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Ausgabe:

1982

Spalte:

375-376

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Crumbach, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Theologie in kritischer Öffentlichkeit 1982

Rezensent:

Haufe, Christoph Michael

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375

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

376

die reichlich vorhandene protestantische Predigtliteratur nur unter
dem Gesichtspunkt von Bibelstellen und Gesangbuchversen und allenfalls
anderen zitierten Autoren erschließen? Oder müssen hier
nicht auch methodische Durchforstungen stattfinden, die die Auswertung
alter Predigten für die praktische Theologie fruchtbar
machen: Situationsbezüge, Gleichnisse, Bildhaftigkeit der Rede, Beispiele
außerhalb der Bibel, theologische Topoi bis hin zu semantischen
Kernfragen? Ich fürchte, daß ohne ein besseres Instrumentarium
die Wiedergabe der Predigtliteratur nutzlos bleibt.

Aber das sind freilich Forderungen, die den Herausgebern nicht anzulasten
sind, sondern allgemeiner Art sind. Innerhalb der Grenzen
einer historisch aufgearbeiteten Ausgabe gibt es aber doch auch entscheidende
Lücken. Die auffällige Tatsache, daß bei der 12. Rede die
Ansprache des Berliner Oberkonsistorialrates J. J. Hecker mitabgedruckt
wird (wie auch in den Geistlichen Brosamen), ist weder durch
die Einleitung Xlf noch durch 233 Anm. 5 ausreichend deutlich geworden
. W. Krafft wußte vor 100 Jahren in der RE 2. Aufl. schon
mehr darüber zu sagen: Heckers Entsendung nach Mühlheim war
eine Aufsichtsreise zur Überprüfung. Die daraus entstehende „Erklärung
über einige Punkte von dem Glauben, von der Rechtfertigung
, dem geschriebenen Wort Gottes usw." von Tersteegen
hätte hier wenigstens mit herangezogen werden müssen.

Potsdam Peter Schicketanz

Crumbach, Karl-Heinz: Theologie in kritischer Öffentlichkeit. Die

Frage Kants an das kirchliche Christentum. München: Kaiser;
Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1977. 108 S. 8" = Gesellschaft
und Theologie. Abt.: Systematische Beiträge, 21. DM 15,80.

Vf. untersucht den geschichtlichen Vorgang, „in dem vernünftiges
Denken durch die kritische Distanz zum Offenbarungsglauben sowie
zum gesellschaftlichen Erscheinungsbild des kirchlichen Christentums
seiner selbst bewußt wird" (8). Er sieht ihn in Kants denkerischer
Leistung und in deren Zusammentreffen mit der zum Schutze
des kirchlichen Offenbarungsglaubens staatlicherseits verordneten
Zensur gegeben und noch als „bis heute keineswegs gelöst" (9) an.

In einer minutiösen sowohl aus den Quellen gearbeiteten wie aus
der neueren, auch französischsprachigen, Literatur gewonnenen Darstellung
wird der Leser mit dem „ersten Kulturkampf in Preußen um
Kirche und Schule 1788-1798" vertraut gemacht (11 ff). Das Wöll-
nersche Religionsedikt von 1788 und das darauf folgende Zensuredikt
trafen auch Kant: die Druckerlaubnis für eine für die Berlinische Monatsschrift
geplante Abhandlung wurde vom Zensor 1792 verweigert.

Kant erkennt darin eine unzulässige Anwendung von Gewalt zum
Schutze eines kirchlichen Christentums, das sich der Forderung des
Gewissens nach öffentlicher Prüfung durch die Vernunft zu entziehen
sucht und durch die Benutzung öffentlicher Zwangsmittel eben Gewissenszwang
ausübt. Dadurch ist die Aufrichtigkeit in Glaubenssachen
gefährdet (24). Kant fordert Freiheit dafür, den eigenen Zweifel
nicht länger zu unterdrücken, sondern sich einzugestehen und ihn
freimütig zur Sprache bringen zu können: das ist ihm mündiger
Glaube.

Das freimütige Zur-Sprache-Bringen bedarf der Öffentlichkeit.
„Aufrichtigkeit des Glaubens ist nur gegeben in der Freimütigkeit des
eigenen Vernunftgebrauchs, der nur als öffentlicher er selber ist"
(28). Darum ist die öffentliche Kritik unaufgebbar. Bürgerlicher
Zwang, der die öffentliche Diskussion verhindert, führt zu Heuchelei.
Es bedarf einer neuen kritischen Öffentlichkeit, herausgebildet „im
Mut derer, die um der Aufrichtigkeit ihres Glaubens willen ihre
Gedanken und Zweifel öffentlich zu verantworten bereit sind" (33).

In einem zweiten Arbeitsgang zeigt Vf., wie es Kant für unerlaubt
hält, die Spannung zwischen dem befohlenen Kirchenglauben und
dem mündigen Glauben säuberlich aufzuteilen in einen Bereich, für
den der sog. Bibeltheologe, und einen zweiten, für den der Gelehrte
mit einer philosophischen Theologie zuständig wären. Auch der

„Bibeltheologe" kann der Philosophie nicht entraten. In der Regel
bedient er sich ihrer freilich nur selektiv, soweit sie ihm zur Stützung
seines Lehrgebäudes nützlich erscheint. Dabei entzieht er sich der
Radikalität ihrer Fragen und wird selber undurchschaubar. Dies aber
verstößt gegen die Moral. Vf. stellt fest, daß Kant durch das Unternehmen
einer freien und öffentlichen Prüfung der Lehren und Institutionen
des kirchlichen Christentums seiner Zeit die elementare Moral
des Denkens zu sichern suchte - nämlich die Aufrichtigkeit und den
Mut zur eigenen Untersuchung im Bereich einer kritischen Öffentlichkeit
. Entscheidend dabei ist das Vermeiden von Gewaltanwendung
. Nur so eröffnet sich, was die elementare Moral des Denkens
fordert: die freie und vernünftige Zustimmung zu den Lehren und
Institutionen des kirchlichen Christentums.

Vf. hat den historischen Ort Kants zutreffend beschrieben als den
Kampf des aufgeklärten Bürgers gegen andere Bürger, die sich mit
den Mitteln äußerer Gewalt in Sachen Religion zu seinen Vormündern
aufwerfen. Es geht also um die Gewissensfreiheit in einem
staatsbürgerlichen Zwangskirchentum. Für Vf. weisen Kants Erkenntnisse
aber auch über das Ende des Staatskirchentums hinaus in
unsere Zeit hinein. Noch immer müsse man von einer unbefriedigten
Aufklärung reden, sofern das Selbstverständnis von Kirche und
Theologie gegenüber der modernen Welt als des fortdauernden Zeitalters
der Kritik ungeklärt geblieben sei. Um der elementaren Moral
des Denkens willen müsse der öffentliche Prozeß von Kirchenglauben
und kritischem Denken offen gehalten werden. Die Selbstab-
schließung einer sog. Bibeltheologie intra muros habe keine echte
Zukunft mehr im Feld der öffentlichen Prüfung, das immer mehr an
Boden gewinne.

Pönitz bei Leipzig Christoph Michael Haufe

Grab, Wilhelm: Humanität und Christentumsgeschichte. Eine Untersuchung
zum Geschichtsbegriff im Spätwerk Schleiermachers.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980. 221 S. gr. 8' =
Göttinger Theologische Arbeiten, 14. Kart. DM 35,-.

Die Göttinger Dissertation (1979) versucht eine Bestimmung des
Verhältnisses von Humanum und Christianum in der Weise zu
geben, „daß sie nach den spezifischen Bedingungen fragt, unter die es
im Kontext des Schleiermacherschen Denkens zu stehen kommt" (6).
Die Untersuchung ist insofern von vornherein in verschiedener Hinsicht
interessant, als hier ein Schüler von H.-W. Schütte durch Anregungen
von W. Trillhaas und dessen Aktualitätsvermittlung der
Theologie Schleiermachers die besonderen Überschneidungen von
Humanität und Christentumsgeschichte, von religiösem und geschichtlichem
Leben, von Verfehlen und Erfüllen der menschlichen
Geschichte, von Theologie und Humanwissenschaften am Beispiel
Schleiermachers zu erfassen sucht.

Nach Vorwort und Einleitung legt Gräb drei Teile vor: [, behandelt
das „anthropologische Konstruktionsprinzip der philosophischen
Ethik und die Strukturtheorie der Geschichte" (11-62) mit Darstellungen
der Geschichtsthematik im Programm der philosophischen
Ethik, wobei deren anthropologische Grundlegung erörtert,
die formale Struktur ethischen Wissens vorgeführt und dadurch der
Aufbau der Schleiermacherschen Wissenssystematik deutlich
gemacht wird, ferner kommen der „Aufbau der Kultursysteme und
der Begriff einer Strukturtheorie der Geschichte", auch die Grenzen
der Wissenstheorie, deren Folgen für die Durchführung der Geschichtsthematik
und natürlich der Geschichtsbegriff der verwendeten
„Wissenskonstruktion" zur Darstellung. In II. stehen die
„geschichtliche Selbstauslegung des christlichen Bewußtseins und die
christologische Verlaufstheorie der Geschichte" (63-155) an, bei der
Gräb H. Süskind, der über H. Mulerts Vorstellungen zu „geschichts-
philosophischen Ansichten" Schleiermachers für dessen Theologie
hinausging, zurechtrückt, und verfolgt beides wieder „im Kontext des
Schleiermacherschen Theologiebegriffs" (63 ff). Gräb greift das Er-