Selbständigkeit
des Menschen" - die christologische Frage nach dem ößoouawt;
Ufiiv - theologisch zureichend, nämlich als Frage nach dem „Gott
entsprechenden Menschen" (Jüngel) zu beantworten.

Der systematische Ertrag der Arbeit läßt sich unmöglich in der
Form von Thesen präsentieren, lebt er doch entscheidend von der
konsequent durchgeführten Bewegung des dogmatischen Gedankens.
Daß hier die Weichenstellungen der .Kirchlichen Dogmatik' in ihrer
Tragweite für die Ausarbeitung eines theologischen Begriffs von
„Welt" und „Mensch" scharf ins Licht gerückt und von dem offenbar
unausrottbaren Vorurteil der ,Geschichtslosigkeit' und .Wirklichkeitsferne
' befreit werden, wird die Barth-Forschung dankbar anzuerkennen
haben. Es ist insbesondere die Erklärung der humanitus
Christi als „Potentialität", als „konkrete Möglichkeit der Existenz
eines Menschen", die Stickelberger aufgreift und zu der These verschärft
, daß die Inkarnation einen fundamental neuen Entwurf des
Menschen an den Tag bringt, der sich nicht schon in das Konzept
einer vorhandenen Anthropologie einordnen läßt. „Wir hoffen,
. . . auf einen Begriff von Humanität zu stoßen, der die Wirklichkeit
aller bisherigen Humanität in Frage stellt. Wir halten ... die im
Logos enhypostasierte menschliche Natur Jesu Christi für die allein
mögliche und somit weltliche, kurz: für die vom Schöpfer gewollte
und zu sich selbst gekommene Humanität" (1340- Tritt damit Christus
aus dem Schatten eines bloßen Rollenträgers heraus, der etwas
Allgemeines, auch ohne ihn grundsätzlich Bekanntes - die „natura
hominis" - lediglich zur Darstellung gebracht hat, so interpretiert
diese These auf Seiten des Menschen zugleich den authentischen
Sinn, den das Wort „Eksistenz" ursprünglich meint: daß wir nämlich
aus uns selbst heraustreten, unsere „Kreaturgrenzc überschreiten"
(179) müssen, um unser spezifisch menschliches Dasein als ein
„mündiges", geschichtlich „selbständiges" Dasein verstehen und
leben zu können. Der Mensch kommt von außen zu sich.