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Ausgabe:

1982

Spalte:

363-365

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kremer, Ulrich Michael

Titel/Untertitel:

Die Reformation als Problem der amerikanischen Historiographie 1982

Rezensent:

Bainton, Roland Herbert

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

364

Obrigkeit zur Überwindüng der Aufruhrgefahr und die Rechtfertigung
der Strafgewalt.

Im zweiten Teil seiner Arbeit, „der der eigentlich grundlegende ist"
(VI), stellt M. auf Grund des reichen Quellenmaterials das Verhalten
der einzelnen Geistlichen, eingeteilt in drei Regionen (Südwestdeutschland
, Allgäu und Oberschwaben/Franken), ausführlich dar
(325-651).

M.s mühevolles Durcharbeiten der reichen Quellenüberlieferung
über den Bauernkrieg in Süddeutschland und der immensen Sekundärliteratur
hat sich gelohnt. Einen derartigen Überblick über das
Wirken reformatorischer Geistlicher Süddeutschlands gab es bislang
nicht. Eine Fülle von Namen sind wohl überhaupt erst jetzt über den
engen Umkreis lokalgeschichtlicher Forschung hinaus bekannt geworden
. Es zeigt sich, daß die aktive Beteiligung von reformatorischen
Geistlichen größer war, als bis jetzt angenommen wurde,
und daß dieser Stand auch stark von den Strafaktionen der Sieger betroffen
war. Beachtenswert ist auch der Hinweis, „daß unter den Aufrührern
die Mehrzahl der unbekannten, unter den Feinden des Aufruhrs
die Mehrzahl der bekannteren Reformationsmitarbeiter war"
(200). Über die Gründe ist allerdings differenzierter zu urteilen, als es
bei M. geschieht. Die Zuordnung einzelner Geistlicher zu einer
Region ist auch recht fraglich. Das gilt z. B. für Johann Eberlin und
Jakob Strauß, die mit dem Bauernkrieg im Allgäu und in Oberschwaben
ebenso wenig zu tun hatten wie Leonhard Kaiser, aber
auch für Johann Gramann (Poliander), den Täufer Wolfgang Vogel
und erst recht für Nikolaus Hermann aus dem Kapitel Franken.
Leider ist M. die Habil.-Arbeit von H. Kirchner über den Bauernkrieg
im Urteile der Freunde und Schüler Luthers (Brenz, Rhegius,
Lachmann, Eberlin, Capito, Poliander) unbekannt geblieben.
Weniger als der 2. befriedigt der vorangestellte systematische Teil, der
weit ausgreifend angelegt ist und mit dem sich M. überfordert hat.
Folglich werden manche komplizierte Sachverhalte allzusehr vereinfacht
. Das ist z. B. bei den Fragen der Pfarrerwahl und der Laienaufwertung
der Fall. Die diesbezüglichen vorreformatorischen Traditionen
und Ansätze werden unterschätzt. Sind Eberlins „Bundesgenossen
" wirklich ohne weiteres schon als reformatorische Schriften
zu bewerten (33.37.46.54 u. ö.)? Und spaltete sich die Reformation
tatsächlich erst am Bauernkrieg (200f.275)? In Zwickau setzte der
Differenzierungsprozeß schon um die Jahreswende 1520/21 ein, vom
bekannteren in Wittenberg kurz darauf ganz zu schweigen. Das apokalyptische
Zeitbewußtsein hat sicher größeres Gewicht gehabt, als
M. annimmt (196.225). Am wenigsten Zustimmung werden einige
Formulierungen über das Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg
finden, die etwas kurzschlüssig ausgefallen sind (z. B. 185: „Was
die Reformatoren verbal vorbereitet hatten, das führten die Aufrührer
meist in Form von Gewalt gegen Sachen aus."). Nicht zu bezweifeln
ist dagegen, daß Reformation und Bauernkrieg mehr miteinander
zu tun haben, als in der Kirchengeschichtsschreibung früher
angenommen wurde. Es ist M.s Verdienst, darauf erneut hingewiesen
zu haben.

Wie nicht anders zu erwarten bei einer Arbeit mit einem so weitgreifenden
Thema sind bei einer Reihe von Einzelheiten Korrekturen notwendig, so z. B.
bei der Analyse des sog. Verfassungsentwurfs aus Hubmaiers Nachlaß (86-88,
336-339) zur Karlstadt-Darstellung (vorwiegend nach der älteren Forschung).
Weitere Einzelkorrekturen: Nicht Mühlhausen, sondern Allstedt (187); nicht
von Eisenhort, sondern von Emser sind die Verse (241.280); Strauß war kein
Konvertit (247.440); Eberlin war kein theol. Mag. (429); in Remberg gab es
keine Druckerei (435); der Kürschner war der Müntzeranhänger Hans Römer
(532); Peringer war Geistlicher (643).

Berlin Siegfried Bräuer

Kremer, Ulrich Michael: Die Reformation als Problem der amerikanischen
Historiographie. Wiesbaden: Steiner 1978. IX, 265 S. gr. 8"
= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte
Mainz, 92. Lw. DM 64,-.

Dieses Buch stellt verschiedene Auslegungen der Reformation bei
28 amerikanischen Historikern vor, die der Vf. in sechs Gruppen einteilt
. Die Einleitung (Teil I) berichtet über die Entwicklungsabschnitte
der amerikanischen Theologie und dient so als Hintergrund
für die eigentliche Darstellung. Teil II, chronologisch aufgebaut
, fängt an mit Priestly, der Unitarier mit einer Vorliebe für
aufklärerische Züge war. Schaff billigte die Verbindung von Lutheranern
und Reformierten. Er vertrat die Ansicht, daß der Protestantismus
katholischer sei als die Katholische Kirche nach dem Triden-
tinum. McGiffert wird den Liberalen zugerechnet, zugleich wird auf
seine Bemühungen um soziale Verbesserungen hingewiesen. Bei ihm
sei ein Kompromiß zwischen "sacred and secular" festzustellen. Mit
Williston Walker „wurde die bereits durch McGiffert eingeleitete
Abkehr von einem rein theologischen Verständnis der Reformationsgeschichte
vollendet", obwohl er „auf die göttliche Leitung der
Geschichte im allgemeinen und der Reformationsgeschichte im besonderen
hindeutet". Hier muß ich etwas protestieren. Walker war
mein Lehrer und Vorgänger, den ich gut kannte. Was zu seiner Reformationsgeschichte
gesagt wird, stimmt, doch hat Walker auch eine
sehr sympathische Calvin-Biographie geschrieben, wohingegen er
sich dem neuenglischen Kongregationalismus nicht mit gleichem
wissenschaftlichen Eifer zugewandt hat.

Teil III. Die sozialgeschichtliche Interpretation: Hier sollte man
besser nicht Grimm und Schwiebert mit den Psychiatern Preserved
Smith und Erikson in eine Betrachtungsebene setzen. Es wird über
die Entwicklung von Smith berichtet, der bis 1918 von Freud,
danach von Troeltsch beeinflußt war. Eriksons Bild von Luthers
Vater ist katholischen Schmähschriften der Reformationszeit entnommen
und von Anfang an nicht durch Quellen belegt. Von
Schwiebert sagt Kremer, „Wie Smith und Grimm klammert Schwiebert
die Religion Luthers als seiner Meinung nach irrelevant aus."
Doch das ist zu viel gesagt. Schwiebert hat uns lediglich darauf aufmerksam
gemacht, wie wichtig für Luthers Schicksal die Unterstützung
seiner Theologie von seiten der Universität Wittenberg war.
Sonst hätte Friedrich der Weise ihn nicht verteidigt. Schapiro gibt
offensichtlich eine rein soziologische und ökonomische Erklärung der
Reformation. Cole wertet die Flugschriften der Reformation aus, um
so die zeitgenössische Volksmeinung zu rekonstruieren.

Teil IV. Katholische Historiographie: O'Hare hat die Verleumdungen
Denifles, Grisars und Janssens preisgegeben. Luther
wird eher deshalb kritisiert, weil seine Ideen sowohl zu Anarchie als
auch zu Despotismus geführt hätten. Hayes: Toleranz sei an Aufklärung
und Pietismus zu messen; das Christliche sei im Protestantismus
nicht versunken. Dolan sieht die Reformation als eine von
vielen Erweckungsbewegungen in der Kirchengeschichte. Luther war
mittelalterlich in seiner Hochschätzung von Gerson und Cusanus.
Tavarcl findet Luthers Rechtfertigungslehre echt katholisch. McSor-
ley fragt "Luther right or wrong?" und antwortet „Beides.";
die Exkommunikation habe er nicht verdient. McCue sieht Luthers
Abendmahlslehre als katholisch an.

Teil V. Die Reformierte Historiographie: George Park Fischer,
Vorgänger von Walker, sei unparteiisch gewesen: er lobte Luther, da
er die päpstliche Hierarchie gebrochen hat. Für die Entwicklung der
Demokratie sei Calvin wichtiger gewesen. William Mueller, Baptist,
tadelt Luther natürlich, da er die Kindertaufe beibehalten und die
Landesfürsten als Notbischöfe anerkannt hat. Roberl Kingdon hat
klar gezeigt, wie der Calvinismus erst in Frankreich presbyterianisch
anstatt kongregationalistisch geworden ist. Doch habe es durch das
Widerstandsrecht auch demokratische Züge gegeben. Bainton (das ist
der Rez.) ist der Meinung, daß Luther die tiefe mittelalterliche Frömmigkeit
gegenüber einem säkularisierten Papsttum wieder erweckt
hat. Das Widerstandsrecht im frühen Luthertum ist zurückgetreten
und vom Calvinismus aufgenommen worden; Toleranz und Trennung
von Staat und Kirche kommen eher von den Täufern. George
Williams unterteilt die Reformation in eine magisteriale (Verbindung
von Kirche und Staat [Magisterium]) und eine radikale; letztere