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Ausgabe:

1982

Spalte:

365

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Emme, Dietrich

Titel/Untertitel:

Martin Luther 1982

Rezensent:

Berger, Siegfried

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Seite 1

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365

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

366

wird nochmals dreifach untergliedert: Wiedertäufer, Spiritualisten
und Rationalisten. Diese drei Strömungen seien aber nicht eindeutig
voneinander zu trennen.

VI. Lutherische Historiographie: Im 19. Jh. trat Krauth konservativ
gegen Schmucker auf, der das Luthertum zu stark zu amerikanisieren
suchte. Nach Fife wurzelt die Reformation in Luthers religiösen
Erfahrungen. Forell, gegen Troeltsch, betont Luthers Liebesethik
. Luthertum sei nicht antidemokratisch (Beweis dafür sei
Schweden); für den Kapitalismus sei der Katholizismus verantwortlich
. Spitz trennt das Luthertum vom Humanismus. Luthers
Anfechtungen in ihrem erschütternden Ernst seien keine humanistischen
Zweifel gewesen. Gleichzeitig aber hat Luther von den Humanisten
entlehnt. Pelikan findet Luther im Grunde katholisch. Me-
lanchthon sei verantwortlich für Aristotelisierungen gewesen. Zum
ersten Mal in diesem Buch findet man hier eine ausdrückliche Danksagung
an Holl. Pauck, der Pelikans Lehrer war, hat ihn vielleicht zu
Holl geführt. Jedenfalls betont Pauck mit Holl Luthers Liebesethik.
Luthers Gedanken hätten nicht notwendigerweise zu Nationalismus
und Kapitalismus geführt. Die Protestanten sollten ihren Individualismus
mäßigen und die Katholiken ihre Abhängigkeit von der
Tradition.

Kremer ist sehr belesen und gibt eine gute Bibliographie. Nach
zehn Jahren wäre ein ähnliches Buch über die jüngeren Historiker zu
empfehlen, die heutzutage tätig sind.

New Häven, Conn, Roland H. Bainton

Emme, Dietrich: Martin Luther. Seine Jugend- und Studentenzeit
1483-1505. Eine dokumentarische Darstellung. Bonn: Selbstverlag
1981.301 S.gr. 8".

D. Emmes Arbeit kommt offensichtlich nicht aus dem Kreis der
Fachleute unter den Theologen und Historikern, die sich intensiv mit
Luther beschäftigen. Eine ausgedehnte Kenntnis der Quellen und
Spezialliteratur kann ihr dennoch bescheinigt werden. Die gut lesbar
geschriebene Darstellung von Luthers Kindheit und Studentenzeit
zielt letztlich auf die These des Verfassers, die er bereits in seinem
Aufsatz „Weshalb wurde Martin Luther ein Mönch?" (Monatsschrift
für Deutsches Recht 5/1978, 378-380) vertreten hatte, „daß Luther
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 17. Juli 1505 in
das Erfurter Kloster der Augustiner-Eremiten eintrat, weil er einen
Studienkameraden getötet hatte" (8). Einen ernstzunehmenden Forschungsbeitrag
hat der Vf. mit dieser Deutung von Luthers Klostereintritt
, die schon in der frühen konfessionellen Polemik anzutreffen
•st, nicht geliefert. Seine Interpretation der autobiographischen
Lutheräußerungen lassen wenig Gespür für Luthers religiöse Krise erkennen
. Bedenken ruft auch die unkritische Verwendung von Tischredenäußerungen
oder gar von Behauptungen der Gegner wie Emser,
Dungersheim u. a. hervor. Ähnliches wäre zum Rückgriff auf die
katholische Lutherliteratur vor Lortz und Herte (z. B. Grisar) zu
sagen. Manche von der Forschung längst ausgeräumte Irrtümer (z. B.
Tod eines Freundes Alexius) werden erneut widerlegt. Der religions-
und kulturgeschichtliche Ausflug in das Wissen über die Epilepsie,
der die These vom Totschlag stützen soll, ist unzulänglich. Die Unnahbarkeit
der Darlegungen wird besonders im Kap. „Luthers Verstrickung
" (252-254) offenbar, in dem sogar damit gerechnet wird,
..daß Luther zur Zeit der Tat nicht in der Lage war, das Unerlaubte
der Tat einzusehen, wegen Bewußtseinstrübung infolge von Alkoholgenuß
etwa oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit" (254).
Emmes Arbeit macht erneut bewußt, wie fragmentarisch und unsicher
das Wissen über Luthers Frühzeit im einzelnen ist und wohl
"Timer bleiben wird. Das ist ihr eigentlicher Ertrag.

S.B.

Kirchengeschichte: Neuzeit

Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Hermann Samuel Reimarus. Handschriftenverzeichnis
und Bibliographie. Zusammengestellt und eingeleitet
von Wilhelm Schmidt-Biggemann. Das Register fertigte
Ingrid Nutz an. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1979.
143 S. gr. 8° = Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften, 37. Kart. DM 29,-.

Im letzten Jahrzehnt sind eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen
, die das Lebenswerk von Hermann Samuel Reimarus erschließen
. Zu den wichtigen Hilfsmitteln, die damit der wissenschaftlichen
Arbeit zur Verfugung stehen, gehört jetzt auch die von
Wilhelm Schmidt-Biggemann erarbeitete Bibliographie. Sie kann
sich auf eine Reihe von Vorarbeiten stützen - von der Bibliographie
an, die der Sohn des Reimarus zusammengestellt hat (Nr. 108) bis hin
zu der Lessing-Bibliographie von Siegfried Seifert (Nr. 111). Eine so
umfassende Übersicht, die das handschriftliche Material ebenso wie
die Originaldrucke, die Nachdrucke, Sekundärliteratur und die zeitgenössischen
Rezensionen erfaßt, ist bisher aber nicht vorhanden
gewesen.

Zunächst wird der handschriftliche Nachlaß nachgewiesen: Vorarbeiten
zur „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer
Gottes" (Nr. I-XXVII), wissenschaftliche Entwürfe und Notizen
(Nr. XXVIII-XLVI), Vorlesungen (Nr. XLVIa-LXII) und Briefe
(Nr. LXIII-CXX). Die gedruckten Schriften werden gegliedert in die
zu Lebzeiten erschienenen, die aus dem Nachlaß herausgegebenen
(dort werden auch die zahlreichen Nachdrucke der „Wolfenbütteler
Fragmente" nachgewiesen) und in die Sekundärliteratur. Dabei umfaßt
das Schrifttum zum Fragmentenstreit den Hauptteil
(Nr. 146-324). Bis hin zu David Friedrich Strauß werden auch zeitgenössische
Rezensionen aufgeführt; dadurch gewinnt der I^eser einen Einblick
in die in der Tat ungewöhnliche publizistische Resonanz, die Lessings
Veröffentlichung der „Fragmente" hervorgerufen hat.

Eine solche Bibliographie stellt zugleich einen Beitrag zur Biographie
dar. Über die vielfältigen handschriftlichen Entwürfe und
Vorarbeiten zur „Apologie" hatte bereits Gerhard Alexander in der
Gesamtausgabe (1972) ausführlich informiert. Zusätzlich liegt nun
die Information über andere handschriftliche Entwürfe vor. Wertvoll
ist dabei - neben der Übersicht über das schmale Corpus der Briefe -
vor allem die Liste der Vorlesungen, die Reimarus von 1728 an durch
40 Jahre hindurch in Hamburg angekündigt hat, zumeist über orientalistische
Themen, aber auch zur Exegese des Alten Testaments und
zur philosophischen Enzyklopädie.

In der sonst vorzüglich exakt gearbeiteten Bibliographie fällt eine Unge-
nauigkeit auf: das Verfahren der Verfasserangabe bei anonym oder Pseudonym
erschienenen Werken ist nicht einheitlich. Während meistens, wie üblich, der
Verfassername in Klammern gesetzt wird, gibt es Titel, bei denen erst aus zusätzlichen
Bemerkungen hervorgeht, daß der Erstdruck anonym war (vgl.
Nr. 163, 178, 222). - Die Titel 118 und 119 sind doppelt aufgeführt (237 und
265), sogar mit unterschiedlicher Schreibweise des Verfassernamens.

Schmidt-Biggemann hat seiner Bibliographie eine ausführliche
Einleitung vorangestellt, die einen interessanten Beitrag zum Verständnis
der Persönlichkeit des Reimarus darstellt (Seite 9-16). Das
eigentümliche Spannungsverhältnis zwischen der öffentlichen Selbstdarstellung
des Reimarus durch die Auswahl dessen, was er hat
drucken lassen - und dem esoterischen Werk, das als Korrelat doch
notwendig zu den publizierten Schriften gehört, wird in seiner typischen
Bedeutung für die Situation der Aufklärung in Deutschland gedeutet
. Die der Öffentlichkeit präsentierte, theodizeeorientierte Metaphysik
der „Vernunftlehre" und der „Natürlichen Religion" wird
in ihrer kritischen Funktion erst dann ganz deutlich, wenn das Ge-
heim-Werk als Kontext zur Interpretation herangezogen wird. Mit
dieser eigenen Auswertung der Bibliographie ist ein zentrales Thema
für die Erforschung und Interpretation des besonderen Charakters der
Aufklärung in Deutschland neu in den Blick gekommen.

Magdeburg Harald Schultze