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Ausgabe:

1982

Spalte:

372-373

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Stauffer, Richard

Titel/Untertitel:

Interprètes de la bible 1982

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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371

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

372

Brown. St. Bonaventure, N. Y.: St. Bonaventure University,
Franciscan Institute 1978. 32*, 567 S. 4° = Guillelmus de Ockham:
Opera philosophica et theologica. Opera philosophica, II.

1496 brachte Markus von Benevent in Bologna den Sammelband
„Expositio Aurea et admodum utilis super Aitern Veterem, edita per
Venerabilem Inceptorem Guilielmum de Occham, cum quaestioni-
bus Alberti Parvi de Saxonia" heraus. Die vier Werke Ockhams, die
dieses Buch enthielt, vereinigt der vorliegende Band. Leider hat man
aus Streben nach Vollständigkeit nicht auf den Titel „Expositio
aurea" zurückgegriffen, so daß die zukünftige Zitierung dieses Bandes
hohe Anforderungen an die Geduld eines jeden Benutzers stellt.
Dieser Wille zur umfassenden Information im Titel ist aber auch bei
anderen Ausgaben spätmittelalterlicher Werke feststellbar. Die
Herausgeber sollten allgemein Lösungen suchen, die barocke Titelgestaltung
vermeiden.

Der zweite Band der philosophischen Werke Ockhams folgt zwar
in seinem Inhalt der „Expositio aurea", jedoch keineswegs in seiner
Textgestaltung. Der Wortlaut wird vielmehr aus der handschriftlichen
Überlieferung erarbeitet. Dabei konnten zwei wichtige Veröffentlichungen
verwendet werden, nämlich eine Ausgabe des ersten
Teiles dieses Werkes, die Moody 1965 herausbrachte, und eine des
letzten Teiles, die Boehner 1945 herausgab. Beide Arbeiten veröffentlichte
bereits The Franciscan Institute in St. Bonaventura. Der
Text von Moody wurde von Gäl und Brown überprüft und an etwa
40 Stellen mit Zustimmung des Erstherausgebers geändert. Einige
weitere Änderungsvorschläge kamen in den Apparat, da Moody inzwischen
starb. Den Text von Boehner unterzog Brown einer neuen
Bearbeitung, in die er auch eine weitere Handschrift einbeziehen
konnte. Er legte aber wie Boehner eine Baseler Handschrift zugrunde,
so daß der Text nur wenige Veränderungen erfuhr, aber der textkritische
Apparat vergrößert wurde.

Die beiden mittleren Stücke dieses Buches werden hier seit 1496
zum ersten Mal wieder veröffentlicht, wenn man von einem fotomechanischen
Nachdruck von 1964 absieht. Die Herausgeber konnten
sich die Untersuchungen Moodys zunutze machen und dieselben
beiden Florentiner Handschriften wie dieser als Grundlage für den zu
erstellenden Text verwenden.

Die Einleitung geht noch einmal auf die Echtheit der „Expositio
aurea" ein, nachdem es darüber von 1947 an zwischen Anneliese
Maier und Boehner bis zu dessen Tod im Jahre 1955 eine Kontroverse
gegeben hat. Die Herausgeber kommen durch Zitate aus Ockham
und Adam Whodam untermauert zu dem m. E. zutreffenden
Urteil: „Nulla igitur ratio est de authenticitate harum partium
dubitetur" (20*).

Was erschließt dieser Band? Die Antwort ist für die drei Expositio-
nes leicht zu geben. Er dokumentiert das Porphyrios- und Aristotelesverständnis
Ockhams, denn in diesen Schriften verfolgte er das Ziel,
seinen Schülern „veram mentem auctorum" beizubringen (23 ). Da
die Aristotelesinterpretation der Scholastiker in der Regel auf lateinischen
Texten beruht, ist die Mitteilung wichtig, daß Ockham für
den Text des Porphyrios und das Buch „Perihermenias" von Aristoteles
eine Übersetzung des Boethius benutzte. Das führte aber nicht
dazu, daß Ockham neuplatonische Deutungen des Aristoteles übernahm
, sondern er wurde vielmehr zu Entgegnungen herausgefordert-.
Für den „Liber praedicamentorum" benutzte er eine andere, noch
nicht genau ermittelte Übersetzung.

Der vorliegende Band verdient nicht nur das Interesse von Philosophiehistorikern
, zumal er auch einen wichtigen Abschnitt zur Universalienfrage
enthält, denn auch in seinen theologischen Werken
verweist Ockham auf hier interpretierte philosophische Texte, so daß
sich die Möglichkeit bietet, das besser zu verstehen, was er in seinen
theologischen Werken ansprach.

Auch dieser Band ist mit vorzüglichen Registern versehen und verdient
den Dank an die Herausgeber.

Leipzig Helmar Junghans

Staufier, Richard: Interpret es de la Bible. Etudes sur les reformateurs
du XVIe siecle. Paris: Beauchesne 1980. 275 S. 8" = Theologie'
Historique 57. ffr 115.-.

Der Pariser Reformationshistoriker R. Stauffer macht in diesem
Sammelband einem weiteren Leserkreis 12 Aufsätze zugänglich, die
bisher auf Zeitschriften und Tagungsbände verstreut und darum
gerade ausländischen Wissenschaftlern nicht immer erreichbar
waren. Typisch für seine Darlegungen sind präzise Beobachtungen an
den Texten, die aufgrund der sachlichen, unprätentiös-schlichten Gedankenführung
durchweg erhellend sind und zu überzeugen wissen.
Vor allem Calvins Theologie erfährt eine interessante neue Beleuchtung
. Ich stelle die Aufsätze im folgenden kurz in der Reihenfolge
ihres Abdrucks vor, die offenbar die behandelten Gegenstände
in ihrer zeitlichen Abfolge zu ordnen sucht.

Der 1. Aufsatz ist dem französischen Humanisten Lefevre
d'Etaples gewidmet. Er zeigt, wie dessen erste Bibelkommentare zwar
vielerlei neue Aspekte aufwiesen, aber im Rahmen innerkatholischer
Reformbestrebungen blieben. Dies änderte sich erst mit dem Epitre
exhortatoire (1523) und mit der Auslegung der Epistel- und Evangelientexte
für die 52 Wochen des Jahres (1525), die einen Bruch mit
dem Reformismus Briconnets darstellten. Damit sei Faber Stapulen-
sis aber nicht eigentlich zum Schüler Luthers geworden, sondern habe
einen eigenständigen Typ der Reformation vertreten. Er könne deshalb
weder als bloßer Betrachter noch als Urheber der Gesamtreformation
des 16. Jh. gelten. Der 2. Aufsatz untersucht polemisch
die aus den USA kommenden Begriffe „linker Flügel der Reformation
" und „radikale Reformation" und bestreitet ihre Legitimität.
Dieser Flügel sei alles andere als ein einheitliches Phänomen gewesen
. Die ihm zugeschriebenen Kennzeichen seien nicht durchweg
charakteristisch für ihn, seien aber andererseits auch der „klassischen
" Reformation nicht fremd gewesen. Diese Gruppe stehe mittelalterlichen
Reformbestrebungen näher als der lutherischen und
reformierten Spielart sich durchsetzender Erneuerung. Man muß
wohl zu St.s Urteil gelangen, wenn man das sola gratia zum einzigen
Kriterium des Reformatorischen erhebt. Die Zulässigkeit eines solchen
Vorgehens ist mir aber fraglich. St. hat die genannten Kennzeichnungen
wohl mit Recht problematisiert, er hat m. E. aber nicht
wirklich ihre Unbrauchbarkeit nachgewiesen. Der 3. Aufsatz gibt
besonders den französischen Lesern einen gut informierenden Überblick
über den Verlauf der Debatte über Luthers 95 Thesen unter
deutschen Gelehrten. St.s eigenes Urteil ist zurückhaltend: Er mokiert
sich über die Leidenschaftlichkeit protestantischer Apologetik
gegen Iserlohs und Honselmanns Darlegungen und hält Melanch-
thons Zeugnis für den Thesenanschlag für nicht ausreichend zu dessen
fester Behauptung, neigt aber doch vorsichtig der Position der
evangelischen Kirchenhistoriker zu. Ein 4. Aufsatz vergleicht Luthers
und Calvins Exegese von Gen 1,1-3. Er weist auf mancherlei
Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede ihrer Auslegung hin und
hält mit Recht Calvin für exegetisch feinfühliger. Auch zeigt er, daß
Calvin seine Exegese in den Dienst der Polemik gegen die aristotelische
Behauptung der Ewigkeit der Welt und gegen die Bestreitung
der Trinitätslehre durch Servet stellt. Gottes Schöpfertat ex nihilo
erfahrt bei beiden Reformatoren eine starke Hervorhebung.

Der 5. Aufsatz deckt nachwirkende humanistische Einflüsse auf
Zwingiis bedeutsame Schrift „De vera et falsa religione" (1525) auf
und wendet sich somit gegen die Einseitigkeit der Interpretation
durch A. Rieh und G. W. Locher, sich auf die Seite W. Köhlers und
E.-W. Kohls' stellend. Doch sieht auch er, daß Zwingiis Kritik an
humanistischen Auffassungen aufgrund der evangelischen Sünden-
und Gnadenlehre und des starken Einflusses Luthers entscheidend für
das Werk waren. Der 6. Aufsatz vergleicht Zwingiis und Calvins Kritik
am Schleithcimer Bekenntnis (1527) aus dem schweizerischsüddeutschen
Umkreis der Täuferbewegung. Sichtbar werden die
grundlegenden Übereinstimmungen in der Polemik beider, die sich
aus der Verteidigung gegen die täuferischen Attacken auf die offizielle
Schweizer Reformation ergeben, aber auch die mancherlei feinen