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Ausgabe:

1982

Spalte:

373-375

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Tersteegen, Gerhard

Titel/Untertitel:

Geistliche Reden 1982

Rezensent:

Schicketanz, Peter

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

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Unterschiede in Ton, Beweisführung und inhaltlichen Aussagen.
Deutlich wird das Eintreten für die Kindertaufe, den Eid und die
„Schwertgewalt" der Obrigkeit wie überhaupt für den möglichen
christlichen Charakter des Staates. Es wird ersichtlich, daß die beiden
Schweizer Reformatoren auf diese Weise zentrale theologische Anliegen
erhärteten, doch wird Kritik dort laut, wo sie die Wiedertäufer
durch unzutreffende Unterstellungen zu desavouieren suchten. Der
7. Beitrag legt ebenso minutiös, Artikel für Artikel detailliert auf
seinen Inhalt prüfend, den Gehalt und die Besonderheiten des von
Myconius 1532 entworfenen 1. Baseler Bekenntnisses dar, das Mühlhausen
sich Anfang 1537 im wesentlichen zu eigen machte. An manchen
Stellen, so in der Abendmahlslehre und dem Kampf gegen die
Taufgesinnten, tritt sein reformierter Grundcharakter hervor, doch
nennt St. als die Eigenarten dieses Bekenntnisses das Fehlen konfessioneller
, antirömischer Schärfe, die betont biblische und altkirchliche
Grundlage, die Beschränkung auf das Wesentliche und die Meidung
von Schulterminologie und nutzlosen Spitzfindigkeiten.

Der 8. Aufsatz zeigt auf, was alles Straßburg durch Calvins Vermittlung
in die französische Reformation einbrachte, u. zw. mittels
der französischen Straßburger Gemeinde wie mittels der Genfer Kirche
: Psalter, Katechismus, Exkommunikation, Vier-Ämter-Lehre
und Akademien. Sehr eindrucksvoll sind auch die folgenden, der
Theologie Calvins gewidmeten Beiträge, die vor allem aus der Analyse
seiner Predigten wertvolle neue Einsichten über seine Theologie
erbringen. So erweist der 9. Aufsatz über Calvins Homiletik, daß
dieser die Predigt als Repräsentation Christi, ja als Theophanie versteht
, woraus dem Prediger als Gottes Boten eine große, als Befehlsgewalt
verstandene Autorität erwächst. Calvin plädierte für eine dem
Text treu bleibende Vergegenwärtigung besonders im Sinne des Aufweises
seiner praktischen Relevanz für das Glaubensleben mit starker
Unterstreichung seiner Bedeutung für die christliche Lebensführung.
Daß die vom Prediger gesäte Saat aufgeht, bleibt trotzdem das
Wunder der Wirkkraft des Hl. Geistes in seiner dem Prediger unverfügbaren
Souveränität. Der 10. Aufsatz legt dar, daß Calvin in seinen
Predigten von sich selbst als Individuum wie als Glaubender überhaupt
in einem vierfachen Sinne gesprochen habe: vor allem prophetisch
als Ausdruck seiner Beauftragung durch Gott und polemisch als
Begründung der Härte seiner Kirchenpolitik in Genf gegen seine
vielerlei Kritiker, daneben gelegentlich autobiographisch und „mystisch
", d. h. persönlich Sünden- und Gnadenerfahrungen ventilierend
. Der 11. Aufsatz beschäftigt sich mit einigen ungewöhnlichen
Aspekten der Theologie des 1. Artikels, die in Calvins Predigten
eine wesentlich größere Rolle als in der Institutio gespielt habe.
Dabei polemisiert St. gegen das einseitig christozentrische Verständnis
Calvins seitens der barthianischen Calvin-Forschung. Interessante
Lichter fallen auf die Betonung der aecomodatio, der Unmöglichkeit,
Gottes Macht und Präsenz einzuschließen und damit zu begrenzen,
sowie die Bindung seiner Macht und Gerechtigkeit an seine Weisheit
und Güte. Der 12. Aufsatz schließlich belegt anhand einer Baudoin
zugeschriebenen, aber in Wahrheit von Cassander für das Kolloquium
von Poissy (1561) verfaßten kleinen Schrift die in der 2. Hälfte
des 16. Jh. unüberbrückbar gewordene Kluft zwischen dem Reformhumanismus
mit seinen irenischen Ausgleichsversuchen und der auf
eindeutige Trennung von der römischen Kirche bedachten Position
Calvins.

Rostock Gert Wendelborn

Tersteegen, Gerhard: Geistliche Reden, hrsg. v. A. Löschhorn u.
W. Zeller. XXI, 666 S. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1979.
gr. 8° = Texte zur Geschichte des Pietismus. Abt. V: Gerhard
Tersteegen Werke, 1 Lw. DM 150,-.

M.Schmidt schrieb 1962 im RGG-Artikel Tersteegen: „Ges.
Schriften I—VIII, 1844-46 (Neuausg. dringend!)", zumal die Ausgabe
Fragment blieb. Nun liegt ein erster wichtiger Band vor. Wenn Tersteegen
„der größte, theologisch tiefste, gedanklich reichste ev.
Mystiker" ist (RGG VI, Sp. 697) dann wird man neben der bleibenden
Bedeutung des Liederdichters auch zu seinen geistlichen Schriften
greifen müssen.

Bisher sind die Geistlichen Reden unter dem bescheideneren Titel
„Geistliche Brosamen von des Herrn Tisch gefallen, von guten
Freunden aufgelesen und hungrigen Hertzen mitgetheilt" bekannt. Es
ist mir die Frage, ob man diesen Titel nicht auch hier hätte beibehalten
sollen. Tersteegen ist kein Theologe, sondern von Hause aus
Kaufmann, der sich dann als Bandwirker mehrere Jahre zurückzog,
bis er seine Tätigkeit in alternativen bruderschaftlichen Lebensformen
in Otterbeck fand. In dieser Zeit von 1727-1740 hat er bereits
in Privatversammlungen gepredigt. Davon gibt es keine Uberlieferungen
. 1740-50 beugte er sich dem Konventikelverbot der
pfälzischen Regierung. Die geistlichen Brosamen entstanden in den
Jahren 1751-1756. Alle 33 Reden sind bisher bereits veröffentlicht
gewesen (30 in den nach seinem Tod herausgegebenen Brosamen). Sie
sind nunmehr in den von der Historischen Kommission zur Erforschung
des Pietismus verantworteten Reihe „Texte zur Geschichte
des Pietismus" abgedruckt.

Die Reden einschließlich der fast immer mehrere Seiten umfassenden
Anfangs- und Schlußgebete sind durchschnittlich
20-25 Seiten lang. Sie sind pietistische Predigt eines Nichttheologen,
dessen Herzensfrömmigkeit die Hörer erwecken und einladen will,
die Botschaft der Bibel in ihr Herz hineinzulassen und sich selbst dem
Herrn zu übergeben. Sie enthalten keine Polemik, keine Spitzensätze
oder geschliffene Formulierungen. Es ist eine aus der Bibel und Gesangbuch
durchtränkte Sprache, die den Herzschlag des Glaubens
ständig hörbar macht.

Viele auswärtige Freunde - Tersteegen hatte einen ausgedehnten
seelsorgerlichen Briefwechsel geführt - kamen, um ihn zu hören. Die
Reden wurden von mehreren Leuten in einem angrenzenden Raum
mitgeschrieben. Tersteegen selbst hat sie nicht redigiert.

Die Herausgabe der Werke Tersteegens stand unter mancherlei
Schwierigkeiten. Der Mitherausgeber Albert Löschhorn verstarb
1976. Sein Sohn hat die Fertigstellung des Manuskriptes übernommen
. Trotz dieser vorliegenden Schwierigkeiten muß der Rez. an die
Form der Herausgabe der geistlichen Reden kritische Fragen stellen.
Die Frage, ob es von Tersteegen handschriftliche Nachlässe gibt, wird
überhaupt nicht gestellt.

Die sechsseitige Einleitung ist enttäuschend kurz. Die chronologische
Einordnung der Reden hätte es erforderlich gemacht, etwas
mehr über Tersteegens Lebensumstände in diesen fünf Jahren zu erfahren
, denn so situationslos die Predigten auch anmuten, die psychische
Situation des Predigers, sein eigener Sitz im Leben, würde die
Interpretation erleichtern. Der textkritische Apparat beschränkt sich
zumeist auf den Nachweis der nicht ausdrücklich angegebenen Bibelstellen
und der direkt oder indirekt zitierten Gesangbuchverse, wobei
natürlich nicht alle Assoziationen notiert werden können. Nachgewiesen
wird schließlich, welche Bibelübersetzungen Tersteegen benutzt
hat, welche auf S. XXI aufgeführt werden. (Dabei sind zwei
verschiedene Bibelübersetzungen aus den Niederlanden einmal abgekürzt
als „holländ. Bibel" und als „holländische Bibel" unterschieden
!)

Es fehlt bereits ein Bibelstellenverzeichnis der Predigttexte, obwohl
man hier das Inhaltsverzeichnis schnell überblicken kann. Aber
Bibelstellen, die nicht bloß nebenher zitiert werden, hätte man gern
ausgewiesen gesehen. Vor allem fehlt ein Sachregister. Gerade die
Länge der Predigten macht es unmöglich, dieses Buch als Nachschlagewerk
zu benutzen. Die geistlichen Erkenntnisschätze bleiben so leider
verborgen.

Die Textgestaltung selbst ist behutsam. Sie behält den alten Wortbestand
bei und unternimmt nur in der Interpunktion und in der
Groß- und Kleinschreibung Verständnishilfen.

Schließlich erheben sich darüberhinaus Anfragen an wissenschaftlich
edierte Textausgaben von Predigten überhaupt! Läßt sich